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Sieger-Architekturbüro präsentiert EntwurfSo wird das  Migrationsmuseum in Köln-Kalk aussehen

Lesezeit 4 Minuten
Die Schienen der historischen Industriehalle leiten die Besuchenden in den Museumsbereich.

Die Schienen der historischen Industriehalle leiten die Besuchenden in den Museumsbereich.  

Das Migrationsmuseum  „Selma“ setzt auf Beteiligung und lässt Besuchende selbst entscheiden, in welcher Reihenfolge sie die Exponate entdecken wollen.   

Wer dieses Museum betritt, wird Teil seiner Geschichte. Über alte Schienen führt der Weg herein in die Industriehalle 70 auf dem ehemaligen Areal von Klöckner-Humboldt-Deutz, die 200 Meter lange und 34 Meter hohe Stahlkonstruktion bietet Raum für das moderne Konzept des „Museum Selma“. Gestern stellte das Architekturbüro „Atelier Brückner“ seinen Entwurf für das geplante Migrationsmuseum vor. Es überzeugte die Jury nach einer europaweiten Ausschreibung, die das Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland (DOMiD) als Träger des Museum initiiert hatte. Das Stuttgarter Büro hatte die Vorgaben „Öffnung zum Stadtteil, Nachhaltigkeit, Partizipation und Digitalität“ am besten umgesetzt.

„Uns hat die offene und flexible Raumaufteilung ebenso überzeugt wie die nachhaltige Bauweise“, erklärt Yordanos Asghedom, Projektleiterin Museumsbau bei DOMiD. Dazu zählen etwa der behutsame Umgang mit den industriellen Elementen, denn Kranbahnen, Türöffnungen, Schienen sowie die Spuren an Wänden und Stahlträgern der ehemaligen Industriehalle bleiben erhalten.

Migration als ein prägender Teil deutscher Geschichte

So ungewöhnlich und innovativ wie die der Ausstellungsort sind auch das Konzept des Museums und seine Bezüge zum umgebenden Areal. Dass Migration ein prägender Teil deutscher Geschichte ist, soll hier anhand individueller Zeitzeugnisse, die dem Trägerverein DOMiD über mehr als drei Jahrzehnte hinweg zur Verfügung gestellt wurden, auch emotional erfahrbar werden. Darunter sind Postkarten von Gastarbeitenden an ihre Kinder in der Türkei ebenso wie das erste hier genähte Kleid einer aus Togo geflohenen Schneiderin und Tonaufzeichnungen von Gesprächen mit Zeitzeugen.

Der großzügige Eingangsbereich, offen für alle Menschen im Quartier, ist Teil des Konzepts. Die alten Industrieschienen leiten Besuchende ins Museum Selma.

Der großzügige Eingangsbereich, offen für alle Menschen im Quartier, ist Teil des Konzepts. Die alten Industrieschienen leiten Besuchende ins Museum Selma.

Die Beteiligung von Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte ist ein wesentlicher Bestandteil des Museumskonzeptes und wird auch nach der geplanten Eröffnung im Jahr 2029 kontinuierlich fortgeführt. Besuchenden sollen die Ausstellungen individuell entdecken und erfahren können. „Wir machen keine Vorgaben, in welcher Reihenfolge sie sich mit den Exponaten oder den zeitgeschichtlichen Abschnitten beschäftigen sollen“, so DOMiD-Sprecher Timo Glatz. Geleitet werden die Besucherinnen und Besucher dabei lediglich durch Elemente der alten Industriearchitektur. So bewegen sie sich auf dem Schienenweg durch den offenen Bereich der nebenliegenden Halle 71 in das Museum herein. „In der Halle 70 ist eine Bewegungsrichtung durch die Oberlichter über die gesamten Länge des Hallendaches angedacht. Von dort aus können sich Besuchende in Bereiche im Inneren der Halle orientieren“, erläuterte Michael Casertano vom Atelier Brückner, das im Jahr 2010 bereits die Ausstellungsgestaltung für das Rautenstrauch-Joest Museum konzipiert hat.

