Kölner NaturschutzgebietWärmeliebende Arten übernehmen Wahner Heide
- Im Naturschutzgebiet Wahner Heide sind Arten auf dem Vormarsch, die mit der Wärme gut klarkommen.
- Dort leben 700 gefährdete Tier- und Pflanzenarten.
- Wir haben einen Mitarbeiter des Umweltamts auf die Wiesen und Felder neben dem Flughafen begleitet.
Köln – Die Sonne brennt auf die Wahner Heide, auf die Offenlandflächen, die ausgedehnten Wälder. Heiß hier. Heißer als sonst? Auf Dauer? Welche Folgen hat das für die Tiere und Insekten? „Die wärmeliebenden Arten wandern weiter nach Norden“, sagt Ralf Fontes (57) vom Umweltamt. „Gleichzeitig haben wir hier auch schon viele Arten, die mit höheren Temperaturen gut klarkommen.“
Orpheusspötter statt Wiedehopf
Ein kleiner Spaziergang, Ausgangspunkt ist der Paradeplatz an der Alten Kölner Straße. Die Grillen zirpen ihr Mittagskonzert. Feldgrillen zählen zum Beispiel zu den Insekten, die auf warme Wetterbedingungen angewiesen sind. „Sie mögen diese trockenen, offenen Böden“, erklärt Ralf Fontes. Rechts und links des Wegs hat das Gras eine überwiegend bräunliche Farbe angenommen. Bis 1984 brütete der Wiedehopf in der Wahner Heide, seitdem ist der wärmeliebende Zugvogel, der südlich der Sahara überwintert, überraschend verschwunden. Er frisst übrigens gerne Feldgrillen. Nicht nur das Futter, auch der Lebensraum wäre vorhanden. Aber: „Wenn die Vögel an der ägyptischen Mittelmeerküste weggefangen werden, fehlen sie hier als Brutvögel und die Population schrumpft“, sagt Ralf Fontes. Welche Veränderungen auf einen Klimawandel zurückzuführen sind und welche andere Ursachen haben – „so klar lässt sich das nicht immer festlegen“, erklärt der Biologe. „Die Vermutung ist aber sehr stark, dass vieles mit dem wärmeren Klima zusammenhängt.“
Der Orpheusspötter lebt erst seit einigen Jahren in Köln. Er kommt ursprünglich aus dem Mittelmeerraum. Jetzt ist der Vogel auch in der Wahner Heide heimisch, wo er mit seinem Gesang mitunter die Sperlinge imitiert. Für neue Arten stellt der Rhein eine perfekte Einwanderungsroute dar. Er durchschneidet Mittelgebirge und bietet Rückzugsmöglichkeiten. Die neuen Tier- und Pflanzenarten brauchen also nicht nur geeignete Lebensbedingungen, sondern auch eine Vernetzung zwischen Lebensräumen. Nur so können sie sich „dauerhaft in der zunehmend von Menschen geprägten Umwelt behaupten“, erklärt Ralf Fontes. Das sei übrigens auch für alteingesessene Arten wichtig.
Traubenkirsche macht sich breit
In einem eingezäunten Bereich leben ein paar Dutzend Ziegen, sie drängen sich im Schatten unter einer freistehenden Eiche. Das dürre Gras rundum wird stellenweise von saftigeren grünen Pflanzen durchbrochen – es handelt sich um die Spätblühende Traubenkirsche. Sie ist hier unerwünscht und wird von Menschenhand beseitigt, damit sie die Offenlandflächen nicht überwuchert. Die vierbeinigen „Landschaftsrasenmäher“ knabbern lieber an den Ästen der Eiche als an der Spätblühenden Traubenkirsche: Sie lagert zum Schutz Blausäure ein, was den Ziegen nicht gut bekommt.
Fakten
700
gefährdete Tier- und Pflanzenarten leben in der Wahner Heide. Das Gebiet ist ungefähr 5000 Hektar groß, der größte Teil ist Naturschutzgebiet. Auf Kölner Gebiet gibt es 31 Kilometer Rad- und Wanderwege sowie 17 Kilometer Reitwege. Auch das Gelände des Flughafens, das etwa 1000 Hektar groß ist, gehört zur Wahner Heide.
