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Revolution auf dem RheinRheinschiffe werden jetzt aus der Ferne gesteuert

Lesezeit 5 Minuten
Blick auf einen Arbeitsplatz im Kontrollzentrum von "Seafar" in Antwerpen. Von hier aus werden Binnenschiff ferngesteuert.

Blick auf einen Arbeitsplatz im Kontrollzentrum von 'Seafar' in Antwerpen. Von hier aus werden Binnenschiff ferngesteuert - ab sofort auch von Duisburg aus.

Kapitäne können Frachtschiffe auf dem Rhein jetzt von Land aus steuern. Am heutigen Mittwoch geht in Duisburg Deutschlands erstes Kontrollzentrum in Betrieb. Mit dabei: der Kölner Logistikriese HGK.

Revolution auf dem Rhein: Heute nimmt auf dem Haniel Campus in Duisburg die erste operative Fernsteuerungszentrale für die Binnenschifffahrt in Deutschland ihren Betrieb auf. Von hier aus können ab sofort Frachtschiffe vom Schreibtisch aus per Bildschirm ferngesteuert werden. Auch der Kölner Logistikkonzern Häfen und Güterverkehr Köln AG (HGK) ist mit seiner Tochtergesellschaft HGK Shipping dabei.

Betreiber des hochmodernen Kontrollzentrums ist das 2018 gegründete Start-up „Seafar“ mit Sitz in Antwerpen. In der belgischen Hafenmetropole sowie in Charleroi südlich von Brüssel betreibt Seafar bereits zwei Zentralen für die Fernsteuerung von Binnenschiffen. „Wir haben eine Technologie entwickelt, um Schiffe mit Hilfe von Kameras, Abstandssensoren und Funktechnik sicher und effizient aus der Ferne steuern zu können“, erläutert Janis Bargsten, Chief Commercial Officer (CCO) von Seafar.

Ein Schiffsführer steuert vom Kontrollzentrum aus ein Binnenschiffe aus der Ferne.

Nur ausgebildete Schiffsführer mit allen notwendigen Patenten dürfen vom Kontrollzentrum aus Binnenschiffe fernsteuern.

Mehr als 30 Frachter wurden bereits mit der neuen Technik ausgestattet. Dabei geht es nicht darum, Schiffe vollautomatisch über Flüsse und Kanäle schippern zu lassen wie von Geisterhand. Der Mensch behält das Kommando – wenn auch aus der Ferne. Hauptmotivation sei der Fachkräftemangel in der Branche, betont Bargsten. „Viele Binnenschifffahrtsunternehmen haben heute große Probleme, genügend Schiffsführer zu finden.“ Die Frachter müssten rund um die Uhr mit zwei Crews besetzt sein, die sich abwechseln. „Doch nur in etwa der Hälfte der Zeit fahren die Schiffe tatsächlich. Die übrige Zeit verbringen sie in Häfen, wo Ladung geladen oder gelöscht wird.“

Weniger Personal, mehr Technik

Um die knapper werdender Personalressourcen effizienter einsetzen zu können, biete die Fernsteuerung neue Möglichkeiten, betont Bargsten. Die Schiffe könnten dadurch künftig mit reduzierten Crews fahren, bei Bedarf übernehme ein digital zugeschalteter Kollege im Kontrollzentrum. Dort kommen nur ausgebildete Schiffsführer mit allen notwendigen Patenten zum Einsatz. „Sie kennen das Schiff und die Route genau und unterstützen die Crew an Bord.“ Damit das funktioniert, werden Kamerabilder, Radarsignale, Lasermessungen und Positionsmeldungen vom Schiff in Echtzeit ins Kontrollzentrum übertragen. An Bord befinden sich 4G- und 5G-Antennen, die mit Hilfe mehrerer Mobilfunkanbieter jederzeit einen reibungslosen Datenverkehr gewährleisten sollen. „Sicherheit hat für uns oberste Priorität“, so Bargsten. Bei mehr als 15 000 operativen Stunden habe es bisher keine schwerwiegenden Zwischenfälle gegeben. Man erwarte, „dass durch den zunehmenden Einsatz von Technologie die Sicherheit dem herkömmlichen Betrieb im Steuerhaus an Bord überlegen sein wird“.

Nachdem der Praxistest in Belgien schon seit mehreren Jahren erfolgreich läuft, etwa auf dem Albert-Kanal zwischen Antwerpen und Lüttich, nimmt Seafar jetzt mit der neuen Zentrale in Duisburg die deutschen Wasserstraßen in den Blick. „Wir arbeiten eng mit den deutschen Firmen und Behörden zusammen und haben bereits eine Ausnahmegenehmigung, um mit unserer Technologie auf dem Rhein zwischen Rotterdam und Bonn zu fahren“, erläutert Bargsten.

