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„Ich beweine jedes Opfer“Michel Friedman spricht in Köln über Antisemitismus und den Krieg

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Michel Friedman, Publizist

Michel Friedman, Publizist

Der jüdische Publizist Michel Friedman ging im Gespräch mit dem Journalisten Lorenz Beckhardt auch der Wokeness auf den Grund.

„Woke: in hohem Maße politisch wach und engagiert gegen – insbesondere rassistische, sexistische, soziale – Diskriminierung“, so die Definition im Duden. Wie passt es, dass ausgerechnet Teile der Wokeness-Bewegung antisemitische Ressentiments bedienen und Israel als kolonialistische Diktatur betrachten? Den Vorwurf musste sich sogar Amnesty international gefallen lassen, die Menschenrechtsorganisation bezeichnete Israel als Apartheidsstaat. Der jüdische Publizist Michel Friedman ging im Gespräch mit dem Journalisten Lorenz Beckhardt im ausverkauften Urania Theater dem Thema nach. Friedman wies die Kritik „einer autoritären Bewegung“ zurück.

Der Staat Israel sei eine wache Demokratie. Woche für Woche hätten 250.000 Israelis gegen die Pläne Netanjahus demonstriert, den Rechtsstaat umzubauen. Jeder in Israel könne und dürfe die Regierung kritisieren. „Das tue ich ja auch. Ich halte diese Regierung für ausgesprochen problematisch und wünsche mir, dass sie bei der nächsten Wahl abgelöst wird“, so Friedman. Wenn man aber diese Regierung und den Staat Israel mit Nazi-Deutschland vergleiche, überschreite man eine rote Linie. „Wäre Deutschland so gewesen, wie Israel heute ist, wären in Auschwitz keine Juden vergast worden.“

„Israel ist die einzige Demokratie im Nahen Osten“

Nach dem bestialischen Massaker der Hamas und der Geiselnahme unschuldiger Menschen habe Israel das völkerrechtlich unbestreitbare Recht gehabt, sich zu verteidigen. „Dass bei der Verteidigung viele palästinensische Zivilisten und Kinder ums Leben gekommen sind, ist eine furchtbare Katastrophe. Ich beweine jedes dieser Opfer.“

Wenn die Hamas Menschen als Schutzschilde missbrauche, dann sei die Hamas verantwortlich für dieses Unglück. Richtig sei, dass die Verteidigung Israels verhältnismäßig bleiben müsse. Bei dem Land handele es um die einzige Demokratie im Nahen Osten, die für alle Bürger und Bürgerinnen ein freies Leben garantiere. „Möchten Sie heute als Feministin lieber in Teheran oder in Tel Aviv leben? Möchten Sie als Journalist lieber in Teheran oder in Tel Aviv leben? Ich möchte diejenigen, die den Terrorismus der Hamas oder der Hisbollah unterstützen, fragen, wie sie Terrorismus legitimieren.“

Absoluter Vernichtungswille der Nazis

In seiner Reaktion auf den woken Vorwurf, Israel sei ein kolonialistischer Staat, verurteilte Friedman eine Priorisierung von Opfergruppen. Alle Opfer des Kolonialismus hätten das gleiche Recht, gehört zu werden, eine Entschuldigung zu erwarten und für das zugefügte Leid entschädigt zu werden. Aber alle kolonialistischen Realitäten seien in einem existenziellen Punkt nicht vergleichbar mit der Shoa. „Die Shoa war der Versuch eines Staates, Juden auf der ganzen Welt zu töten, nur weil sie Juden waren. Keine Kolonialmacht hatte je einen vergleichbaren Plan. Sie wollten Menschen ausbeuten, aber nicht massenhaft vernichten, weil sie zum Beispiel Inder waren. Es war der absolute Vernichtungswille der Nazis, der alles andere Unrecht in dieser Welt damit unvergleichbar macht.“ Friedman sieht Deutschland inzwischen am Scheidepunkt, da es nicht nur um das Judentum gehe, sondern um die Demokratie. „Es geht um unser aller Freiheit.“ Die Hitze des Hasses gegen Jüdinnen und Juden sein nur das wie mit einem Thermometer messbare Symptom dafür, dass der Angriff auf die Freiheit immer erfolgreicher wird. „Der strukturell größte Erfolg der Hasser und Hetzer ist, dass sie in deutsche Parlamente gewählt wurden.“

Sollte die rassistische Hasspartei AfD in der Bundesregierung einen Platz bekommen, sei sein Platz nicht mehr in diesem Land. Zum Schluss des Abends las Friedman aus seinem Buch „Judenhass“, das mit einem Brief an seine Söhne endet. Hass sei ungerecht, brutal und gewalttätig. Nichts von dem, was die Hassenden über sie sagten, sei wahr oder hätte irgendwas mit ihnen zu tun. „Befreit Euch von den Unglücklichen, die glauben, sie könnten glücklich werden, weil sie andere Menschen hassen. Hasst nicht. Niemanden. Denkt daran, dass das Gegenteil von Hass Respekt ist. Kämpft dafür. Kämpft für Euch selbst.“