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„Brautkleid der Einschulung“Wenn der Kauf des Schulranzens zum Mega-Erlebnis wird

Lesezeit 5 Minuten
Der neue Ranzen wird vor der Fotowand demonstriert

Der neue Ranzen wird vor der Fotowand demonstriert, hier beim Schulranzen-Kauf bei Lederwaren Voegels.

Der Schulranzenverkauf hat aktuell seinen Höhepunkt: Die meisten Ranzen werden vor Ostern verkauft.

Ein kurzer Jubel von Mutter und Verkäuferin, und Kalle steigt stolz mit seinem neuen Ranzen auf das Podest. „Schulkind 2025“ steht auf großen Lettern hinter ihm, daneben eine aufsteigende Rakete. Schnell das Handy raus und den Moment für die Ewigkeit festhalten. Danach geht das Bild per Whatsapp an die Oma. Vorher hat Kalle, gerade sechs geworden, drei Schulranzen-Modelle im Geschäft Probe getragen und sich dann einen in seinen Lieblingsfarben ausgesucht: grün und blau, mit Tiermotiven, die per Klett an dem Ranzen anhaften.

Der Schulranzen-Kauf ist längst zum Event geworden. Zwei Kölner Fachgeschäfte, Ortloff und Lederwaren Voegels, arbeiten sogar mit einer Terminvergabe: Bis zu eine Stunde lang werden Kinder und Eltern ausführlich beraten. Am Ende steht meist ein glückliches Kind, während Mama oder Papa an der Kasse ein kleines Vermögen bezahlen. Das erinnert an den Kauf eines Brautkleides: ein geplantes Einkaufserlebnis und emotional aufgeladen. Denn der Ranzen soll nicht nur gut aussehen, er soll dem Kind auch Selbstbewusstsein schenken, wenn es vom Kindergarten in die Grundschule wechselt.

Die meisten Verkäufe schon im März

Dem besonderen Tag - in diesem Fall nicht die Hochzeit, sondern die Einschulung - wird oft lange entgegengefiebert. So sehr, dass sich auch der Kaufzeitpunkt des Ranzens deutlich nach vorne geschoben hat. Das sagt auch Martin Voegels, Inhaber des gleichnamigen Lederwaren-Fachgeschäfts in der Kölner Innenstadt. „Die meisten Schulranzen verkaufen wir im März“, sagt Martin Voegels. „Die neuen Kollektionen gibt es meist ab November, die ersten Käufer kommen bereits im Januar.“ „Schulranzen sind ein klassisches Ostergeschäft“, sagt auch der Geschäftsführer der Galeria-Filiale auf der Hohe Straße, Wenkal Bathija. Der zweite Schwung komme dann noch mal kurz vor den Sommerferien. Die Samstagstermine im März und April sind bei Voegels fast schon weg. „Durch die Terminvergabe können wir den Personaleinsatz noch besser planen“, so Martin Voegels. Nach der Corona-Pandemie, als die Zahl der Menschen im Geschäft noch beschränkt werden musste, habe man dieses System beibehalten. „Das ist eine Win-Win-Situation für alle, denn auch die Familien müssen dann nicht warten.“ Dennoch sei es natürlich möglich, auch ohne Termin vorbeizukommen.

Bei Lederwaren Voegels richtet sich die Urlaubsplanung nach dem Saisongeschäft. Was nicht verwunderlich ist: Das Familienunternehmen macht mit den Ranzen rund 30 Prozent des Jahresumsatzes. Bei Ortloff in der Zeppelinstraße sind es rund zehn Prozent. In der Spitze arbeiten dort sechs Mitarbeitende gleichzeitig in der Ranzen-Abteilung, sagt Verkäufer Sascha Heinrichs. Warum die Ranzen-Saison bereits mehr als ein halbes Jahr vor der Einschulung beginnt, erklärt sich Martin Voegels durch die gesteigerte Aufmerksamkeit für das Thema: „In den sozialen Medien wird das Thema Schulranzen mittlerweile auch von Influencern rauf und runter gespielt.“ Sogar Eltern von Kindern, die genau wissen, dass sie gar keinen Ranzen brauchen - weil sie ihre Lernmaterialien immer in der Schule lassen - kämen zum Ranzenkauf. „Das gehört für viele einfach dazu.“ Bei Ortloff sei eine Familie sogar mal mit zwölf Personen gekommen. „Das ist für das sowieso schon aufgeregte Kind doch etwas viel“, so Verkäufer Heinrichs.