3
Jahre lang, bis 2021, will die Stadt Köln im Rahmen eines Insektenmonitorings herausfinden, wie sich die Zahlen bei den Hautflüglern und den Zweiflüglern entwickelt haben. Sie zählen zu den häufigsten Insektenarten, zu ihnen gehören zum Beispiel Bienen, Wespen, Fliegen und Mücken. Es gab eine ähnliche Untersuchung zwischen 1989 und 1994. Wildbienen wurden außerdem in den 1940er und 1950er Jahren erfasst. Gleichzeitig sollen Maßnahmen zum Insektenschutz erarbeitet werden.
76
Prozent weniger Fluginsekten im Vergleich zu 1989 gibt es laut einer Studie von Wissenschaftlern aus Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden (wir berichteten). Als Grund wurde vor allem eine intensive Landwirtschaft mit der Verwendung von Pestiziden und Düngemitteln genannt. Der Weltbiodiversitätsrat IPBES der Vereinten Nationen hatte darüber hinaus im Mai vor einem Artensterben gewarnt: Etwa eine Million der geschätzt acht Millionen Tier- und Pflanzenarten sei vom Aussterben bedroht. Etliche Arten leiden unter der Erderwärmung, hieß es. (kl)
Holzbienen, Mistkäfer und Schmetterlinge
Zu den neuen Nachbarn aus dem Süden zählt in der Wahner Heide auch die Holzbiene. Sie ist so groß wie eine Hummel, hat einen schwarz-glänzenden Hinterleib und schimmernde Flügel. „Ein ganz auffälliges Tier, das habe ich regelmäßig im Garten“, sagt Fontes. Vor den Toren Kölns steht bereits die Europäische Gottesanbeterin. Die Fangheuschrecken-Art, bei der das Weibchen das Männchen nach der Paarung gerne auffrisst, gilt als ausgesprochen wärmeliebend.
Ein großer schwarzer Mistkäfer kreuzt den Weg. „Also, der war schon immer da, auch im Mittelalter“, erklärt Ralf Fontes. Augenscheinlich geht es den Mistkäfern in der prallen Sonne ganz gut: Etwa ein Dutzend von ihnen macht sich gerade über einen Kothaufen am Wegesrand her. Die Zahl der Insekten ist laut einer wissenschaftlichen Studie seit 1989 um 76 Prozent zurückgegangen. Ralf Fontes erinnert sich an einen Schmetterlingsflieder in Riehl, auf dessen Blüten Anfang der 1990er Jahre noch unzählige Schmetterlinge saßen: Kleiner Fuchs, Admiral, Tagpfauenauge... „Wenn ein Auto vorbeifuhr, flogen sie wie in einer Wolke kurz hoch.“ Um einen kleinen Schmetterlingsflieder in der Wahner Heide tanzt gerade ein einzelner Kohlweißling mit einem einsamen Zitronenfalter.
Im Hintergrund ist das Piepen der Fahrzeuge auf dem nahegelegenen Rollfeld zu hören. Ein Ferienflieger donnert über die Köpfe hinweg Richtung Landebahn, laut Flugplan kommt er aus Ibiza. Alle paar Minuten geht das so. Der Flughafen liegt am südwestlichen Rand der Wahner Heide und engagiert sich für das Landschaftsschutzgebiet – Teile der Wahner Heide dienen als Ausgleich für die versiegelten Flächen.
Uraltes Leben in der Wasserpfütze
Wespen umschwirren eine kleine Pfütze auf dem Weg. „Sie sammeln hier Wasser zur Kühlung ihres Nestes“, sagt Ralf Fontes. Auch wenn es merkwürdig scheint: Früher haben Panzer einen Teil der Landschaftspflege übernommen. Schon seit Anfang des 19. Jahrhunderts trainierten Soldaten auf dem Gelände, 2004 wurde die militärische Nutzung aufgegeben. Heute weisen rot umrandete Schilder darauf hin, dass das gesamte Gelände „aufgrund seiner historischen Nutzung mit Munition und sonstigen Kampfmitteln“ belastet ist. Es besteht „Lebensgefahr“. Deswegen dürfen die markierten Wege nicht verlassen werden. Einerseits haben die Truppen Biotope zerstört, andererseits konnte sich die Natur ungestört entwickeln. In den tiefen Furchen, die die Panzerketten hinterlassen haben, bilden sich laut Ralf Fontes „periodisch wasserführende Pfützen“, in denen sich der Echte Kiemenfuß wohlfühlt. Die winzige Krebsart ist eine entwicklungsgeschichtlich uralte Lebensform. Ein vorübergehendes Austrocknen ist kein Problem – es hält sogar Jäger und Konkurrenten fern. Ralf Fontes: „Aber wenn die Pfützen dauerhaft trocken blieben, würde diese Art hier verschwinden.“