GrundschulenWarum Eltern ihre Kinder in Köln immer später zur Schule schicken wollen

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Schüler gehen während einer Einschulungsfeier der ersten Klasse zu ihrem Klassenraum.

Die Zurückstellung vom Schulbesuch kann sich auch auf Schulplatzvergabe und Kindergartenplätze auswirken.

Die Einschulung wird auch in Köln immer häufiger um ein Jahr nach hinten verschoben - aus unterschiedlichen Gründen.

Die Zahl der Schulrückstellungen steigt in NRW. Auch im Regierungsbezirk Köln sind die Zahlen in den vergangenen Jahren prozentual leicht angestiegen. Woran liegt das? Ganz genau lässt sich das nicht beantworten, da über die genauen Gründe einer Rückstellung keine Statistiken existieren. Klar ist jedoch, dass die Defizite, die von Schulärztinnen und -ärzten bei den Schuleingangsuntersuchungen beobachtet werden, nach der Pandemie mehr geworden sind.

Die Zahl der Rückstellungen lag 2023 und 2022 in Köln bei jeweils 4,5 Prozent, 2021 waren es noch 3,6 Prozent. Die Stadt Köln teilt auf Nachfrage mit, dass sich bei den Schuleingangsuntersuchungen im Kölner Gesundheitsamt zeige, dass es eine höhere Rate an förderbedürftigen Fähigkeiten zu geben scheine. „Zum Beispiel bei Sprache und Sprechen, Körperkoordination, selektiver Aufmerksamkeit, Zahlen- und Mengenvorwissen, Auge-Hand-Koordination und visueller Wahrnehmung“, so die Stadt.

Schulplatzvergabe wird erschwert

Für die Schulämter und die Schulplatzvergabe sind die Rückstellungen ein schlecht zu kalkulierender Faktor: Im vergangenen Jahr hatte die Stadt noch vor den Sommerferien Grundschulen im Stadtgebiet dazu aufgefordert, zwölf zusätzliche Klassen einzurichten. Denn die Stadt war davon ausgegangen, dass es für rund 300 Schulanfängerinnen und -anfänger keine Plätze im neuen Schuljahr geben würde. Mitten in den Ferien dann aber die Kehrtwende: Acht Grundschulen sollten die Mehrklassen überraschend wieder auflösen. Auch, weil eine hohe Zahl an Kindern wegen der nicht bestandenen Schuleingangsuntersuchung doch erst nächstes Jahr eingeschult werde. „Aus Sicht der Stadt Köln als Schulträgerin belegt ein zurückgestelltes Kind zunächst schlichtweg nicht den Schulplatz, der für das Kind vorgesehen war. Dennoch werden selbstverständlich die zurückgestellten Kinder bei den Planungen berücksichtigt, weil sie ihren Schulplatz nach wie vor – wenn auch später – benötigen“ teilt die Stadt auf Nachfrage mit, was denn die Konsequenz von vermehrten Rückstellungen für die Grundschulen sei.

Herausforderungen für Kitas

Ebenfalls betroffen sind die Kindergärten: Knappe Kitaplätze könnten noch knapper werden. Denn durch die „Wiederholer“ des letzten Kindergartenjahres werden keine Plätze für nachrückende Kinder frei. „Die Rückstellung von Kindern stellt den Bereich der Kindertageseinrichtungen vor große Herausforderungen“, sagt ein Sprecher der Stadt auf Nachfrage. Zum einen könnten weniger Kinder neu aufgenommen werden, da die Plätze nicht wie regulär geplant nachbelegt werden können. Zum anderen sollte ganz genau geschaut werden, ob für die weiteren Entwicklungsschritte eines Kindes noch die Kita oder doch die Schule die geeigneteren Voraussetzungen biete, so die Stadt. „Da die gleichaltrigen Kinder in die Schule wechseln, findet das vom Schulbesuch zurückgestellte Kind zum Beispiel mitunter nicht mehr die passende Peergroup, die so wichtig für das Lernen und die Entwicklung des Kinds ist.“ Ob das System Kita für Kinder mit dann sieben Jahren noch das richtige sei, müsse „in jedem Einzelfall sehr individualisiert betrachtet werden“.

Gerade wenn mehrere Kinder einer Kita zurückgestellt werden, was in Einrichtungen mit einem hohen Anteil von Kindern mit Förderbedarf vorkommen kann, seien die Herausforderungen für die Mitarbeitenden, aber auch für die Kinder sehr groß. Heike Riedmann, Mitglied des Jugendhilfeausschusses, sieht ein weiteres Problem in den Kindertagesstätten: „Durch die Personalknappheit leidet oft die Qualität der Betreuung“, so Riedmann. „In der Vorschulförderung werden mittlerweile gar nicht mehr alle Probleme und Defizite erkannt.“

