AboAbonnieren

St. Severin KölnGemeinde und Pfarrer denken über die Zukunft der Kirche nach

Lesezeit 7 Minuten

Die Schreinprozession ist alljährlich einer der Höhepunkte der Verehrung des Heiligen Severin, die von der Karl-Brust-Stiftung unterstützt wird.

Altstadt-Süd – Eigentlich müsste die Gemeinde diesen Pfarrer auf Händen tragen. Das würde der natürlich niemals wollen. Aber rund um den Kirchturm von St. Severin ist jedem klar, dass es die Gemeinde in der jetzigen Form nur geben wird, solange Johannes Quirl dort die Messe liest. „Wenn unser Pfarrer in den Ruhestand geht, wird die Gemeinde Teil des Sendungsraums Köln-Mitte“, wirft Dr. Joachim Oepen, Mitglied des Kirchenvorstands von St. Severin, einen Blick in die Zukunft. Unter lautstarkem Beifall hat der 64-jährige Quirl kürzlich bei einer Gemeindeversammlung offenbart, dass er mindestens bis zum 70. Lebensjahr Pfarrer in St. Severin bleibt. Die Regelung im Erzbistum laute: „Bis 70 muss ich, bis 75 darf ich“, so der Geistliche.

Sendungsraum Köln-Mitte bedeutet, dass in der Innenstadt sechs Seelsorgebereiche zusammenarbeiten sollen. Jeder Bereich hat eine so genannte Hauptkirche. Im Norden ist das etwa St. Agnes, im Süden ist es St. Severin. Zugeordnet sind dort als „weitere Kirchen“ St. Paul, St. Johann Baptist, St. Maternus und die Maria-Hilf-Kirche an der Rolandstraße. Das gilt heute schon. Koordiniert wird der Sendungsraum von Pfarrer Dr. Dominik Meiering, der auch in der Severin-Gemeinde höchsten Respekt für den Versuch genießt, diese Mammutaufgabe zu bewältigen. Das Ziel bezeichnet Meiering selbst als ehrgeizig: Die Kirche müsse sich etwas einfallen lassen, „damit sie ihrer Sendung nachkommt, damit Kirche – auch über den vertrauten Kontext der eigenen Gemeinden hinaus – bei den Menschen (wieder) als nah, wirksam und zugewandt erlebt und der Glaube wieder als relevant und bereichernd empfunden wird.“

St. Severin

Die Basilika St. Severin ist eine der zwölf romanischen Kirchen von Köln und dem Heiligen Severin, dem dritten Bischof von Köln, geweiht. Etwa um 900 war der Bau fertiggestellt.

2017 wurde die Kirche nach umfangreichen Sanierungsarbeiten wieder eröffnet. Das nahm die Gemeinde zum Anlass für ein umfangreiches Festprogramm. Daran will man im September mit der Severinale anknüpfen. (ran)

Ohne Laien wird es nicht gehen

Was das alles konkret für St. Severin bedeutet, ist Oepen und Elisabeth Wessel, Vorstand im Pfarrgemeinderat, noch nicht wirklich klar. Klar ist aber auf jeden Fall: Ohne haupt- und ehrenamtliche Laien wird es nicht gehen. „Die Kirche der Zukunft wird weniger klerikal sein müssen“, ist sich Wessel sicher. Weil es schlicht und ergreifend weniger Kleriker geben wird. Der Weg führe zurück in Richtung christliche Urgemeinde. Ob der Erzbischof das wolle? Wessel und Oepen sind sich da nicht so sicher.

Elisabeth Wessel und Dr. Joachim Oepen sind als Laien Mitglieder in den gemeindeleitenden Gremien von St. Severin.

Aber die beiden Laien haben Ideen. „Beispielsweise muss ein Pfarrer nicht automatisch Verwaltungs-Vorgesetzter sein“, sagt Oepen. Das Erzbistum müsse den Gemeinden hauptamtliche Vorgesetzte finanzieren. „Geld ist ja nicht das Problem“, sagt Oepen und lächelt: „Da die Zahl der Pfarrer ja bis 2030 auf die Hälfte des heutigen Standes sinken wird, spart das Bistum in diesem Bereich enorme Personalkosten.“ Auch die Gottesdienste würden sich verändern. „Vielleicht kommt dann nur noch sonntags ein Priester, um die Messe zu lesen. Und wir erleben unter der Woche priesterlose Gottesdienste.“ Schon heute gebe es in der Gemeinde Menschen, die regelmäßig „Wortgottesfeiern“ leiteten. „Auch Beerdigungen in der Gemeinde von St. Severin sind nicht mehr alleinige Sache der klerikalen Profis. „Beispielsweise beerdigt die ehemalige Leiterin der Kita „An der Eiche“ bei uns. Sie kennt viele Leute aus dem Severinsviertel und der Südstadt. Und viele Leute kennen sie.“ Da sei Vertrauen entstanden. „Es geht einfach darum, wie nah wir als Kirchenleute bei den Menschen sind“, ergänzt Oepen.

Trotz der demografischen Entwicklung und den damit einhergehenden sinkenden Kirchensteuereinnahmen hat die Severin-Gemeinde mehr Spielraum als viele andere. Die Katholiken dort darf man bei aller gebotenen Zurückhaltung wohl vermögend nennen. Das verdankt man Karl Burst und der Parkstadt Süd. Der Reihe nach: Burst war von 1777 bis 1802 Stiftsherr an St. Severin. Er starb 1838 und vermachte einer Stiftung Ackerland vor den Toren der Stadt, aus dessen Erträgen die Verehrung des Heiligen Severin materiell sicher gestellt werden sollte. Die Erträge hielten sich in Grenzen.

