Die Obdachlosigkeit droht täglichStiftung betreut junge Menschen ohne Wohnung in Köln
Köln – „Wir waren bei Freunden untergekommen. Dann gab es Probleme, und mein Freund und ich standen plötzlich auf der Straße“, schildert Diana (19), die ihren richtigen Namen nicht nennen möchte, ihre schwierige Situation. Mit Schulden und ihrem restlichen geliehenen Geld mieteten sie sich in einem günstigen Hotel ein, um nicht im Obdachlosenheim übernachten zu müssen. Draußen schlafen mussten sie Gott sei Dank noch nicht, erzählt sie.
Diana sieht man ihre Probleme nicht an. Vor Corona hatte sie als Kellnerin gejobbt. Mit den Schließungen der Bars und Clubs brach diese Einnahmequelle weg. Ihr Freund hat im Drogenmilieu als Kleindealer illegal mitverdient, um finanziell über die Runden zu kommen. Wegen eines anderen Deliktes ist er seit Anfang Dezember in Untersuchungshaft. Beide haben keinen oder kaum noch Kontakt zu den Eltern und werden nicht mehr von ihnen unterstützt. „Mit meinem Vater will ich keinerlei Kontakt mehr haben, und meine Mutter lebt in Peru“, erzählt Diana. Keine Arbeit, kein Geld, keine Perspektiven – die Lage wurde nun brenzlich. Irgendwann hatte die 19-Jährige dann von den „Sofahoppern“ der „Off Road Kids“-Stiftung im Internet erfahren. Die Streetworker der privaten Hilfsinitiative haben täglich mit ähnlichen Biografien wie der von Diana und ihrem Freund zu tun.
Einer davon ist Nikolas Eiche. Er betreut Diana seit Mitte Oktober. Nun kommt sie dienstags und freitags einmal vorbei, um zu reden und sich über Neuigkeiten zu informieren. „Wir sprechen über mögliche Lösungen, wie Diana aus ihrer Situation herauskommen kann. Aber auch Privates ist Thema, wenn sie das möchte“, erzählt der 29-jährige Sozialpädagoge. Manchmal gehe man auch einfach nur zum Geldautomaten, damit sie das Hotelzimmer weiter bezahlen kann. Die Stiftung halte für Fälle wie den von Diana, die von jeglicher staatlicher Unterstützung gekappt ist, einen Fonds für kleinere Notzahlungen bereit, so Eiche.
Aufgabe: Lösungen für Systemfehler zu finden
Colin Emde (46), sein Kollege und Leiter der ORK-Streetworker-Station Köln, beschreibt das Dilemma, in dem sich junge Menschen wie Diana und ihr Freund befinden. Im Falle von Minderjährigen bis 18 Jahre sei die Rechtslage eindeutig: Das Jugendamt ist zuständig und übernimmt die Versorgung hinsichtlich Wohnung und finanzieller Ausstattung. „Diana und viele andere junge Menschen bis 27 Jahre, die zu uns kommen, fallen durch das Sozialsystem“, beklagt Emde. Sie werden an das Jobcenter und das Sozialamt verwiesen. Doch wer keine Wohnung hat, bekommt auch keinen festen Job. Bei der Beantragung von Sozialleistungen sind viele von dem bürokratischen System überfordert. Und ohne diese hat man aber auch keine Chance auf eine Wohnung. „Das ist ein Teufelskreis, aus dem viele überforderte junge Menschen kaum allein herauskommen“, erläutert Emde weiter.
Hinzu komme, dass diese jungen Menschen oft schlecht ausgebildet seien, Schulden haben und in ihrer Persönlichkeitsentwicklung noch nicht soweit sind, alleine mit den Problemen und Anforderungen auf den Ämtern und am Arbeitsmarkt zurecht zu kommen. „Sie brauchen definitiv Hilfe und wir versuchen mit unserer Erfahrung und guten Kontakten die Hürden zu überwinden, damit unsere Klienten wieder Fuß fassen in unserer Gesellschaft“, so Emde.
Die wichtigste „Baustelle“ für Diana ist aktuell der Erhalt eines Passes. Das Problem: Die Mutter ist Peruanerin und die peruanischen Behörden arbeiten langsam. „Wir reden hier von bis zu fünf Monaten.“ Bis dahin werde die Wohnungssuche wohl erfolglos bleiben, so Streetworker Nikolas Eiche. Es gebe noch die Chance einer so genannten „Fiktionsbescheinigung“ als Pass-Ersatz. Doch dazu benötige man wiederum zumindest eine Meldeadresse in einer deutschen Stadt oder Gemeinde. „Somit drehen wir uns wieder im Kreis. Das ist oft frustrierend – für uns und für unsere jungen Klienten“, beklagt Eiche. Sie hoffen aktuell darauf, dass das Amt eine Ausnahme mache und die Fiktionsbescheinigung auch ohne Wohnsitz ausstelle.
Wie sieht Dianas Leben aktuell in der „Warteschleife“ aus? „Ich bin ganz viel auf meinem Hotelzimmer und hänge einfach ab. Ein bisschen mit dem Handy surfen, das war’s“, erzählt sie ohne Ausflüchte. Das Handy habe sie zu ihrer Freude von ORK bekommen. „Damit kann ich mich jederzeit bei Nikolas und den anderen melden. Das hilft sehr“, sagt sie. Freunde in der Straßenszene und sonst habe sie momentan nicht. Der Besuch im ORK-Büro sei die beste Abwechslung zur Zeit.
Leben in der Warteschleife
„Dass mein Freund nicht da sein kann, zieht mich natürlich oft runter. Das belastet mich sehr.“ Fast beiläufig erzählt sie, dass sie ein Kind von ihm bekomme. „Ich bin im vierten Monat schwanger“, sagt sie. Früher habe sie ein geregeltes Leben gehabt. „Es ist sehr traurig, dass alles so gekommen ist. Ich bin oft verzweifelt darüber. Dann stehe ich auf und frage mich, was ich überhaupt den ganzen Tag über tun soll.“
Colin Emde und seine Mitarbeiter wissen, wie schnell junge Menschen in Dianas Lage abrutschen können. Mittlerweile ist die Straßenszene zwar nicht mehr so sichtbar wie noch vor einigen Jahren. Wie Diana und ihr Freund kommen viele mal für zwei Wochen bei Freunden unter und dann woanders bei Bekannten. Aber ohne Ausbildung und Perspektiven sei die Gefahr groß, dass sie irgendwann auf der Straße landen, so Emde.
Daran will Diana gar nicht denken. Was sie sich denn für das kommende Jahr wünsche: „Ich möchte eine Chance bekommen auf eine eigene Wohnung, in dem ich mein Kind groß ziehen kann.“ Und dann gibt sie noch allen Leute, die da draußen ähnliche Probleme haben wie sie, den Rat, sich Hilfe zu suchen – zum Beispiel bei den Streetworkern von „Off Road Kids“.