Köln-KollegSo kommen Erwachsene in Köln zum Abitur

Lesezeit 4 Minuten
Zwei junge Männer stehen im Atrium des Köln-Kollegs.

Köln-Kolleg als Chance für Rodrigo Schmitt Lemmertz (l.) und Mert Orhan.

Als „Schule der Chance“ bezeichnet der Schulleiter das Köln-Kolleg. Aus gutem Grund.

„Existiert der Baum  da draußen überhaupt? Wie existiert er für die Eichhörnchen?“ Als Philosophie-Lehrerin Maike Hensen diese Frage im Unterricht zur Einführung in die Erkenntnistheorie stellte, war Mert Orhan erst mal tüchtig irritiert. Jahrelang spielten solche Fragen keine Rolle im Leben des Rechtsanwalts- und Notar-Fachangestellten. Auf dem Köln-Kolleg, wo der 25-Jährige derzeit das Abitur anstrebt, ist das anders.

„Zuerst hatte ich große Angst als Erwachsener wieder in die Rolle des Schülers zu schlüpfen“, gibt Orhan zu. Hinzu kam, dass viele Freunde nicht verstehen konnten, warum er sich das „nochmal antun“ wollte. Doch schnell sah der „Studierende“, – wie die Schülerinnen und Schüler am Köln-Kolleg genannt werden – dass die Deutzer Schule nicht mit dem vergleichbar ist, was er bisher als Schule kannte.

Lernen und Lehren auf Augenhöhe

„Studierende und Lehrkräfte sind hier wirklich auf Augenhöhe“, sagt Orhan. Das liegt zum einen daran, dass die Studierenden allesamt erwachsen sind. „Studierende können hier in der Kolleg-Konferenz aktiv mitwirken. Die Konferenz ist jeweils zur Hälfte mit Lehrenden und Studierenden besetzt. Wenn einem etwas wichtig ist, kann man es auch auf den Weg bringen“, sagt Orhan. Er nennt den Tag der Vielfalt, der derzeit geplant wird, als Beispiel. Als „bunte Schule“ mit sehr unterschiedlichen Studierenden sieht sich das Köln-Kolleg. 

Zwischen 20 und 30 Jahren alt ist die Mehrzahl derjenigen, die hier das Abitur anstreben. Es gibt aber durchaus auch immer mal wieder Menschen, die weitaus älter sind. „Wir sind eine Schule der Chance“, unterstreicht Schulleiter Thomas Czaja. Den Bedarf für sein Kolleg gebe es durchaus, aber längst nicht jeder wüsste von der Möglichkeit. Hier soll nach seinem Willen noch besser informiert werden.

Viele mit Brüchen in Biografie

„Wir können uns es als Gesellschaft nicht leisten, Leute zu verlieren“, appelliert Czaja und erklärt: „Viele, die zu uns kommen, haben einen Bruch in der Biografie – sei es gesellschaftlich oder familiär.“ Auch gesundheitliche oder psychische Schwierigkeiten in der Lebensgeschichte seien häufig. Krankenpfleger, die das Abitur nachmachen wollten, um Medizin zu studieren, wie das früher typisch für den sogenannten zweiten Bildungsweg gewesen sei, seien inzwischen eher die Ausnahme.

Das bestätigt auch Rodrigo Schmitt Lemmertz, 29. Der gebürtige Brasilianer hatte im Heimatland eine Art technisches Abitur gemacht. In Deutschland absolvierte er eine Ausbildung zum Hotelfachmann und arbeitete danach zwei Jahre lang bevor er aufs Köln-Kolleg wechselte. Im Juni 2023 machte er dort Abi. „Jetzt studiere ich Linguistik“, sagt er mit einem zufriedenen Lächeln. Obwohl er inzwischen an der Uni ist, ist er dem Köln-Kolleg immer noch sehr verbunden.

Individuelle Begleitung und Beratung

„Ich habe mich super gut mit den Lehrkräften verstanden. Die Atmosphäre am Kolleg ist toll, im Erwachsenenalter ist man ganz anders drauf“, schwärmt Schmitt Lemmertz. Lehrerin Hensen, die ihr Referendariat an einem Kölner Gymnasium absolvierte, bestätigt das. „Jeder hier hat ein Ziel, auf das er oder sie hinarbeitet“, sagt sie und unterstreicht, dass die Studierenden ganz unterschiedliche Vorerfahrungen haben. Individuelle Förderung und Beratung ist deshalb sehr wichtig. „Auch der Sozialarbeiter hat bei uns eine wichtige Aufgabe“, sagt Hensen.

Anders als Jugendliche am Gymnasium müssen die Studierenden nebenher noch Haushalt, Finanzierung und oft auch Familie unter einen Hut bringen. „Dabei haben wir hier bei den Anforderungen für das Abitur komplett das gleiche Niveau wie auf dem Gymnasium“, unterstreicht Hensen und freut sich: „Viele machen ein hervorragendes Abitur.“

Was sie damit anfangen, ist so individuell wie die Studierenden selbst.„Ich will mich noch nicht festlegen“, sagt Mert Orhan. Aber eines ist ihm schon klar: „Ohne Abitur waren meine Aufstiegschancen im Beruf nicht groß.“ Das wird definitiv anders sein, wenn er in etwa eineinhalb Jahren seine Prüfung erfolgreich abgelegt hat. Und Philosophie mag er inzwischen auch. „Mein Horizont ist weiter geworden“, sagt Orhan.


260 Studierende werden derzeit am Köln-Kolleg in Deutz unterrichtet. Sie können dort entweder die allgemeine Hochschulreife (Abitur) oder das Fachabitur nachholen. Gegründet wurde das Kolleg 1959 als einer der ersten Schulstandorte des zweiten Bildungswegs.

Der Besuch ist gebührenfrei, eine Förderung durch BAföG ist möglich. Bis zur Erlangung der Hochschulreife dauert es in der Regel 3,5 Jahre, bis zur Fachhochschulreife 2,5 Jahre.

Individuelle Beratung ist wichtig am Kolleg. Dazu gibt es eine offene Anmeldesprechstunde, die montags von 16 bis 19 Uhr und freitags zwischen 10.15 und 11.45 Uhr stattfindet.

Eine Kooperation gibt es zwischen  Köln-Kolleg und dem Abendgymnasium Köln. Studierende mit Kindern und Berufstätige mit Arbeitszeiten, die eine Teilnahme am Abendunterricht verhindern, können am Köln-Kolleg am Unterricht des sogenannten AbiVor-Bereichs teilnehmen. Die Anzahl der zu belegenden Fächer und Unterrichtsstunden richtet sich dabei danach, ob Studierende am Unterricht des Bildungsgangs Kolleg oder des Bildungsgangs AbiVor teilnehmen.

Die Voraussetzungen für eine Aufnahme auf das Köln-Kolleg sind unterschiedlich, grundsätzlich müssen die Studierenden mindestens 18 Jahre alt sein. Möglicherweise muss ein Vorkurs belegt werden.

Starten kann man am Köln-Kolleg entweder am 1. August eines Jahres oder zum 1. Februar. Abiturprüfungen finden zweimal jährlich statt.

Nachtmodus
Rundschau abonnieren