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Angst vor dem PräzedenzfallInvestor will die Wohnungen im Laurenz Carré nicht mehr – und nun?

Lesezeit 4 Minuten
Baustelle des Laurenz Carre von oben.

Die Baugrube im Herzen der Stadt: Auf dem nördlichen Baufeld des Laurenz Carré laufen die Arbeiten für einen künftigen Bürobau.

Am Laurenz Carré entstehen in prominenter Lage Büros, ein Hotel und eigentlich auch Wohnungen. Die stehen nun auf der Kippe. Eine Analyse.

Kaum ein Thema erhitzt die Gemüter derzeit so sehr, wie der kriselnde Kölner Wohnungsbau und speziell die Errichtung von öffentlich gefördertem Wohnraum mit verhältnismäßig niedrigen Mietpreisen. Am Laurenz Carré entstehen in prominenter Lage Büros, ein Hotel und eigentlich auch Wohnungen. Die stehen nun auf der Kippe. Eine Analyse.

Was ist der Knackpunkt?

Der Investor, die Düsseldorfer Gerchgroup, hat der Kölner Verwaltung kurzfristig mitgeteilt, dass sie den für das Prestigeobjekt Laurenz Carré eingeplanten Wohnungsbau nicht realisieren wird. Als Gründe nennt der Projektentwickler das „derzeitige Marktumfeld“ sowie „erschwerte lagespezifische Rahmenbedingungen“. Das sorgt für einen Aufschrei in der Politik. Erst vor kurzem hat die Stadt Köln ihre Wohnungsbau-Statistik 2022 veröffentlicht und erneut das selbstgesteckte Ziel von 6000 neugebauten Wohnungen im Jahr deutlich verpasst, die Rundschau berichtete. Die Gerchgroup hat also genau ins politische Wespennest gestochen.

Sind die Gründe berechtigt?

Der Wohnungsbaumarkt steckt in der Krise, das bestätigen zahlreiche Experten. Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg hinterlassen ihre Spuren: Rapide steigende Baukosten, rapide steigende Zinsen. Immer wieder ist zu lesen, dass private Bauvorhaben gestrichen werden müssen, weil Finanzierungen platzen. Für Investoren im allgemeinen ist das meist nicht anders, auch ein Bauträger leiht sich Geld von der Bank. Das „derzeitige Marktumfeld“ heißt also übersetzt so viel wie: Die Rechnung, die vor Jahren mal aufgegangen ist, geht jetzt nicht mehr auf.

Also kommt Profit- vor Sozialdenken?

In emotionalen Debatten hilft oft ein nüchterner Blick auf die Zahlen. Ursprünglich waren in dem Quartier 64 Wohnungen geplant. 19 davon sollten sozial gefördert sein, also einen langfristig günstigen Mietpreis von derzeit rund sieben Euro pro Quadratmeter kosten. Bei solchen Vorhaben ist es üblich, dass die Mieten der nicht-geförderten Wohnungen zum Ausgleich etwas höher liegen. Die Angebotsmiete für einen Neubau liegt bereits in Ehrenfeld bei 20 Euro pro Quadratmeter. So nah am Dom wird er um ein vielfaches höher liegen. Den Wohnungsbau zu erzwingen, schafft also plump gesagt Zweitwohnungen für Superreiche zwischen Hochglanz-Büros und Einkaufsstraßen in einer der teuersten Gegenden der Stadt. Und mittendrin Apartments, für die man einen Wohnberechtigungsschein benötigt. Die Einkommensgrenze für zwei Erwachsene liegt bei jährlich 24.600 Euro. Die Frage steht im Raum, ob Wohnen mit geringem Einkommen parallel zur Hohe Straße erstrebenswert ist und ob so das Mischquartier der Zukunft entstehen kann.

Warum ist der Aufschrei der Politik so groß?

Das kann nicht nur an den 64 Wohnungen des Laurenz Carré liegen. Denn die machen gerade einmal rund ein Prozent des Wohnungsbauziels der Stadt aus. Vielmehr geht es darum, keinen Präzedenzfall zu schaffen, bei dem ein Investor aus einem Vorvertrag entlassen wird, der neue Wohnungen für die Stadt bringen soll. Denn dann könnten auch andere Unternehmen in weniger prominenten Lagen auf die Idee kommen, den Bau von Wohnraum und öffentlich geförderten Wohnungen zu streichen.

Gibt es noch andere Faktoren?

Ja, die sogenannte Veränderungssperre. Diese untersagt Änderungen an der Planung ohne Zustimmung von Politik und Verwaltung. Sie wurde im Juli 2019 beschlossen. Nach zweifacher Verlängerung läuft sie am 17. Juli dieses Jahres aus. Aus Sicht von Politik und Verwaltung soll also möglichst vorher ein Beschluss gefasst werden.

Wer hat die Karten in der Hand?

Eigentlich ist es einfach: Politik und Verwaltung erstellen und beschließen Bebauungspläne. Sie sitzen am längeren Hebel. Allerdings hat die Politik auch immer die Möglichkeit, eine Änderung eines solchen B-Plans zu beschließen. Es ist also nichts in Stein gemeißelt.

Welcher Beschluss ist heute Thema im Stadtrat?

An dieser Stelle gibt es einen kleinen, aber prägnanten Unterschied. Denn auf der Tagesordnung steht ein sogenannter Angebotsbebauungsplan. Dieser beinhaltet den Wohnungsbau und auch den geförderten Wohnraum. Ein Angebot ist allerdings verhandelbar. Das kritisieren einige Politiker. Gerchgroup und Verwaltung haben bestätigt, dass die Verhandlungen laufen. Von Seiten des Projektentwicklers heißt es: „Bezüglich der Entwicklung des Wohnungsbau-Grundstücks befinden wir uns im Austausch mit der Stadt Köln, um hier Lösungsmöglichkeiten zu diskutieren und zu finden. Es ist das gemeinsame Interesse der Stadt Köln und der Gerchgroup, ein tragfähiges Konzept zu finden. Wie genau diese Lösung aussieht, bleibt den Gesprächen mit der Verwaltung und Politik vorbehalten.“

Wie geht es nun weiter?

Ein Kompromiss zwischen Politik, Verwaltung und Investor ist die einzige schnelle Lösung. Ansonsten könnte das Projekt stocken. Entweder, weil Gerch verkauft, damit jemand anderes den Wohnungsbau realisieren kann. Das könnte angesichts der Krise am Markt dauern. Dass der Projektentwickler den Bau der anderen Bereiche ruhen lässt, um Druck auszuüben, ist angesichts der bereits genehmigten und im Bau befindlichen umliegenden Abschnitte unwahrscheinlich.