Interview

Kölner Frauenrechtlerin Frauke Mahr
„Es hat sich nicht so viel verändert, wie ich möchte“

Lesezeit 6 Minuten
Frauke Mahr im Rundschau-Interview.

Frauke Mahr im Rundschau-Interview.

Seit dem 1. Juli ist eine der profiliertesten Kölner Kämpferinnen für Frauen- und Mädchenrechte im Ruhestand: Frauke Mahr, ehemalige Geschäftsführende Vorständin der Lobby für Mädchen.

Hinter Ihnen liegen 33 Jahre Arbeit für die Lobby für Mädchen, gut fünf Jahrzehnte feministische Aktionen. Was überwiegt: Das Gefühl, dass noch viel zu tun ist oder dass viel erreicht wurde?

Es kommt immer ein bisschen drauf an, in welcher Stimmung ich bin. Wenn ich gut gelaunt bin, denke ich: Also in diesen 33 Jahren beim Mädchenhaus-Verein hast du mit wechselnden Kolleginnen, meistens längere Arbeitsbeziehungen, doch echt was aufgebaut. Als wir angefangen haben, gab es nur Gegenwind. Wir haben inzwischen eine super Beratungs- und Präventionsstelle, wir haben zwei Mädchenzentren. Wir haben Yuna zum Thema weibliche Genitalbeschneidung. Wir arbeiten seit einigen Jahren sehr intensiv zum Thema Gewaltschutz speziell für Mädchen und weibliche Jugendliche mit sogenannten Behinderungen. Es ist viel entstanden. Aber es hat sich nicht so viel verändert, wie ich das möchte.

Als Sozialpädagogikstudentin haben sie 1976 mit anderen das erste selbstverwaltete Frauenhaus Westdeutschlands in Köln gegründet. Sind wir seitdem entscheidend weitergekommen?

In den 1970er Jahren sind wir auf der Straße angepöbelt worden, wenn wir das Thema Gewalt gegen Frauen bei Infoständen angesprochen haben. Ich habe noch ein Bild vor Augen: Wir stehen auf der Schildergasse, es kommen eine Frau und ein Mann, die zusammen unterwegs sind, und wir versuchen die Frau anzusprechen. Der Mann zieht die weg. Das passiert heute weniger. Es ist durch die Frauenhaus-Arbeit gelungen, dass es auch politisch immer mehr Thema wird, wie sehr Gewalt gegen Frauen Alltag ist. Aber wie sieht es bitte mit der Hilfe aus, die Vater Staat gibt? Wir haben in Köln zwei Frauenhäuser, wir bräuchten drei, vier und die Frauenhaus-Frauen ringen seit Jahren.

Zu ihrem Abschied haben Sie den Ratsparteien öffentlich einen Brief übergeben, in dem Sie fordern, dass der Beschluss des Jugendhilfeausschusses umgesetzt und ein Fachberat für Mädchenarbeit geschaffen wird. Warum ist Mädchenpolitik wichtig?

Mädchenpolitik ist für mich die andere Hälfte der erfolgreichen Frauenpolitik. Dieser Fachbeirat ist ein kommunalpolitisches Steuerungsinstrument, um die Rechte umzusetzen und Strukturen zu schaffen. Die Aktion hat etwas gebracht, das Thema Fachbeirat soll in der nächsten Ratssitzung auf der Tagesordnung sein. Mir war wichtig, ein Thema, das ich mädchenpolitisch für eminent wichtig halte, noch mal zu platzieren.

Warum? Gleichberechtigung ist doch gesetzlich zugesichert.

Von Gleichstellung, also der Umsetzung der Gleichberechtigung in das Alltagsleben, sind wir doch sehr, sehr weit entfernt. Ein Beispiel: Mädchen werden unabhängig vom sozialen Status immer noch damit groß, dass ihnen sexualisierte Gewalt droht. Für sie ist es Thema, dass sie sich schützen müssen, auf sich aufpassen, dass sie überlegen müssen …  Dabei werden oft die Mädchen in die Verantwortung für sich genommen und es wird sehr wenig auf die andere Seite geguckt: Wer erzieht eigentlich die Jungen dahin, nicht Täter zu werden?

Da ist dann Jungenarbeit gefragt.

Ja eine reflektierte Jungenarbeit ist definitiv ebenso wichtig wie Mädchenarbeit. Aber ich weiß nicht, wer die so macht. Ich finde, dass Jungen viel vorenthalten wird, weil es zu wenig Männer-Pädagogen gibt. Es sind einfach zu wenige, die bereit sind, sich mit Jungen reflektiert auseinanderzusetzen und die auch vermitteln können: Mannsein ist schön.