Während der Severinale im September wird es in der Severinskirche wieder eine Lichtinstallation geben.

Vor nicht allzu langer Zeit wurde das Land gar als Schrottplatz genutzt. Dann wurde über Nacht aus Schrott Gold. Die Gemeinde konnte das Grundstück für sechs Millionen Euro als Parkstadt-Bauland verkaufen. Das Geld investierte man in den Kauf von 40 Wohnungen im Veedel. Damit verfügt die Gemeinde St. Severin über insgesamt 100 Wohnungen in der Südstadt, die sozialverträglich an Familien vermietet sind. 60 Prozent der Stiftungserlöse, also der Mieten, werden für den Unterhalt der Severinskirche verwandt, 37 Prozent für pastorale Aufgaben in der Gemeinde und drei Prozent für das alljährliche Severinusfest. Die pastoralen Aufgaben übernehmen etwa eine Pädagogin mit einer halben Stelle und eine Sozialarbeiterin im Familienzentrum der Gemeinde, die Caritasberatung leistet viel für Hilfesuchende Menschen, die sich in ihrer Not an die Gemeinde wenden.

„Zurzeit steckt die Gemeinde in den Vorbereitungen für die Severinale“, berichtet Elisabeth Wessel. Vom 31. August bis zum 15. September ist ein abwechslungsreiches Programm in St. Severin geplant. Wie vor zwei Jahren nach dem Ende der Kirchensanierung werden die Bänke rausgeräumt. Es wird wieder eine Lichtinstallation geben. Dazu ein Mitsing-Konzert, Lesungen und eine Filmnacht. Es tut sich was in dieser lebendigen Gemeinde. Auf allen Ebenen.

Interview mit Pfarrer Johannes Quirl

Johannes Quirl ist über ein Vierteljahrhundert Pfarrer an St. Severin. Über die vielen Veränderungen im Veedel sprach er mit Stefan Rahmann.

Haben Sie vor 25 Jahren damit gerechnet, dieses silberne Jubiläum in St. Severin zu feiern?

Es ist schon eine lange Zeit. Damals ist Frank Zappa gestorben. Und Steffi Graf hat Wimbledon gewonnen. Ich bin damals an den Ort gekommen, wo ich hingehöre, ohne das vorher zu wissen. Ich kam aus Bickendorf.

Seitdem hat sich im Veedel viel verändert?

Das kann man wohl sagen. Zuerst ist da die Sozialstruktur zu nennen. Es hat eine große Fluktuation gegeben. Viele sind weggezogen, weil sie sich hier die Mieten nicht mehr leisten konnten. Auch aus unserer Gemeinde. Nehmen Sie die einfachen Leute aus der Elsaßstraße. Sobald die sterben, werden die Wohnungen saniert und dann kommen die Reichen. Die Mieten sind auch gestiegen nach der Fertigstellung des Rheinauhafens. Wir als Gemeinde haben Wohnungen und versuchen, da mit unseren begrenzten Mitteln gegenzusteuern.

Auch die Severinstraße ist betroffen.

Die Geschäftsstruktur hat sich drastisch verändert. Früher hatten wir viele inhabergeführte Geschäfte. Heute gibt es immer mehr Ein-Euro-Läden. Ich bin froh, dass wir wenigstens noch einen Fischladen und ein Buchgeschäft an der Severinstraße haben. Statt Fachgeschäften sind immer mehr Lieferwagen auf der Straße, die Internetbestellungen abliefern. Da geht aus meiner Sicht etwas auseinander.

Was ist Ihnen noch aufgefallen?

Die Eventisierung. 1993 eröffnete Ohm Wellem vor der Severinskirche den Karneval und die Kinder der Grundschule Zugweg sangen auf der Bühne. In der ersten Reihe saßen die alten Menschen aus den Altenheimen im Veedel in Rollstühlen. Die Radio-Köln-Bühne hat alles verändert. Plötzlich wateten die Leute durch Berge von Glas. Immer mehr Leute aus meiner Gemeinde fliehen vor dem Karneval.

Und in der Gemeinde?

Als ich kam, waren St. Severin und St. Johann Baptist eine Gemeinde. Jetzt bin ich leitender Pfarrer von fünf Pfarreien.

Was gilt es für die Zukunftsfähigkeit von St. Severin zu tun?

Wir müssen Leute fit machen. Zum Beispiel Leute, die Wortgottesfeiern leiten. Die werden vom Erzbistum ausgebildet. Wir müssen als Priester tun, was wir tun müssen. Aber wir müssen andere auch machen lassen. Wir müssen sehen, wie wir mit den fremdsprachigen Gemeinden umgehen – beispielsweise mit den polnischen und portugiesischen Gemeinden in St. Paul. Neue Gemeinden entstehen etwa aus syrischen und irakischen Christen. An Herausforderungen mangelt es den Christen nicht.

Ist es jemals passiert, dass Sie keine Idee für eine Sonntagspredigt hatten?

In 39 Jahren als Priester zweimal. Da habe ich stundenlang mit der Bibelstelle gerungen, aber es kam nichts. Das habe ich den Leuten in der Messe anschließend genau so gesagt. Und lieber nichts gepredigt als irgendetwas Schlechtes.