- Dr. Matthias Kochanek leitet eine Intensivstation der Uniklinik.
- Thorsten Moeck spricht mit ihm über die Verschiebung von Operationen, die Personalnot in der Pflege und Wege aus der Krise.
Die Stadt warnt vor einer „bedrohlichen Situation“ in den Intensivstationen. Wie beurteilen Sie die Lage in der Uniklinik?Wir befinden uns am Rande der Dekompensation. Am Wochenende hatten wir den Höchststand an Intensivpatienten seit Beginn der Pandemie, also mehr Patienten als vergangenen November inmitten der zweiten Infektionswelle. In der Uniklinik betreuen wir momentan 46 Corona-Patienten, 32 von ihnen befinden sich auf der Intensivstation, 25 werden beatmet.
Wir alle haben gelernt, dass Intensivstationen variable Systeme sind. Sind jetzt mehr Betten belegt als vor der Pandemie?
Wir haben konstant 120 Intensivbetten, die gab es auch schon vor der Pandemie. Kinderintensivmedizin und Perinatalzentrum, also die Versorgung von Frühgeborenen, sind nicht eingerechnet. Personaltechnisch ist das kaum zu bedienen. Die Covid-Krise hat uns vor Augen geführt, dass wir in der Intensivpflege nicht gut aufgestellt sind. Das macht uns Sorgen.
Wie schnell können Kliniken auf solch eine Erkenntnis reagieren?
Sehr langsam. Es gibt externe Anbieter, die Personal zur Verfügung stellen, aber die müssen teuer eingekauft werden. Und Krankenkassen erstatten das nicht. Wir versuchen durch Umschichtung des Personals die Kolleginnen und Kollegen auf der Intensivstation zu unterstützen. Aber in Deutschland sind etwa 30 Prozent der vorgesehenen Pflegestellen mangels Personal nicht besetzt.
Zur Person
Dr. Matthias Kochanek (53) ist als Oberarzt seit 2007 Leiter der internistischen Intensivmedizin an der Uniklinik Köln. Er studierte von 1988 bis 1995 an der Kölner Universität Medizin und arbeitet seitdem in der Medizinischen Klinik I. Er ist verheiratet und Vater von zwei Söhnen. (tho)
Was macht den Unterschied zur Arbeitsbelastung vor der Pandemie, wenn die Bettenzahl unverändert geblieben ist?
Auch vorher waren die 120 Betten ausgelastet. Wir hatten über das ganze Jahr eine Auslastung von etwa 95 Prozent. Die fehlenden fünf Prozent ergeben sich durch den Wechsel von einem zum anderen Patienten und einem Leerstand des Bettes für zwei oder drei Stunden.
Also schaffen Sie Kapazität durch die Verschiebung geplanter Operationen.
Ja, entweder müssen Operationen verschoben werden oder sie finden gar nicht statt. Als Klinik der Maximalversorgung sind das nur ganz selten Operationen, bei denen der Zeitpunkt relativ variabel ist, beispielsweise eine Knie-OP. Wir sprechen hier aber über Tumorchirurgie, da sind Verzögerungen schwierig, weil es sonst für Patienten nicht mehr um einen kurativen Therapieansatz geht, sondern um einen palliativen. Das wollen wir immer vermeiden.
Die Impfungen laufen. Für wann rechnen Sie mit einer Entspannung?
Anfang des Jahres hatte ich für März oder April noch mit einer spürbaren Entlastung gerechnet. Damit habe ich mich vertan. Es müssen viele Zahnräder greifen. Die politischen Maßnahmen halte ich momentan für ein Debakel. Bei den Impfungen müssen Problemgruppen stärker in den Vordergrund gestellt werden, vor allem solche Menschen, die durch Medien schlecht zu erreichen sind. Hausärzte müssen auch dort stärker einbezogen werden.
Welche Erkenntnisse ziehen Sie nach einem arbeitsintensiven Jahr Pandemie?
Die Schnelltests, die jetzt genutzt werden, waren schon im November auf dem Markt. Wir hätten die Teststrategie wie eine Flutwelle über ganz Deutschland schicken müssen. Dadurch hätten wir eine deutlich größere Transparenz über Problemfelder erhalten. Und ich halte es im 21. Jahrhundert für blamabel, dass wir eine Corona-Warnapp haben, die relativ nutzlos ist. Denn es gibt keine Möglichkeit, Informationen von Testungen oder Impfungen dort einzubringen.
Wir alle kennen die Bilder von Patienten an Beatmungsgeräten. Wie sieht die medizinische Versorgung von Covid-Infizierten genau aus?
Bedrohlich ist das Lungenversagen. Damit folgen viele andere Probleme, ähnlich eines Kartenhauses, was über die Verschlechterung der Lungenfunktion zusammenfällt. Für uns als Intensivmediziner ist die Lungenfunktion entscheidend. Das Feintuning der Beatmung ist sehr aufwändig, denn der Patient soll auch selbst atmen. Die Lagerungstherapie ist sehr wichtig, also der mehrfache periodische Wechsel von der Rücken- in die Bauchlage. Das ist ein großer Kraftakt, denn der Patient ist an viele Schläuche angeschlossen. Dafür benötigt man drei bis fünf Personen, der Vorgang dauert bei einem Patienten schon mal eine halbe Stunde.