Der Abbruch der Kragplatte am Altstadtufer ist technisch aufwendig. Die 255 Meter lange Betonkonstruktion muss in rund 685 Teile zersägt werden. Ein Besuch auf der Baustelle am Kölner Rheinufer.
KragplatteBeton-Koloss am Kölner Rheinufer wird in rund 685 Stücke zersägt
Ein Sprichwort sagt, dass man den Ast, auf dem man sitzt, nicht absägen soll. Aber was macht man, wenn man die Platte, auf der man steht, absägen muss? Und diese Platte auch noch knapp zehn Tonnen wiegt, aber nicht herunterfallen darf? Dann hilft nur noch eine ausgefeilte Technik. Und ein großer Kran.
Willkommen auf der Baustelle am Altstadtufer. Hier haben Arbeiter in der vergangenen Woche begonnen, die sogenannte „Kragplatte“, eine mehrere tausend Tonnen schwere Betonkonstruktion, zu zerlegen. 1963 war der Koloss gebaut worden, um die Rheinuferpromenade zu verbreitern. Ihren Namen hat die Kragplatte davon, dass sie fünf Meter über die Kaimauer hinauskragt, also wie eine Art Balkon über dem Rhein hängt.
Das Problem ist ihr Innenleben, wie Sonja Rode (52), Leiterin des städtischen Amts für Brücken, Tunnel und Stadtbahnbau, erläutert. „Im Innern der Kragplatte ist ein Sigma-Oval-Spannstahl verbaut, der zur Spannungsrisskorrosion neigt. Das bedeutet, dass dieser Stahl im schlimmsten Fall spontan ohne jede Vorwarnung reißen kann.“ Die Folge wäre, dass die Kragplatte an der Kaimauer abbrechen und in den Rhein stürzen könnte – mitsamt allem, was sich darauf befindet.
Damit das nicht passiert, hat sich die Stadt entschlossen, die marode Konstruktion abzureißen und durch eine neue zu ersetzen. Das bedeutet zurzeit jede Menge Arbeit für die Betontechniker einer Firma aus Troisdorf, die im Auftrag des Generalunternehmers Hochtief die 255 Meter lange und bis zu 50 Zentimeter dicke Kragplatte nach allen Regeln der Kunst in transportierbare Teilstücke zersägen. Erst wird die Spannbetonplatte gleichsam in Streifen geschnitten: Dafür werden im rechten Winkel zum Rhein im Abstand von rund 1,50 Metern lange Trennschnitte ausgeführt. „Hier kommen Betonsägen zum Einsatz mit Trennscheiben, die bis zu 1,60 Meter Durchmesser haben“, erklärt der städtische Projektleiter Dietmar Schlößer.
Da der Spannstahl dabei nicht beschädigt wird, bleiben die einzelnen Streifen vorerst stabil. Um ein Teilstück der Kragplatte zu entfernen, befestigen die Arbeiter zunächst vier starke Stahlketten daran. Mit einem großen Kran nehmen sie die Ketten an den Haken, damit der Kran das Betonteil halten kann, während es parallel zur Ufermauer abgetrennt wird. „Hierfür werden spezielle Seilsägen verwendet. Dabei handelt es sich um Nylonseile mit Stahlkern, die eine Diamantbeschichtung haben“, berichtet Schlößer. Um den Lärm in Grenzen zu halten, werden an den Sägen mobile Schallschutzwände aufgestellt.
Betonteile werden per Schiff abtransportiert
Etwa eineinhalb Stunden dauert der Trennschnitt quer zum Rhein. Als der letzte Zentimeter Beton durchtrennt ist, sackt die Platte unter ihrem hohem Gewicht schlagartig ein Stück ab. Der Kranführer steuert dagegen, lässt das knapp zehn Tonnen schwere Teil sanft durch die Luft schweben und setzt es im Rheingarten ab. „Die abgetrennten Teile der Kragplatte werden hier zwischengelagert und ab Mitte Januar mit dem Arbeitsschiff ‚Innovatie‘ abtransportiert. Das Schiff liefert auch die Fertigteile für die neue Kragplatte aus einem Betonwerk in Andernach an. Durch den Schiffstransport vermeiden wir zahlreiche Lkw-Fahrten durch die Altstadt“, erläutert Amtsleiterin Sonja Rode.
Der Aufwand für das Sägen der Kragplatte ist so groß, dass die Arbeiter derzeit pro Tag nur zwei Teilstücke schaffen. Denn bei dem überhängenden Teil muss jeder Abschnitt mit dem Kran gesichert werden. Der landseitige Teil der Kragplatte lässt sich später schneller zersägen, weil das ohne Kran funktioniert. Beim Sägen muss ständig mit Wasser gekühlt werden. „Das Sägewasser darf nicht in den Rhein geleitet werden und wird in Fässern aufgefangen“, betont Rode. Dafür wurde extra unter der Kragplatte ein hochwassersicheres Faltgerüst an der Ufermauer befestigt. Während des starken Frostes Mitte Dezember habe man die Sägearbeiten einstellen müssen, weil das Kühlwasser eingefroren war.
Projekt soll vor der Fußball-EM 2024 fertig sein
Um die alte Kragplatte komplett zu entfernen, muss sie laut Rode in mehr als 685 Teilstücke zersägt werden. Der erste Bauabschnitt soll im Sommer fertig sein, das gesamte Projekt samt Neupflasterung bis zum Sommer 2024 abgeschlossen werden. „Bisher läuft alles planmäßig. Wir hoffen, dass wir vor der Fußball-EM 2024 fertig sind“, sagt Projektleiter Dietmar Schlößer.
Bis Ende dieser Woche sägen die Betontechniker fleißig weiter, dann sind Weihnachtsferien. Weiter geht es ab 9. Januar. Die neue Kragplatte wird so groß sein wie die alte und wie diese auf den historischen Ufermauern von 1848 und 1890 aufliegen. Dank eines soliden Spannstahls soll sie eine Lebensdauer von rund 100 Jahren haben. Für die sechs Platanen, die wegen der Bauarbeiten gefällt werden mussten, werden an denselben Stellen Bäume nachgepflanzt.