Personalisieren kann man die Ranzen mit Klettbildern, Anhängern oder Magneten.

Wenn das glitzernde Einhorn in der dritten Klasse nicht mehr so beliebt ist, kann man einfach einen Piraten oder ein Skateboard anheften.
Martin Voegels, Inhaber Lederwaren Voegels

Wo es früher eher um Funktionalität ging, gehe es heute vor allem um Sicherheit und Ergonomie, sagt Wenkal Bathija. Und um Trends natürlich. Einen gehen fast alle Hersteller mit: Durch Anhänger, Klett- oder Magnetbilder kann der eigene Ranzen personalisiert werden. „Wenn das glitzernde Einhorn in der dritten Klasse nicht mehr so beliebt ist, kann man einfach einen Piraten oder ein Skateboard anheften“, so Voegels. 

Preise zwischen 250 und 300 Euro

Die Kölner Marke „Ergobag“ sowie „Step by Step“ aus dem bayrischen Monheim stellen rund 80 Prozent der verkauften Ranzen bei Lederwaren Voegels dar - dabei gibt es aber auch noch eine Handvoll anderer Marken. Die modernen Ranzen wachsen durch ein verstellbares Rückenteil mit, damit sie die Grundschulzeit über passen, und sind hochwertig und nachhaltig produziert. „Es ist eine Investition für mehrere Jahre“, so Wenkal Bathija. „Das rechtfertigt meiner Meinung nach auch die Preise“, sagt Martin Voegels.

Zwischen 250 und 300 Euro kostet der Großteil der Schulranzen, Vorjahresmodelle deutlich weniger. Dabei sind immer zwei Mäppchen für Stifte und ein Turnbeutel. Wird weiteres Zubehör gekauft, wie Trinkflaschen, Brotdosen oder Geldbeutel, sind es an der Kasse auch schnell mal bis zu 500 Euro, sagt Sasche Heinrichs von Ortloff und verrät: „Wir haben sogar den mit 400 Euro teuersten Ranzen zweimal verkauft.“ Der sei von der Marke Scout - mit eigenem LED-Display.

Polaroid auf der „Siegertreppe“

Zu kaufen gibt es die Modelle natürlich auch im Online-Handel. Die Fachhändler vor Ort setzen daher auf persönliche Beratung von geschultem Personal, das Probe tragen und Einstellen des Ranzens - aber auch auf den Event-Charakter. Bei Ortloff wird auf einer „Siegertreppe“ ein Polaroidfoto mit dem neuen Ranzen geschossen, im Aktionszeitraum Anfang März gab es Glitzertattoos und Kinderschminken. „Da geht es zu wie bei einem bunten Kindergeburtstag, bei den Eltern ist das sehr beliebt“, sagt Sascha Heinrichs. Die Fotowand gibt es auch bei Galeria auf der Hohe Straße. Feste Termine werden dort zwar nicht angeboten, aber an drei Samstagen Ende März und Anfang April begleiten Verlosungen, Luftballons, Malaktionen und kostenloses Popcorn den Ranzenkauf - als „Ranzenmesse“.


Zuschüsse und Spenden

In Köln werden jedes Jahr rund 10.000 Grundschülerinnen und Grundschüler eingeschult. Nicht alle könnne sich das teure Schulmaterial leisten. Alle Erstklässler mit einem Köln-Pass können bei der Stadt Köln einen einmaligen Zuschuss von bis zu 100 Euro für die Anschaffung von Schulmaterialien beantragen. Dies ist auch möglich, wenn der Köln-Pass nicht das ganze Schuljahr gültig ist. Nach Angaben der Stadt haben rund 1750 Kölner Kinder das Angebot in den vergangene Schuljahren in Anspruch genommen. Der Antrag kann auf der Internetseite der Stadt Köln heruntergeladen werden.

Mit dem Projekt „Wir starten gleich – Kein Kind ohne Schulranzen!“ setzt sich der Kölner Tatort-Verein seit 2012 dafür ein, Kindern aus finanziell benachteiligten Familien in mehreren Städten einen guten Start in die Schulzeit zu ermöglichen. Das Herzstück des Projekts ist die Bereitstellung hochwertiger Schulranzen-Sets. Kindergärten und andere Einrichtungen geben den Bedarf an den Verein weiter, ein örtlicher Händler, in Köln Lederwaren Voegels, kümmert sich um den Kontakt zu Herstellern und die Logistik. In diesem Jahr sollen laut Verein im  Mai wieder rund 800 Ranzen an Kölner Kinder kostenlos verteilt werden.