Innenstadt-Politiker wollen das Rathenauviertel unter eine Milieuschutz-Satzung stellen. Die Stadt hingegen sieht keine Notwendigkeit, Mieter mit diesem Instrument zu schützen.
Streit um VerdrängungPolitiker wollen Mieterschutz für Rathenauviertel durchsetzen – gegen Votum der Stadt
Die Verwaltung und die Mehrheit im Stadtentwicklungsausschuss sind sich einig. Die Bezirksvertretung Innenstadt widerspricht vehement. Es geht - im Behördendeutsch gesprochen - um die „Aufhebung des Beschlusses über die Aufstellung einer Sozialen Erhaltungssatzung für das Gebiet Neustadt Südwest“. Was arg bürokratisch klingt, hat sehr konkrete Auswirkungen auf das Leben der Menschen zwischen den Ringen, der Luxemburger Straße, der Moselstraße und dem Bahndamm bis zur Aachener Straße und dann bis zum Rudolfplatz.
Einige Seitenstraßen über das beschriebene Gebiet hinaus sind auch betroffen. In Gebieten mit einer Sozialen Erhaltungssatzung müssen bauliche Veränderungen und Nutzungsänderungen an Wohngebäuden genehmigt werden. Damit sollen Luxussanierungen und Modernisierungen verhindert werden, die zu erheblichen Mietsteigerungen führen können. Die Satzung bietet somit die Möglichkeit, Aufwertungsprozesse sozial verträglicher zu steuern und Verdrängungsprozessen vorzubeugen.
Amtliche Genehmigung für Veränderungen
Sie wird auch Milieuschutz-Satzung genannt. Die Mieten sollen so bleiben, dass alle, die jetzt dort wohnen, sich das auch in Zukunft leisten können. Notwendige Veränderungen werden natürlich erlaubt. Das Klo auf halber Treppe etwa ist nicht mehr zumutbar. Wer verändert, braucht eine amtliche Genehmigung. Die wird erteilt, wenn eine Wohnung in einen „zeitgemäßen Ausstattungszustand“ versetzt werden soll, der den baurechtlichen Mindestanforderungen entspricht. Konkret genannt wird die Wärmedämmung.
Gestattet ist auch die Schaffung von zusätzlichem Wohnraum, der Anbau eines ersten Balkons oder einer Loggia. Auch Aufzüge dürfen eingebaut werden – aber alles möglichst preiswert.
Nach einer ersten Bewertung hat die Verwaltung dem Stadtentwicklungsausschuss die Aufstellung einer Milieuschutz-Satzung empfohlen. Der Ausschuss beschloss 2021, wie ihm geheißen. Um den Erlass der Satzung rechtssicher zu machen, wurde das Gebiet noch einmal vertiefend untersucht.
Und dann kam alles ganz anders. Das mit der Untersuchung beauftragte Hamburger Büro ALP, Institut für Wohnen und Stadtentwicklung, hat herausgefunden, dass eine Milieuschutz-Satzung in dem in Rede stehenden Areal nicht rechtssicher beschlossen werden könne. Drei Voraussetzungen müssten für die Satzung gegeben sein: Aufwertungspotenzial, Verdrängungspotenzial und Verdrängungsdruck.
Die würden bei einer juristischen Auseinandersetzung zwischen Hauseigentümern und der Stadt auch von den Gerichten geprüft. Manche Immobilienbesitzer bewerten die Milieuschutz-Satzung als Eingriff in ihre Eigentumsrechte. Aufwertungspotenzial hinsichtlich der Wohnungsausstattungen und der Gebäudequalitäten bescheinigen die Hamburger dem Veedel durchaus. Auch Verdrängungspotenzial sei vorhanden. Festgestellt wurde, dass einem Teil der Anwohner trotz hoher Einkommen in Folge von modernisierungsbedingten Mietsteigerungen adäquater Wohnraum im Veedel nicht mehr zur Verfügung stünde.
„Dies betrifft besonders verdrängungssensible Gruppen wie Bezieher von Arbeitslosengeld II“, heißt es in dem Bericht. Von denen lebten im Untersuchungsraum eher wenige.
Merkmal Verdrängungsdruck wurde nicht gefunden
Verdrängungsdruck haben die Gutachter nicht gefunden. Die Gentrifizierung im Veedel habe vor zehn Jahren und früher stattgefunden. In den vergangenen Jahren sei die Bevölkerungsstruktur stabil geblieben. Die Einkommen der Zuziehenden seien oft niedriger als die der Alteingesessenen.
Während sich der Stadtentwicklungsausschuss dem gegen die Stimmen der SPD und der Linken angeschlossen hatte, wandte sich die Bezirksvertretung Innenstadt einstimmig dagegen.
Antje Kosubek von den Grünen monierte die Befragung, die das Hamburger Institut im Veedel durchgeführt hat, um Auskünfte über die Sozialstruktur zu erhalten. „Die Befragung hat in der Corona-Zeit stattgefunden. Es gab keine öffentlichen Veranstaltungen“, sagte Kosubek und forderte eine Wiederholung der Befragung. Michael Scheffer von den Linken erklärte: „Aus meiner Sicht sind 2,5 bis 2,75 der drei Kriterien für eine Milieuschutz-Satzung erfüllt.“
Laut Gutachten komme sie zehn Jahre zu spät. „Ich möchte mir in zehn Jahren nicht vorwerfen lassen, dass der Aufstellungsbeschluss heute aufgehoben wurde.“ Bürgeramtsleiter Ulrich Höver räumte ein, dass die Befragung nicht fehlerhaft, aber unter Corona-Bedingungen schwierig gewesen sei. Jetzt ist erneut der Stadtentwicklungsausschuss am Zug. Der tagt das nächste Mal am 1. Juni.