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„Auszeit vom Krieg“Ukrainische Jugendliche genießen in Köln unbeschwerte Momente

Lesezeit 4 Minuten
Schülerinne und Schüler klopfen auf Trommeln.

Bei einem Kurs im Sambatrommeln sollen die Schülerinnen und Schüler auf andere Gedanken kommen.

Durch ein Unesco-Projekt nehmen 15 ukrainische Jugendliche an einem bunten Freizeitprogramm teil - vergessen können sie den Krieg aber nicht.

Den Krieg mal vergessen, geht das überhaupt? Als die Salsa-Musik aus den Boxen tönt und die Gruppe anfängt zu tanzen, sieht es wenigstens für einen Moment danach aus. Die Jugendlichen kichern, lassen sich treiben. Stolz tragen sie bunt bestickte Hemden, eine Tradition in der Ukraine. Eine Schülerin hat ein Shirt ganz in Gelb und Azurblau an. Es ist eben doch kein gewöhnlicher Tanzkurs, der in der Mensa des Kölner Hansa-Gymnasiums stattfindet. „Wir denken immer daran, was in der Ukraine passiert. Vergessen können wir den Krieg nie wirklich“, sagt der 15-jährige Oleksandr. „Dieser Aufenthalt ist trotzdem eine schöne Abwechslung.“

Das Projekt „Auszeit vom Krieg“ ermöglicht 15 ukrainischen Schülerinnen sowie zwei ihrer Lehrerinnen einen dreiwöchigen Aufenthalt in Köln. In Kooperation mit dem Hansa-Gymnasium erleben sie in dieser Zeit Events, Kurse, Ausflüge und Kunst, um sich zu erholen und auf andere Gedanke zu kommen. Kölner Gastfamilien nehmen die Jugendlichen im Alter von elf bis 17 Jahren während dieser Zeit bei sich auf. Das von der deutschen Unesco-Kommission organisierte Projekt ist dank der Finanzierung durch das Auswärtige Amt komplett kostenlos für die ukrainischen Gäste.

Am wertvollsten ist, dass wir uns sicher fühlen.
Svitlana Melnyk, Leiterin der ukrainischen Schule Lyzeum 23

„Am wertvollsten ist, dass wir uns sicher fühlen“, sagt Svitlana Melnyk, die Leiterin der teilnehmenden Schule in Zhytomyr, einer Stadt in der westlichen Hälfte der Ukraine. „Nachts können wir hier ruhig schlafen, weil keine Sirenen aufheulen“, erklärt sie. „Die gehen einem nicht nur auf die Nerven, sondern bringen Sorgen und Tod mit sich.“ Der Krieg verändert alles, auch den Alltag auf der weiterführenden Schule Lyzeum 23. „Manchmal gibt es Luftalarm. Dann müssen wir schnell in den Keller gehen“, erzählt der 11-jährige Mark. Im vergangen Jahr fand der Unterricht online statt, mittweile kommen wieder alle in die Schule. Was die Schülerinnen und Schüler durch den Unterrichtsausfall verpassen, können sie in den Ferien bei Nachhilfekursen nachholen.

Jedes Gespräch über den Krieg wird beim nächsten Programmpunkt der Gruppe lautstark übertönt: Auf Salsa folgt jetzt Samba. Mit Trommeln, die schon mehrmals auf dem Schull- un Veedelszöch unterwegs waren, bringen die ukrainischen Gäste das ganze Gebäude rhythmisch zum Klingen. Mark findet, dass man dabei gut aufgestaute Wut und Frust loswerden kann. Auch im Zoo, Schwimmbad und Museum oder bei einem Fußball-Bundesligaspiel der Frauen waren die Jugendlichen schon. Bald stehen ein Besuch in der Kletterhalle und ein Trip ins Schullandheim an. Für die Reise nach Köln wählten die Lehrerinnen Schüler aus, die auch außerhalb des Unterrichts in der Schule und der Stadt engagiert sind.

Die Jugendlichen sind mittlerweile an den Krieg gewöhnt

Den großen Schrecken scheint der Krieg bei den meisten Jugendlichen verloren zu haben. Sachlich erzählen sie von dem, was in der Ukraine passiert. „Wir haben nicht mehr so viel Angst, weil wir uns daran gewöhnt haben“, sagt Kseniia (16). „Leider“, fügt ihre Deutsch-Lehrerin Liliia Chernii an. „Der Krieg ist zum Alltag geworden.“ An manches werde sie sich aber nie gewöhnen: „Lächelnd vor der Klasse zu stehen und gute Laune zu verbreiten, obwohl ich große Sorgen habe, ist besonders hart für mich“, erklärt Chernii.

Ihr Mann war über ein Jahr als Panzerfahrer an der Front. Der Lehrerin blieb nichts anderes übrig, als so normal wie möglich weiterzumachen. Mittlerweile ist er unverwundet wieder zuhause, sein Bruder starb jedoch mit 40 Jahren bei einem Angriff. Chernii hat ihren 14-jährigen Sohn auf die Reise mitgenommen. Auch ihn lässt der Krieg nicht ganz los: „Ich schaue oft am Tag im Internet nach, ob es Neuigkeiten gibt“, erzählt er. Hier könne er jedoch friedlicher schlafen. Zuhause muss nachts das Fenster geöffnet und das Handy auf laut sein, um Warnungen möglichst schnell zu hören.

Wir sind sehr dankbar, dass wir hier wirklich für eine Weile leben dürfen und nicht nur kurz zu Besuch sind, um etwas zu besichtigen.
Liliia Chernii, Lehrerin an der ukrainischen Schule Lyzeum 23

Der Aufenthalt in Köln sei auch für die Lehrkräfte eine willkommene Abwechslung. „Wir sind sehr dankbar, dass wir hier wirklich für eine Weile leben dürfen und nicht nur kurz zu Besuch sind, um etwas zu besichtigen.“ Es sind scheinbar banale Dinge, die Chernii an ihrem Aufenthalt in Köln besonders genießt. „Es ist so schön, einfach dahin spazieren gehen zu können, wo man will“, sagt sie begeistert.

In Köln kosten sie und ihre Kollegin etwas aus, das gewöhnlichen Touristen wahrscheinlich nicht positiv an der Stadt auffällt: „Die Ruhe“. Auf ihrem Smartphone hat sie seit Beginn des Krieges eine App, die laute Warnungen über Angriffe in der Ukraine gibt. Auf dem Trip nach Köln erlaubt sie sich einen besonderen Luxus: „Ich habe sie einfach mal für eine Weile deinstalliert.“