Sie können nicht bleiben, und doch kommen mehr Menschen aus dem Westbalkan zu uns. Was passiert hier mit ihnen? Und warum verlassen sie ihre Heimat?
Geflüchtet aus dem WestbalkanMehr unerlaubt Eingereiste in Köln - „Viele Frauen und Minderjährige“

Eine neue Container-Unterkunft für Geflüchtete entsteht auf dem Parkplatz P5 am Fühlinger See in Chorweiler.
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Die Zahl der Menschen, die aus Westbalkanländern stammend beim Kölner Ausländeramt ihre unerlaubte Einreise anzeigen, ist seit einigen Wochen gleichbleibend hoch. Täglich sprechen bis zu 90 Menschen vor, davon können 30 bis 40 registriert werden, teilte die Stadt mit. Woher kommen diese Menschen, wie läuft ihre Verteilung in die Kommunen ab und warum kommen sie zu uns? Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Wer gilt als unerlaubt eingereiste Person?
Menschen, die ohne einen Pass oder Passersatz in die Bundesrepublik einreisen und keinen Aufenthaltstitel besitzen. Bei Menschen, die sich selbst als „unerlaubt eingereist“ anzeigen und im Ausländeramt kein Passdokument vorlegen, ist die Kommune gesetzlich verpflichtet, ihnen zur Vermeidung von Obdachlosigkeit eine Unterbringung anzubieten, bis sie an die Erstaufnahmeeinrichtung des Landes NRW in Mönchengladbach übergeben werden können.
Wieviele Menschen kommen derzeit?
Das Kölner Ausländeramt registriert rund 120 unerlaubt eingereiste Menschen pro Woche. Von Oktober 2022 bis September 2023 haben 4700 Menschen aus den Westbalkanländern ihre unerlaubte Einreise angezeigt. In den beiden Coronajahren 2021 und 2020 waren es im gleichen Zeitfenster rund 1000 Personen, im Jahr vor der Corona-Pandemie kamen im gleichen Zeitfenster 2400 Menschen.
Was passiert nach der Registrierung im Ausländeramt?
In der Regel halten sich die Menschen bis zu acht Wochen in Köln auf — so lange dauert das Verteilverfahren. Sie leben hier meist in Containerdörfern; derzeit entsteht ein neues mit Platz für 450 Menschen auf dem Parkplatz P5 in Fühlingen (Foto). Mitte November ist die Verdopplung der Platzzahl in der Unterkunft an der Herkulesstraße auf 288 abgeschlossen.
Von Köln aus werden die Menschen in die Erstaufnahmeeinrichtung des Landes in Mönchengladbach gebracht und von dort nach einem Verteilschlüssel Kommunen zugewiesen. Wird gegen eine Verteilentscheidung der Bezirksregierung Arnsberg ein Rechtsbehelf eingelegt, kann die Verteilung bis zu vier Monate beanspruchen, teilte die Stadt mit.
Bleiben die Menschen alle in Deutschland?
In den Vorjahren hat die Stadt regelmäßig eine Zuwanderung von Menschen aus den Balkanländern über die Wintermonate registriert. Ein Großteil dieser „Winterflüchtlinge“ reist nach einigen Monaten eigenständig wieder aus. Andere entschließen sich in Absprache mit dem Ausländeramt zur freiwilligen Rückreise. In diesem Jahre sei ein Teil der „Winterflüchtlinge“ erstmals nicht wieder abgereist, hatte Sozialdezernent Harald Rau mitgeteilt.
Können sie einen Asylantrag stellen?
Die unerlaubt eingereisten Menschen in Köln kommen überwiegend aus Albanien und Nordmazedonien, aber auch aus allen anderen Ländern des Westbalkan, so die Stadt. Ein größerer Teil von ihnen gehört zur Volksgruppe der Roma. Die Westbalkanstaaten Serbien, Albanien, (Nord-)Mazedonien und Bosnien-Herzegowina wurden in den Jahren 2014 und 2015 von der Bundesrepublik als „sichere Herkunftsländer“ eingeordnet. Für Geflüchtete aus diesen Ländern ist die Anerkennung eines Asylgesuchs nahezu ausgeschlossen. Besteht ein besonders hoher Schutzbedarf, etwa durch eine sehr schwere Erkrankung, kann eine Duldung ausgesprochen werden.
Warum verlassen die Menschen ihre Heimatländer?
Viele von ihnen kommen aus Nordmazedonien und Albanien, die zu den ärmsten Ländern Europas gehören. Eine Studie des vom Bund finanzierten Deutschen Institutes für Menschenrechte zeigt auf, dass Roma dort massiv diskriminiert und ausgegrenzt werden. „Viele Roma haben keinen Zugang zum Arbeits- und Wohnungsmarkt, zu Bildung, sozialer Sicherung, zum Gesundheitswesen, zu sanitären Einrichtungen und zu sauberem Wasser“, heißt es in der Studie. Sie lebten nicht selten in provisorischen Siedlungen, EU-Programme zur Verbesserung der Situation würden kaum Wirkung zeigen.
Wie ist die Lage von Frauen und Minderjährigen dort?
„Viele der Menschen, die kommen, sind Frauen und Minderjährige“, sagt Susanne Rabe-Rahman, Leiterin der Perspektivberatung für Geflüchtete bei der Kölner Caritas. Weil Roma kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt hätten, könnten sich besonders Frauen ihren Lebensunterhalt nur selten eigenständig sichern. „Zu uns kommen auch Frauen mit ihren Kindern, die zur Prostitution gezwungen wurden oder Gewalt ausgesetzt waren. Viele schämen sich, den Grund für ihre Flucht oder ihre ungewollte Schwangerschaft zu nennen. Oder sprechen erst darüber, wenn das Verfahren bereits abgeschlossen ist“, schildert Rabe-Rahman. Kinder und Jugendliche würden in den Schulen oft diskriminiert, ihre Wohnsituation erschwere das Lernen zusätzlich.
Wie sieht ihre Gesundheitsversorgung hier aus?
In den ersten 18 Monaten in Deutschland werden nur akute massive Erkrankungen behandelt und bei extremen Schmerzzuständen lindernde Medikamente zugeteilt. Eine eingeschränkte medizinische Versorgung erhalten geduldete Personen erst danach; Grundlage ist das Asylbewerberleistungsgesetz. „Westbalkangeflüchtete sind aber fast immer deutlich kürzer in Deutschland“, so Claus-Ulrich Prölß vom Kölner Flüchtlingsrat. Die ihnen von CDU-Chef Friedrich Merz unterstellte Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen, um „sich die Zähne neu machen zu lassen“, sei deshalb unmöglich.