Rolf Wolfshohl, ein erfolgreicher deutscher Radsportler in den 60er Jahren, spricht im Interview über Zeitenwandel, Bestzeiten und Doping.
Kölner Radlegende im Interview„Ich konnte mich nie unterordnen, war immer ein Einzelgänger“
Unverkennbar ist man bei einem Fahrradenthusiasten gelandet. In Rolf Wolfshohls Haus im Bergischen Land stehen Fahrräder – draußen, im Flur und im gemütlichen Wohnzimmer. Seine Frau Karin hat Kaffee und Teilchen vorbereitet.
Sagen Sie Wolf-shohl oder Wolfs-hohl?
Rolf Wolfshohl: Letzteres. Das kommt wohl von „Die Höhle des Wolfes“ oder „Der Wolf in der Höhle“.
Warum hatten Sie mal eine Fünf in Sport?
Weil ich ein schlechter Läufer war, konnte ich auch nicht weit oder hoch springen. Bei den Bundesjugendspielen in der Schule habe ich nicht die nötige Punktzahl erreicht, um eine Urkunde zu bekommen.
Aber es gibt doch zahllose Bilder von Ihnen, auf denen Sie mit geschultertem Fahrrad durch einen aufgeweichten Wald laufen.
Im Rennen vom Rad zu steigen, habe ich immer versucht zu vermeiden. Sobald gelaufen wurde, war ich eine Niete.
Wann haben Sie gemerkt, dass Sie mit dem Rad mehr können als zur Arbeit zu fahren?
In Buchheim, wo ich herkomme, gab es zwei Fahrer, die sonntags oft mit einem Kranz um den Hals nach Hause kamen. Das hat mir sehr imponiert, wollte ich auch. Ein Mülheimer Radsportclub trainierte bei uns um die Ecke auf der Merheimer Heide. Immer recht spät abends, weil wir damals noch die 48-Stunden-Woche hatten.
Und dann haben Sie die alle versägt?
Anfangs wollte mich der Trainer von denen immer vertreiben, weil ich mich einfach angeschlossen habe. Ich fuhr damals ein 26er-Dreigang-Hibiduri-Rad. Die Abkürzung stand für „Hier bist du richtig“.
Köln war einst ein Radsport-Mekka.
In Köln und Umgebung gab es 30, 40 Rennen pro Jahr. Der Radsport hat sich fast komplett in den deutschen Osten verlagert, man denke an die Leistungszentren in Cottbus, Erfurt oder Gera. Dahin gehen auch die westdeutschen Talente.
Können Sie sich an Ihr erstes richtiges Sportrad erinnern?
Das war ein Gold-Rad, die Firma gibt es heute nicht mehr. Kostete ein Schweinegeld.
Das Sie nicht hatten?
Im ersten Lehrjahr als Zerspanungsmechaniker bei Klöckner-Humboldt-Deutz bekam ich 36 Mark. Also musste ich das Rad abstottern. Dafür habe ich zusätzlich Zeitungen ausgetragen, eine Fernsehzeitung.
Sehen die Fahrer heute anders aus als zu Ihrer Zeit in den 1960ern und 70ern?
Manch einer ist 1,90 groß und wiegt nur 70 Kilo. Die haben ihre eigenen Ärzte und Ernährungswissenschaftler. Früher haben wir drei Stunden vor dem Rennen ein Steak gegessen, heute gibt es stattdessen Astronautennahrung.
Zur Person
1938 wurde Rolf Wolfshohl in Köln geboren und machte eine Lehre als Zerspanungsmechaniker bei Klöckner-Humboldt-Deutz. Von 1959 bis 1973 war er Radrennprofi. Er ist dreifacher Querfeldein-Weltmeister und gewann 1965 die Vuelta (Spanien-Rundfahrt). Neunmal nahm er an der Tour de France teil, die ihm den Spitznamen „Le Loup“/Der Wolf bescherte.
1966 und 1967 gelangen ihm zwei Etappensiege. 1968 siegte er bei Paris-Nizza sowie bei den Deutschen Straßenmeisterschaften. 1973 beendete er seine Karriere und übernahm für ein Jahr die Leitung des Rennstalles Rokado. Später eröffnete er mit Frau Karin ein Radsportgeschäft. Von 1995 bis 2000 war er ehrenamtlicher Sportlicher Leiter des Rennens „Rund um Köln“. Der Klassiker findet am 21. Mai wieder statt. www.rowona.de
Und während des Rennens?
Wir hatten da eine Art Reiskuchen. Diese konzentrierte Nahrung, drei Riegel für 200 Kilometer, kam erst Ende der 1960er auf.
In welchem Verhältnis standen Querfeldein- und Straßenrennen bei Ihnen?
Die Crosssaison im Winter habe ich eher als Training betrachtet. Im Sommer bin ich Straße gefahren, allein neunmal die Tour de France.
Im Training dreimal Weltmeister zu werden, ist allerdings nicht schlecht.
War nicht geplant, aber ist passiert. Die Straße ist für Radrennfahrer das Nonplusultra. Da gibt es auch die höchsten Gagen. Wer heute den Tadej Pogačar kaufen will, muss 100 Millionen Ablöse auf den Tisch legen.
Sie haben zwei Etappen der Tour de France gewonnen. In den Bergen?
Leider nein. Einmal bin ich auf dem letzten Kilometer eingeholt worden. Gewonnen habe ich die Etappen in Bordeaux und Toulouse.