Wir haben eine guten Job gemacht, wenn die Menschen sagen: Das habe ich noch nicht gewusst, so habe ich die deutsche Geschichte noch nicht gesehen.
Robert Fuchs, DOMiD-Geschäftsführer

Im Zentrum der Halle 70 schildert eine Dauerausstellung die deutsche Geschichte von 1945 bis 2025 in einem runden, nach Jahrzehnten aufgefächerten Areal. Von dort aus können Aspekte dieser Geschichte in Konzept-Kuben aus Holz vertieft werden – etwa zu den Themen  Alltag, Gefühl oder Ereignisse. „Als Kultur- und Begegnungsstätte soll das Migrationsmuseum Raum bieten, um zentrale Fragen um Identität, Zusammenleben und Teilhabe zu diskutieren“, skizzierte DOMiD-Geschäftsführer Robert Fuchs einen weiteren wesentlichen Aspekt. Deshalb wird es neben Ausstellungen auch Kulturveranstaltungen, Forschung, das Archiv, einen Kinosaal, ein Digital-Labor, Flächen für Kinder und modulare Veranstaltungsräume unter dem Dach der Halle 70 geben. Auch wird die mehr als 150.000 Objekte zählende Sammlung in moderne Depoträume nach Kalk ziehen. „Wir haben eine guten Job gemacht, wenn die Menschen sagen: Das habe ich noch nicht gewusst, so habe ich die deutsche Geschichte noch nicht gesehen“, sagte der DOMiD-Geschäftsführer.

Im Zentrum des Konzeptraumes „Liebe“ könnte ein Raum stehen, in dem Besuchende das Gesehene verarbeiten können. Gegenseitige Akzeptanz oder die Trennung der Gastarbeitende von ihren Kindern sind Beispiele für diese Emotion in der Migrationsgeschichte.

Im Zentrum des Konzeptraumes „Liebe“ könnte ein Raum stehen, in dem Besuchende das Gesehene verarbeiten können. Gegenseitige Akzeptanz oder die Trennung der Gastarbeitende von ihren Kindern sind Beispiele für diese Emotion in der Migrationsgeschichte.

Die benachbarte Halle 71 wird nach aktuellen Planungen der Stadt als öffentliche „Freilufthalle“ entwickelt. „Schon der Eingang des Museums wird ein Erlebnis“, so Fuchs. Besuchende kommen über die Freilufthalle ins Foyer. Hier sind weite Flächen frei zugänglich und laden Menschen ein, sich hier aufzuhalten – unabhängig von einem Besuch der Ausstellung. Das Museum Selma folgt damit der Vorstellung von Museen als attraktiven „Dritten Orten“, an denen man gerne Zeit verbringt und wo nichts konsumiert werden muss. Im nördlichen Bereich der Halle wird es außerdem einen frei nutzbaren Durchgang geben.

Dämmung der Außenwände und flexible Beheizung Finanziert wird das Museum mit rund 10.000 Quadratmetern Fläche wesentlich durch Bund und Land mit je 22,13 Millionen Euro sowie durch Eigeneinahmen des Trägers. Seine energetische Sanierung umfasst die Dämmung der Außenwände sowie eine variable Beheizung; so können etwa die Kuben, in denen sich Besuchende länger aufhalten, stärker erwärmt werden als andere Hallenbereiche. Die Stadt stellt Gebäude und Grundstück zur Verfügung und entwickelt Teilbereiche des alten KHD-Areals zum gemeinwohlorientierten Quartier. „Erbaut wurde die Industriehalle in den Jahren 1913 bis 1916“, sagt Projektleiterin Asghedom. „Jetzt wird die Geschichte dieser mehr als 100 Jahre alten Halle weiter geschrieben. Mit dem Museum Selma.“