Rückstellung auf Initiative der Eltern

Umgekehrt gibt es auch viele Eltern, die selbst die Initiative ergreifen. Ein Grund ist immer noch das vermeintlich junge Alter der zukünftigen Schulkinder. Der Stichtag für die Einschulung ist in den sechzehn deutschen Bundesländern ganz unterschiedlich geregelt und variiert vom 30. Juni bis zum 30. September (siehe Kasten). Die Kinder, die bis zu diesem Tag geboren wurden, werden im selben Jahr schulpflichtig. In Nordrhein-Westfalen ist der Stichtag der spätestmögliche Termin: der 30. September. Die Zahl der Anträge ist in NRW in den vergangenen Jahren erheblich gestiegen: Waren es zum Schuljahr 2019/2020 noch 3374 Anträge auf Zurückstellung, wurden 5892 Anträge zum Schuljahr 2023/2024 gezählt. 5695 wurden davon laut Schulministerium im vergangenen Jahr bewilligt — das entspricht einer Quote von 96,7 Prozent.

Für eine Kölner Familie aus Sülz, die nicht mit ihrem Namen in der Zeitung stehen will, ist die Einschulung in diesem Jahr deshalb keine Option. Ihr Sohn hat kurz vor dem Stichtag Geburtstag. „Eine Einschulung mit fünf können wir uns nicht vorstellen“, sagt die Mutter. Während sie erzählt, hat sie ihren Sohn auf dem Schoß - ein zarter Fünfjähriger, der auch in seiner Kitagruppe der Kleinste ist und manchmal sogar noch wie ein Kleinkind wirkt. Gerade, wenn es um eine Trennung von den Eltern geht. Schulreif, glauben die Eltern, sei er in diesem Jahr noch nicht. Deshalb haben sie einen Antrag auf Rückstellung gestellt.

Tipps aus dem Internet

„Uns liegen keine Informationen aus den Schulämtern vor, dass Eltern vermehrt anfragen“, sagt die Bezirksregierung. Die Zahl der Anträge wird jedoch nicht erfasst, heißt es bei der Stadt. Am Ende entscheiden in Köln nämlich die Schulleitungen der Grundschulen selbst, ob das Kind zurückgestellt wird. „Die Schulleitungen treffen die Entscheidung nicht nur auf der Grundlage eines schulärztlichen Gutachtens, sondern auch weiteren, von den Eltern beigebrachten fachärztlichen oder fachtherapeutischen Stellungnahmen“, so ein Sprecher der Kölner Bezirksregierung. Offiziell heißt es im Landesschulgesetz, dass eine Rückstellung für ein Jahr „aus erheblichen gesundheitlichen Gründen“ möglich sei. Es könnten aber auch präventive Gesichtspunkte mit einbezogen werden.

Hier werde beispielsweise auch der Blick darauf gelenkt, ob das Kind hinreichend psychisch und physisch stabil ist, um Belastungen und Anstrengungen zu bestehen, die ein ganzer Schulalltag für ein junges Kind auch bedeuten könne, heißt es aus dem NRW-Schulministerium in Düsseldorf: „Hier ist der präventive Gedanke handlungsleitend, denn in diesem sensiblen — auch emotional-sozialen — Bereich kindlicher Entwicklung, können sich geistige, körperliche und seelische Belastungen so auswirken, dass sie zu Problemen im schulischen Lernen führen können, die in der Folge weitere Symptome nach sich ziehen können.“

Bei der Familie aus Sülz hat es geklappt. Ein Gutachten vom Kinderarzt, ein Schreiben von der Kita, eine Empfehlung des Logopäden, ein persönliches Schreiben der Mutter und schließlich das ärztliche Gutachten der Schulärztin, die auf ein wenig Drängen „nicht schulreif“ ankreuzte - zusammen überzeugte das die Schulleitung. „Wir kennen einige Familien, bei denen die Rückstellung nicht geklappt hat“, erzählt die Mutter des Fünfjährigen. „Warum wird den Eltern nicht geglaubt, wenn sie sagen, die Kinder bräuchten noch ein Jahr? Wir als Eltern kennen unsere Kinder ja wohl am besten.“ Blogger geben im Internet bereits öffentlich Tipps, wie die Rückstellung in NRW am besten funktioniert.


So unterschiedlich sind die Stichtage innerhalb von Deutschland

In Schleswig-Holstein, Bremen, Baden-Württemberg, Hessen, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und im Saarland kommen alle Kinder zum Schuljahresbeginn in die erste Klasse, die bis zum 30. Juni sechs Jahre alt geworden sind. Rheinland-Pfalz hat sich auf den 31. August festgelegt, Hamburg auf den 1. Juli und Thüringen auf den 1. August. Bayern hat mit einem Einschulungs-Zeitraum vom 1. Juli bis 30. September eine ganz eigene Regelung. In Niedersachsen, Berlin und Brandenburg ist der 30. September der Stichtag - genau wie in Nordrhein-Westfalen. Als „Kann-Kinder“ bezeichnet man in NRW nur die nach dem 1. Oktober geborenen Kinder. 

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