Was fehlte Ihnen für einen Tour-Gesamtsieg?
1968 fuhr ich zwei Etappen lang im Gelben Trikot und war ganz nah dran. Damals nahmen wir mit der Nationalmannschaft teil und waren irgendwann nur noch zu dritt. Mit so einem kleinen Team können Sie die Tour aber nicht gewinnen.
Wie stand es um die Betreuung während des Rennens?
Auf zehn Fahrer kamen maximal fünf Betreuer. Heute haben acht Fahrer ein 30-Mann-Team im Rücken.
Aber Ihre Platten mussten Sie auch nicht selber flicken?
Nein, aber neue Getränke etwa musste man sich während des Rennens selbst besorgen, an Dorfbrunnen zum Beispiel. Daher kommt ja auch der Ausdruck „Wasserträger“ – dafür waren die Helfer im Team zuständig.
1965 haben Sie die Spanien-Rundfahrt Vuelta gewonnen.
Die habe ich in den Bergen gewonnen. Als ich nach der achten Etappe vorn lag, habe ich meinen Vorsprung Tag für Tag ausgebaut. Am Ende lag ich über sechs Minuten vor Raymond Poulidor.
Warum galten Sie intern als „schwierig“?Wolfshohls Frau Karin, früher eine erfolgreiche Eisschnellläuferin, meldet sich zu Wort: Dat es ene Steinbock! (lacht) Und er ist ohne Vater aufgewachsen.
Wolfshohl: Eigentlich bin ich nicht schwierig. Aber ich konnte mich nie unterordnen und bin beim Training allein gefahren. Ich war immer ein Einzelgänger.
Im Rennen ist man gezwungen, in einem großen Pulk zu fahren.
In der Jugend bin ich immer so schnell wie möglich ausgerissen. Und meistens konnte mich auch niemand mehr einholen.
Bekamen Sie als Radprofi Anfang der 1960er einen Monatslohn?
Ich habe mit 200 Mark angefangen und mich hochgearbeitet. Heute steigen Sie in ein Profiteam mit mindestens 36 000 Euro Jahresgehalt ein.
Professionell Fahrradfahren ist eine unglaubliche Quälerei. Warum macht man das?
Das ist relativ! Ich war mal in einem Museumsbergwerk und habe gesehen, wie hart die Menschen unter Tage schuften mussten. Dagegen ist Radfahren eine Erholung. Schwer wird es allerdings an Tagen, wo Sie nichts drauf haben, also nicht in Form sind.
Sind Sie mal abgestiegen und haben aufgegeben?
Aufgegeben habe ich nie, aber bei Paris-Nizza bin ich einmal hinter der Zeit angekommen. Das lag daran, dass ich zu Saisonanfang wegen eines Schlüsselbeinbruchs kaum hatte trainieren können.
Deutscher Radsportler über Doping: „Da hatte ich keinen Bock drauf!“
Hat man Ihnen mal Dopingmittel angeboten?
Da hatte ich keinen Bock drauf!
Karin Wolfshohl: Dann hätte ich mich auch direkt scheiden lassen. (lacht)
Rolf Wolfshohl: In den 60ern gab es noch keine Mediziner im Radsport. Zwei Ärzte versorgten bei der Tour de France das gesamte Peloton – und die Journalisten. Organisiertes Doping kam erst Anfang der 1970er auf.
1968 starb der Kölner Boxer Jupp Elze, der als der erste deutsche Dopingtote gilt.
(zögert lange) Der Jupp war ein sehr guter Freund von mir. Wir haben ihn noch kurz vor seinem letzten Kampf im Trainingslager besucht. Der Boxsport hatte immer seine eigenen Machenschaften. Ich hatte jedenfalls keine Ahnung davon, dass Jupp Elze Dopingmittel nahm.
Karin Wolfshohl nimmt ein Bild vom Fensterbrett. Es zeigt Rolf Wolfshohl und Jupp Elze, vereint in einem Siegerkranz.
Wie gut wäre Jan Ulrich ohne Doping geworden?
(wie aus der Pistole geschossen) Genau so gut! Das war ein Super-Talent.
Karin Wolfshohl: Auf den Jan lasse ich nichts kommen. Der ist immer zum Rolf gekommen, wenn wir irgendwo ein Rennen besucht haben. Ein ganz lieber Mensch.
Wie steht es um den deutschen Radsport heute?
Gut, wie ich finde. Das Bora-Team hat den entsprechenden Etat, um oben mitzufahren. Unter den deutschen Fahrern sind einige gute Sprinter und mit dem Kölner Nils Politt auch ein Mann für die Klassiker. 2021 hat er eine Tour-Etappe gewonnen.
Fahren Sie mit 84 Jahren noch Rad?
Im Moment nicht, weil ich krank bin.
Karin Wolfshohl: Er hatte im November einen leichten Schlaganfall, von dem man sich erstmal erholen muss.
Rolf Wolfshohl: Im heutigen Hochleistungssport würde ich nicht mehr mitmischen wollen. Heutzutage entscheiden die Ärzte, wie gut oder schlecht du fährst. Die analysieren dich in mitgeführten Laboratorien und spritzen dir, was du vermeintlich brauchst an Vitaminen, Spurenelementen und so weiter. Da hängst du abends am Tropf, statt ein Steak zu essen.