Palliative Humor-TherapieKabarettist Thomas Reis nimmt im „Senftöpfchen“ Abschied - und lässt Tränen kullern

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Thomas Reis im Senftöpfchen.

Thomas Reis im Senftöpfchen.

Kabarettist Thomas Reis ist an Lungenkrebs erkrankt. Nun präsentierte er sein letztes Programm.

„Preparez vos Mouchoirs“ (Präparieren sie ihr Taschentuch) hieß in den 1970er Jahren ein zu Tränen rührender, französischer Liebesfilm. Nun flossen im Kölner Senftöpfchen die Tränen, als sich der an Lungenkrebs erkrankte Kabarettist Thomas Reis mit seinem letzten Programm „Du sollst nicht verblöden“ von seinen Fans verabschiedete. Sein Freund und Haus-Regisseur Joe Knipp hatte mit ihm ein Programm einstudiert, das in einem kabarettistischen Rundumschlag noch einmal Reis große Qualität, immer am Puls der Zeit zu sein, erstrahlen ließ. So lobte dann auch Senftöpfchen-Chefin Alexandra Kassen bei ihrer Begrüßung des, das Theater förmlich sprengenden, „Family and Friends“-Publikums die stets „bissig-philosophische Gesellschaftskritik“ von Reis´ Programmen und fühlte sich geehrt, dass sie diese berührende Abschiedsvorstellung mit organisieren durfte.

Dann betritt der Kult-Kabarettist mit dem Sinn für schwarzen Humor ohne Grenzen mit zwei Gehhilfen – was er wie „Gehilfen“ ausspricht - die Bühne und  setzt sich an einen kleinen Tisch („Eigentlich wollte ich das nie machen: Sitcom!“). Reis thematisiert sofort offensiv seinen Gesundheitszustand: „Eigentlich merkwürdig, dass man geht, wenn man nur noch sitzen kann“. Und definiert den Tod als Gendefekt: „Meine Mutter ist auch gestorben.“

Thomas Reis in Köln: Dreistündiges Programm vergeht wie im Flug

Als eine „bizarre Mischung aus Kafka, Heine und Gene Kelly“ beschrieb die ZEIT einmal den 1963 in Freiburg geborenen Thomas Reis, der schon als Schüler mit dem Kabarett begann und im Laufe seiner Karriere zahlreiche Kleinkunst- und Kulturpreise einheimste. All seine zum Brüllen komischen Gesellschaftsanalysen spult er nun in einem, wie im Fluge vergehenden, dreistündigen Programm ab, dass ihm mit einer bewundernswerten Leichtigkeit und einer brillanten Sprachgewandtheit von den Lippen kommt, dass selbst seinen Regisseur in Staunen versetzt: „Da ich ihn nicht überfordern wollte, habe ich einige Stellen gestrichen – aber er hat es einfach ignoriert!“  So springt Reis von der LGBTQ-Gemeinde („LGBTQ+e=mc2 – alles ist relativ, vieles sogar relativ bescheuert“) zur Generation Pattex (Kinder haften für ihre Eltern): „Wie blöd muss man sein, sich am Tatort erwischen zu lassen!“ und „Warum ausgerechnet auf Claude Monets Gemälde Brei schmieren - es gibt doch so viele Scheißmaler?“

Und wenn er sich an die(fiktive) Werbung des Pferdemetzgers in seinem Kölner Veedel erinnert („Gestern Abend noch geritten – Heute schon mit Fritten“) bekommen die Veganer genauso ihr kabarettistisches Fett weg wie die Dogmatiker der kulturellen Aneignung („Dürfen jetzt Päpste nur noch von Pädophilen gespielt werden?“) und die Islam-Versteher („Für uns ist der Islam eine Bedrohung, für Schweine die Rettung“).  Den weltfremden Spiritualisten versteht er genauso mit seinem absurden, aber entlarvenden Humor zu begegnen („Liebe dich selbst, dann ist es egal, wen du heiratest“) wie dem Faschisten Björn Höke, als der ein Buch kauft: „Soll ich es einpacken“, fragt der Buchhändler, „oder wollen sie es gleich verbrennen?“. Für Höckes AfD-Parteigenossin Alice Weidel, die mit nicht nachlassender Penetranz Verhandlungen mit Putin fordert, hat er dagegen einen Rat parat: „Wenn du einen Blinden mit ins Kino nimmst, achte darauf, dass es ein Stummfilm ist!“

Auch das Publikum will Thomas Reis er nicht ohne einen aufmunternden Ratschlag nach Hause gehen lassen: „Wenn der Mensch das Maß aller Dinge sein soll, dann rate er doch eher zur Maßlosigkeit“ – und stimmt mit brüchiger Stimme den Cole Porter Song „Every Time we say Goodbye“ an, der im Zuschauerraum die Tränen kullern lässt.

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