Warum ist es denn so ungeheuer schwierig, Gleichstellung zu praktizieren?

Ich glaube, bestimmte politische Momente kommen in der Analyse oft ein Stück zu kurz. Es gibt einen Satz von Marcuse, den finde ich so was von passend zum Thema. Er hat gesagt: Sexualität wird im Spätkapitalismus als ein gut verkäuflicher Konsumartikel genutzt und die ungehemmte Triebbefriedigung von Männern dient auch dazu, von ungelösten gesellschaftlichen Problemen abzulenken. Ich denke, da ist unglaublich viel dran. Es geht ums Verkaufen. Es geht ums Darstellen. Es geht um Frauen als Objekte und Männer in der beherrschenden Rolle. Ich finde, solche Analysen gerade auch zu den Geschlechterthemen, müssten viel mehr stattfinden. Ich glaube, eine ganz wichtige Frage für Feministinnen und für jeden Mensch, der gesellschaftlich etwas ändern will, ist: Wer verdient an dem, was passiert? Wer verdient daran, dass es bleibt, wie es ist und nicht wirklich vorwärts geht? Ich glaube, dass das wir noch lange nicht die die Diskussionen führen, die wir als Gesellschaft zu führen haben.

Was wünschen Sie sich konkret?

Ich will, dass Männer sich anders verhalten, Männer, die sexuelle Gewalt verüben, Grenzen nicht achten. Ich wünsche mir sehr, dass andere solidarisch mit denen umgehen, die das offen machen. Dass sie sagen, dass das einfach ein NoGo ist und nicht spekulieren. Und ich möchte gerne, dass Arsch huh oder andere endlich eine ganz große Veranstaltung gegen Gewalt an Frauen und Mädchen machen. Das möchte ich wirklich gerne noch erleben.

Ich möchte gerne, dass Arsch huh oder andere endlich eine ganz große Veranstaltung gegen Gewalt an Frauen und Mädchen machen. Das möchte ich wirklich gerne noch erleben.

Wie geht es jetzt als 71-Jährige bei Ihnen weiter?

Ich höre ja nicht auf, Feministin zu sein, wenn ich nicht mehr erwerbstätig bin. Ich höre nicht auf, überzeugt für Mädchenpolitik und Mädchenarbeit einstehen zu wollen. Aber ich kann einen anderen Rhythmus wählen. Ich kann mir Ruhe gönnen. Ich kann mal einen schönen Leserinnenbrief platzieren. Es kann natürlich sein, dass ich nach ein paar Monaten denke, dass ich eine Aktion auf die Beine stellen muss. Ich habe ja immer parallel zur Lobby für Mädchen Dinge gemacht, wenn mir etwas am Herzen lag. Zum Beispiel im November eine Mahnwache vor der Synagoge, weil es mich unglaublich entsetzt hat, dass zu diesem bestialischen Übergriff der Hamas speziell auch auf Frauen und Mädchen, ein solches Schweigen von Feministinnen war. Ich werde das, was ich mache, meinem Älterwerden anpassen.

Auch so ein Thema, auf das nicht gerne geguckt wird …

Dass darüber so wenig geredet wird miteinander, finde ich echt schwierig. Als ob man mich trösten müsste, weil ich älter bin, anstatt zu sagen: Ey, Gratulation, du hast es geschafft. Es ist schon seltsam, älter zu werden. Eine künstliche Hüfte zu haben. Und dies und das zu haben. Das ist eine schlichte und kränkende Tatsache, dass Älterwerden oft mit gesundheitlichen Einbußen verbunden ist. Aber Fakt ist auch: Das Leben ist schön.


Zur Person

33 Jahre war Frauke Mahr im Verein Lobby für Mädchen tätig. Dabei lange als Geschäftsführende Vorständin.

Geboren wurde sie 1953 im Severinsklösterchen. Während ihres Studiums der Sozialpädagogik schloss sie sich dem späteren Verein „Frauen helfen Frauen“ an, der sich mit Gewalt gegen Frauen auseinandersetzte.

2020erhielt Frauke Mahr als erste den Else-Falk -Preis, mit dem Stadt Köln sie für ihr langjähriges und außergewöhnliches Wirken für die Gleichstellung ehrte.

Nachfolgerin von Frauke Mahr als Geschäftsführende Vorständin der Lobby für Mädchen ist Ulrike Goldbach, die vom Kompetenzzentrum Frau und Beruf Region Köln kommt. 

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