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Ein Jahr nach dem ErdbebenSo unterstützt die türkische Community in der Keupstraße die Betroffenen

Lesezeit 4 Minuten
Ein Mann zwischen Gebäck und Kuchen.

Servet Özdag in der Feinkonditorei seiner Schwester in der Keupstraße.

Unter Schock setzte das Erdbeben in der Türkei am 6. Februar 2023 die Menschen auf der Keupstraße. Ein Besuch ein Jahr danach.

„Die Katastrophe vergesse ich nie“, sagt Servet Özdag. Der 45-jährige Familienvater, dessen Familie eine Feinkonditorei auf der Keupstraße betreibt, hat die Bilder aus der Region Hatay immer vor Augen. Die Bilder, die über die sozialen Netzwerke geteilt wurden und Schreckliches zeigten. Aus einem Gebiet, in das Özdag, der in Deutschland geboren wurde, so lange er denken kann, zu Verwandtenbesuch gefahren ist. „Von den Verwandten selbst war nichts zu erfahren, sie waren auch nicht erreichbar“, erinnert sich Özdag.

„Ich habe in der Region hunderte Cousins“, sagt er. Sein Opa hatte 21 Geschwister, da ist die Verwandtschaft groß. Cousin Kemal und seine sechsjährige Tochter sind gestorben. „Dabei hatte Kemal gerade erst ein neues Haus gebaut und immer erzählt, wie stabil das ist“, sagt Servet Özdag nachdenklich. Die alten Häuser in der Region seien größtenteils stehengeblieben, die neuen und die Hochhäuser sind zerstört.

Mehr als 53.000 Menschen starben wie Kemal und seine Tochter durch das verheerende Erdbeben. „Es gab keine weißen Laken für die Toten, so viele waren es“, erinnert sich Servet Özdag. Die Menschen in der Keupstraße, die fast alle türkische Wurzeln haben, standen unter Schock. „Ich will unbedingt helfen“, sagte fast jeder. Spenden häuften sich. LKW und Sprinter wurden losgeschickt. Gastronom Ömer Aldag eilte zum Flughafen. Im Gepäck Snacks für die THW-Einsatzkräfte, die von Köln aus starteten, um unter den Trümmern nach Verschütteten zu suchen.

„Wir helfen immer noch“, sagt Özdag. Wann immer ein Treffen oder ein Fest ist, spenden die Geschäftsleute. In ein paar Tagen fährt Servet Özdag wieder in die Region Hatay. Im Gepäck Spendengeld. Er besucht seine weitläufige Verwandtschaft. Viele leben immer noch in Zelten. Die Menschen hätten Angst, in Hochhäuser zu ziehen. „Ich frage nach, was gebraucht wird. Oft sind das Sachen für Kinder wie Hefte und Bücher.“ Für Özdag ist das sein zweiter Besuch in der Region.

Zelte und Patenschaften

Bünyamin Köksoy hat nicht nachgehalten, wie oft er seit dem Unglück in Hatay war. Der 50-jährige Besitzer eines Reisebüros in der Keupstraße kommt gar nicht aus der Region. Aber schon wenige Tage nach dem Beben flog er los. Und dann immer wieder. Bis heute. „Wenn man einmal da drin war, dann hört man nicht mehr auf zu helfen", sagt er. So viele Kinder, die ihre Eltern verloren haben, habe er getroffen. Als er nach dem ersten Mal zurückkam, konnte er nicht mehr schlafen. „Ich gehe wieder, habe ich dann zu meiner Familie gesagt.“

Vor Ort improvisierte und organisierte der Geschäftsmann. „Ich habe Kontakt zu einer Firma aufgebaut, die aus LKW-Planen Zelte herstellen konnte.“ Günstig und schnell entsteht so ein zwölf Quadratmeter Schutzraum für Familien.

Bünyamin Köksoy in Hatay kurz nach dem Erdbeben.

Bünyamin Köksoy in Hatay kurz nach dem Erdbeben.

„Wenn einer in den Himmel kommen soll, dann hat Bünyamin meinen Segen“, sagt Servet Özdag über den Einsatz seines Nachbarn. Schnell spricht sich herum, dass über Köksoy für 350 Euro ein Zelt gespendet werden kann. Wie viele es waren, weiß der Helfer nicht so genau. Über Tausend seien es wohl gewesen. „Aber irgendwie ist das doch nur ein Tropfen aus dem heißen Stein“, findet er.

Vor allem die Kinder liegen Bünyamin Köksoy am Herzen. Auch deshalb hat er Patenschaften organisiert. Weit über Hundert sind das inzwischen. Er vermittelt zwischen Menschen in Not in der Türkei und Menschen in Deutschland. Stellt eine direkte Verbindung her. „Wieviel jeder dann spendet, ist ihm selbst überlassen. Auch die Verbindung ist wichtig.“ Köksoy und seine fünfköpfige Familie haben für vier Familien im Erdbebengebiet eine Patenschaft übernommen. „Diese Familien gehören jetzt zu uns. Die sind wie meine Familie“, sagt er.

Die Leute würden sich über Geld freuen, aber sie wollten auch sprechen, erzählt Köksoy. „Ich habe so viel gesehen. Deshalb habe ich angefangen, es aufzuschreiben.“ Am Jahrestag wird die Erinnerung wieder bei ihm hochkommen. „Ich habe Gänsehaut, wenn ich daran denke“, sagt er.

Spenden für die Türkei werden gesichtet und sortiert.

Ein Lager mit Spenden in der Keupstraße nach dem Beben.


Gedenkveranstaltung

800 Gäste etwa haben sich für den Montagabend zu einer Gedenkveranstaltung für die Opfer des Erdbebens angemeldet.Organisiert hat die Veranstaltung, bei der auch Spenden gesammelt werden sollten, das Kölner Kulturforum Türkei-Deutschland zusammen mit anderen.

Die Region Hatay werde beim Wiederaufbau und bei Hilfen vernachlässigt, kritisierte Osman Okkan vom Kulturforum Türkei-Deutschland. Grund sei, dass dort viele Aleviten und Kurden lebten. „Auch nach einem Jahr leben die betroffenen Menschen in der Erdbebenregion in provisorischen Zelten und Containern, die im derzeitigen Winter überflutet werden und unbewohnbar sind. Die Infrastruktur ist weiterhin zerstört, Wasserleitungen verschmutzt und die Trinkwasserversorgung nicht gewährleistet. Bis heute sind über neun Millionen Menschen von den Auswirkungen betroffen“, so Okkan.

Angemeldet für die Veranstaltung waren unter anderem NRW-Minister Nathanael Liminski, Rapper Eko Fresh und die Bundestagsabgeordnete Serap Güler. Aslı Sevindim und Murad Bayraktar führten durch den Abend. Die Veranstaltung wurde von der Staatskanzlei Nordrhein-Westfalen gefördert. (dha)