Nur noch ein Schiffsführer an Bord

Bis Ende des Jahres hofft Seafar auf eine Genehmigung für einen besatzungsreduzierten Betrieb auf dieser Rheinstrecke. Dann wäre anstatt zwei Schiffsführern künftig nur einer an Bord, wobei das Steuerhaus während der Fernsteuerung laufend besetzt bliebe durch einen Steuermann. Auf norddeutschen Kanälen soll voraussichtlich ab April 2024 ein Schiff der HGK Shipping von Duisburg aus ferngesteuert werden.

Die Fernunterstützung bemannter Schiffe ist aber nicht das Ende der Fahnenstange. In Belgien sind bereits unbemannte Schubleichter unterwegs, die ausschließlich über Seafar ferngesteuert werden, etwa zwischen Ostende und Diksmuide. Auf dem Rhein sei das aber vorerst nicht geplant, so Bargsten.

Der Fachkräftemangel ist Haupttreiber für uns, nach innovativen Lösungen in der Binnenschifffahrt zu suchen.
Steffen Bauer, Geschäftsführer HGK Shipping

HGK Shipping setzt in Zukunft verstärkt auf die neue Technologie. Primäres Ziel sei nicht, Personalkosten zu senken, sondern dem Personalmangel entgegenzutreten, erläutert Geschäftsführer (CEO) Steffen Bauer. „Der Fachkräftemangel ist Haupttreiber für uns, nach innovativen Lösungen in der Binnenschifffahrt zu suchen. Bereits jetzt ist die Personalsituation gerade bei Schiffsführern sehr angespannt und wird sich in den kommenden Jahren weiter zuspitzen, wenn wir nicht reagieren.“ Etwa ein Drittel der Schiffsführer werde in den nächsten fünf bis zehn Jahren altersbedingt aus dem Dienst ausscheiden, so Bauer. „Wir müssen die vorhandenen Schiffsführer bestmöglich einsetzen. Insgesamt wollen wir auch das Berufsbild des Binnenschiffers möglichst attraktiv gestalten. Dazu gehört dann eben auch die Möglichkeit, die Tätigkeit sowohl von Bord als auch zu Land auszuführen.“

Bisher hat HGK Shipping ein Chemietankschiff und einen Koppelverband für trockenes Schüttgut mit der Seafar-Technologie ausstatten lassen, die im West- und Norddeutschen Kanalsystem fahren werden. Zudem verkehrt im belgischen Kanalsystem ein Chemietankschiff im Testbetrieb. Drei weitere Reedereischiffe sollen im weiteren Verlauf 2024 ausgestattet werden.

Ziel sei aber nicht, die gesamte Flotte auf die Seafar-Technologie umzustellen, so Bauer. „Wir fokussieren uns zunächst auf jene Schiffe, bei denen es personaltechnisch oder operativ Sinn ergibt. Nachdem sechs Fahrzeuge bis Ende des Jahres 2024 ausgerüstet sein sollen, könnten zehn weitere in den kommenden zwei Jahren folgen. Zunächst gilt es, bei zahlreichen Stakeholdern und insbesondere unseren eigenen Besatzungen Vertrauen in die Lösung zu schaffen.“

Auch der autonome Betrieb von Binnenschiffen ist eine Option

Man arbeite „sehr eng mit den zuständigen Behörden als auch Versicherern zusammen“, unterstreicht Bauer. „Die Zentralkommission für die Rheinschifffahrt (ZKR) hat bereits den Testbetrieb von ferngesteuerten Schiffen auf dem Rhein bei voller Besatzung genehmigt. Wir arbeiten aktuell noch mit der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt (GDWS) an der Genehmigung für das Kanalsystem, so dass wir das nahezu gesamte System Wasserstraße als einen Korridor für ferngesteuerte Binnenschifffahrt anstreben können.“

Auch ein autonomer Betrieb von Binnenschiffen ganz ohne Personal ist für HGK Shipping eine Option. „Hier müsste man genau auf den Anwendungsfall schauen“, sagt Bauer. „Auf dem Rheinstromgebiet sehen wir dies in näherer bis mittelfristiger Zukunft nicht. Wir halten eher solche Anwendungen beispielsweise in Hafengebieten für möglich.“


HGK Shipping

2020 übernahm die Häfen und Güterverkehr Köln AG (HGK) für rund 200 Millionen Euro die frühere Imperial Shipping Group und stieg damit zum größten Binnenschifffahrtsunternehmen in Europa auf. Heute hat die HGK Shipping GmbH europaweit zwölf Standorte, 960 Mitarbeiter und 350 eigene und gecharterte Schiffe. Jährlich werden rund 43 Millionen Tonnen Fracht befördert. Das Transportspektrum reicht von flüssigen chemischen Produkten und verflüssigten Gasen über Trockengüter bis zu Stückgut (Breakbulk).

Die HGK ist die Logistiksparte der Stadtwerke Köln. Über Tochter- und Beteiligungsunternehmen betreibt sie sechs Häfen zwischen Düsseldorf und Köln, Logistikbetriebe und Terminals sowie eine der größten privaten Gütereisenbahnen. (fu)