Jürgen Becker stellt sein neues Programm „Disco“ in der Torburg in der Südstadt vor.Warum der Kölner nicht gerne über die Arbeit singt - Jürgen Becker weiß es.
Neues Programm „Deine Disco“Was für Jürgen Becker der Soundtrack seines Lebens ist
Disco-Musik und Karaoke aus der „Torburg“? Ungewöhnlich. Zwischen den Liedern lautes Gelächter, das aus der Südstadtkneipe bis zum Severinstor schallt. Was ist da los? „Wenn der Abend gut läuft, dann singen wir zusammen. Wenn der Abend für Sie schlecht läuft, dann singe ich alleine.“ Der Kabarettist Jürgen Becker stellt Weggefährten und Freunden sein neues Programm vor: „Deine Disco – Geschichte in Scheiben“. Die Kneipe ist gerammelt voll. Unter den Gästen Tommy Engel und Biggi Wanninger, Stephan Brings und Arno Steffen, Kozmic Blue und Martin Stankowski. Becker beschäftigt auf amüsante Weise die Frage, welchen Einfluss Musik auf die Entwicklung unserer Gesellschaft hat und ob sie und nur sie radikale Wandlungen vollbringen kann.
In der Kneipe starten die Gäste textsicher mit dem Schlaflied „Guten Abend, gute Nacht“ in die Beweisfindung. Becker gibt zu, dass es ihn nächtelang umgetrieben habe, ob dieser Gott „morgen früh, wenn Gott will“ ihn tatsächlich wieder wecken würde – oder was anderes zu tun hätte. „Musik schafft Heimat“ und zum Beweis erklingt Heino mit dem Loblied auf den deutschen Rhein, die Niedersachsen — sturmfest und erdverwachsen — und dem schönen Westerwald (Eukalyptusbonbon). Während Pink Floyd weltweit mit „Dark Side of the moon“ in eine neue Welt startet, tanze Deutschland nach den Klängen von James Last. Das Lebensgefühl der 70 Jahre fasst Becker mit einem einzigen Wort zusammen: „Hossa“.„Was soll man auf der dunklen Seite des Mondes, wenn auf der Sonnenseite des Lebens 'ne geile Fete abgeht.“ Klar ist: Musik schafft Gemeinsamkeit. Warum wir zusammen sind, wo wir hingehören. Ist Heimat der Ort, wo man die gleichen Lieder singt? „Steht für Deutschland schaffe, schaffe Häusle bauen, immer im Hamsterrad? “ „Hoch auf dem gelben Wagen“ sitzt heute der DHL-Bote und der ist – ne arme Sau. Keine Zeit anzuhalten. Ausbeute im Niedriglohnsektor. „Klar, dass das Lied von Walter Scheel auch gesungen wurde. Solche Arbeitsbedingungen kann ja nur die FDP gut finden“, sagt Becker.
Die Vokabel „Work-Life-Balance“, der Ausgleich zwischen Arbeit und Freizeit, komme da nicht vor. Alle immer gestresst, unter Druck, immer schneller im Dienst der Wirtschaft. „Ist das heute unsere Heimat?“ Becker zeigt, dass es auch anders geht: Zum Beispiel in Köln. In zwei Millionen Liedern gehe es nur darum, wie schön Köln ist, nicht um Fleiß und Schufterei. Im Kölschen Liedgut gehe es nie um Arbeit. Selbst bei einem der wenigen Arbeiterlieder, findet die Arbeit selbst in („Tommy, wie viel Strophen hätt D'r Mürer? 28? „) in 28 Strophen keinen Platz. Hurra! Jetzt ävver ran. „un röf: Ich ben dann fott bes Dienstag.“ Vier Tage Woche – grad von der SPD gefordert werde in Köln schon seit Jahrhunderten gelebt. Kölns Antwort auf „kein Bier auf Hawaii“ ist „Drink doch eine met“. Und während sich alle in der Torburg daranhalten, lächelt Tommy Engel nur still vor sich hin. „Loss mer fiere, nicht deportiere“, sagt Becker, während die Sammelbüchse für „Arsch huh“ die Runde macht. Becker kommt in das Zeitalter des Wassermanns, den Soundtrack einer Welt, die anders war. Santanas Musik sei am ehesten auch der Soundtrack seines Lebens. „Das hat mir viel bedeutet“, sagt er der Rundschau. Wie die „Internationale“ für Klassenkampf stehe, die „Marseillaise“ für unbedingten Kämpferwillen, so rege Santana zum Knutschen an – „notfalls mit der Stehlampe.“
Aber heute fehle der Soundtrack. Es gebe keine passende Musik, die alle mitreißt. „Wir können das Klima nicht retten ohne Musik. Wie? Vergesst die Emotionen nicht. Ohne Groove kein Move.“ Zurück ins Jahr 1978 – das ist Beckers These: „Da müssen wir hin. Wir trennen uns von unserem Partner leichter als von unserem Porsche. Oder unserer Heizung. Heute ist der intimste Ort der Deutschen nicht mehr ihr Schlafzimmer, sondern der Heizungskeller. Wenn im Schlafzim-mer tote Hose ist, ist das für den hässlichen Deutschen egal. Aber wenn im Heizungskeller der Ofen aus ist, dann kommt die kalte Wut.“ Das müsse nicht sein. „Wenn man sich von etwas Altem verabschiedet, kann das der Aufbruch in eine neue Zeit sein. Wie der Kölner sagt: Wat fott es, es fott.“
Termine: 13. April: Theater am Tanzbrunnen, 9. Juni: Senftöpfchen, 21. September: Bürgerzentrum Ehrenfeld, 26. September: Eltzhof Porz, 19. November: Kulturkirche Nippes, 8. November: Brunosaal