Die Kölner Drogenhilfe schaut auf 50 Jahre voller Erfolge, aber auch Rückschläge zurück. Warum Schadensbegrenzung manchmal der bessere Weg ist, was sich in den letzten Jahren verändert hat und was die großen Herausforderungen der Zukunft sind.
„Einfache Lösungen gibt es nicht"Kölner Drogenhilfe seit 50 Jahren Vorreiter bei Hilfe für Suchterkrankte
Neben der Slackline dreht sich ein Glücksrad, eine 3D-Projektion simuliert einen Abgrund. Weil sie über die Slackline balancieren und ihn überwinden wollen, stehen die Jugendlichen Schlange. Rundum flirren Videospiele. „Um Jugendliche mitten in der Gamescom an unseren Stand zu bekommen, mussten wir uns etwas einfallen lassen“, sagt Markus Wirtz, Geschäftsführer der Drogenhilfe Köln. „Es hat funktioniert.“
Videospiele können große Sogwirkung entfalten. Durch einen ersten Kontakt zu helfen, Sucht zu verhindern, sei heute eine wesentliche Aufgabe der Drogenhilfe, so Wirtz. Jugendliche, die ein Gefühl dafür mitnehmen, wann es gefährlich wird. Ein 70-Jähriger, der seine Heroinsucht dank der Drogenersatztherapie überlebt hat. Eine Nachbarschaft, die eine Substitutionsambulanz nicht als Teil des Problems, sonders als Teil der Lösung wahrnimmt. Die Erfolge der Drogenhilfe Köln, die vor 50 Jahren gegründet wurde, haben unerwartete Gesichter. „Suchtfreiheit ist unser übergeordnetes Ziel. Aber wir haben in 50 Jahren auch gelernt, dass einige unserer kranken Klienten dieses Ziel nicht schnell erreichen können. Hier arbeiten wir mit bedarfsgerechten Zwischenzielen und nach dem Prinzip der Schadensminimierung.“
Menschen zwischen Obdachlosigkeit, Haft und Wohnangeboten
Deshalb beschritt die Drogenhilfe 1989 einen neuen Weg, um Menschen aus dem Kreislauf von Sucht, massiver Gesundheitsgefährdung, Beschaffungsprostitution und -kriminalität herauszuhelfen. „Die Kölner Methadonambulanz war eine der ersten in Deutschland. Sie rettet das Leben von Menschen, die wir anders nicht erreichen können“, sagt Andreas Sevenich, Leiter der Ambulanz am Neumarkt. „Harm reduction“, Schadensbegrenzung, ist die kühle Umschreibung für Projekte in diesem Grenzbereich. Methadonambulanzen etwa, oder die Notschlafstelle für Menschen, die illegale Drogen konsumiert haben. Und die später vielleicht auch das Wohntraining der Drogenhilfe in Nippes oder Dellbrück annehmen. „Wir haben Menschen hier, die mit 40 Jahren noch nie eine Wohnung hatten, die zwischen Obdachlosigkeit, Haft und Wohnangeboten von Institutionen kreiseln. Manche bleiben länger hier, ihnen können wir etwas Stabilität vermitteln. Und Lebensangst nehmen.“
Zehn Plätze gibt es in Nippes, in Doppelzimmern, so sind die Vorgaben der Finanzierung. Wer es schafft zu bleiben, bekommt Hilfe dabei, seine Schulden zu ordnen oder wieder zurück in die Sozialsysteme zu kommen. Die Eröffnung der Diamorphinambulanz ist ein weiterer Meilenstein. Hier bekommen schwerst suchtkranke Menschen, bei denen die Ersatzstoffe nicht wirken, Heroin. „Sie konsumieren unter hygienischen Bedingungen, Ärzte versorgen ihre drogenbedingten Ausschläge“, sagt Wirtz. „Und sie fallen nicht mehr in die Beschaffungskriminalität, können im Rahmen ihrer Möglichkeiten sogar wieder am gesellschaftlichen Leben teilhaben.“
Die 80 Plätze sind nicht immer voll besetzt, weil sehr streng reglementiert ist, wer teilnehmen darf. In allen Kölner Substitutionsambulanzen gibt es ein Beratungsangebot. Das war lange verpflichtend. Nach einer Gesetzesänderung vor einigen Jahren ist es freiwillig. „Man kann medizinische Leistungen nicht Menschen vorenthalten, die eine Sozialberatung ablehnen, so der Gedanke dahinter. Ein Teil der Klienten bleibt jetzt weg. Auf sie gehen wir immer wieder neu zu. Einfache Lösungen gibt es nicht“, sagt Wirtz. Rückschläge schon. Nach einer polizeilichen Kriminalstatistik sind 2021 in Köln 74 Menschen durch Drogenkonsum gestorben – ein Negativrekord, der viele Gründe haben kann, so Wirtz. „Der Konsum hat in den Pandemiejahren zugenommen, manche haben Hilfsangebote aus Angst vor Corona nicht wahrgenommen. Und selbst Heroin und Crystal bekommt man heute über Foren im Internet.“
Trotzdem gibt es große Erfolge. „Vor 20 Jahren wurden Menschen, die an illegalen Drogen gestorben sind, im Schnitt 35 Jahre alt“, sagt Wirtz. Heute sind nach einer Statistik der Kriminalpolizei 44 Jahre. Daran habe auch die erfolgreiche Substitutionstherapie Anteil, sagt Andreas Sevenich. Was dann fehlt, sind Wohnungen. Dazu werde ein neuer, gravierender Mangel immer spürbarer. „Weil unsere Klienten älter werden, brauchen Sie einen Platz in einer Pflegeeinrichtung. Das ist jetzt schon sehr schwierig.“ Und so gut wie nie übernähmen ambulante Dienste die Pflege von Menschen in Methadontherapie. Große Herausforderungen für die kommenden Jahre, die von der Politik dringend angegangen werden müssten, so Wirtz. Und für die in den Niederlanden bereits Lösungswege gesucht werden – mit einem Pflegeheim für ehemals suchtkranke Menschen.