Kölner Bewährungshelfende„Unsere Arbeit ist immer auch eine mit dem Rückfall“
Köln – Der Klingelton des Telefons erinnert an eine Arztpraxis, zweimal schellt er durch den Raum, dann hebt Martin Maurer den Hörer ab. Das Gespräch ist kurz, es geht um den nächsten Gerichtstermin, Urinproben müssen mitgebracht werden, von einem zertifizierten Labor. Noch eine inhaltliche Rückfrage, ein Grußwort, das Telefonat ist beendet. Martin Maurer dreht sich mit seinem Bürostuhl um und lächelt, auf den Rückruf des Klienten habe er bereits gewartet. Für das Interview schaltet er nun vorsorglich den Klingelton aus. Sonst könne man sich vor Unterbrechungen kaum retten, erklärt er, das gehöre zum Beruf, das Telefon stehe niemals still. Denn Martin Maurer arbeitet als Fachkraft des Ambulanten Sozialen Dienstes (ASD) der Justiz, im Volksmund besser bekannt als „Bewährungshelfer“.
„Mein ältester Klient war 80 Jahre alt"
„Das ist die landläufige Bezeichnung, aber eigentlich ist die Bewährungshilfe nur ein Teilbereich des Berufs“, erklärt Maurer. Zum Berufsbild gehörten sowohl die Bewährungshilfe, als auch die Gerichtshilfe und die Führungsaufsicht. Der studierte Sozialpädagoge arbeitet in den Fachbereichen Bewährungshilfe und Führungsaufsicht, mit einer Spezialisierung für Jugendliche und Heranwachsende.
Auch Denise Neumann, eine Kollegin Maurers und ebenfalls Fachkraft des Ambulanten Sozialen Dienstes in Köln, betreut Klienten in der Bewährungshilfe und der Gerichtshilfe und kümmert sich zusätzlich um Opferarbeit. Die Fälle bekommen sie vom Gericht zugewiesen. Bei den Klienten oder auch Probranden, wie die zu Bewährenden genannt werden, handele es sich um Menschen, die Straftaten begangen haben und nun unter gerichtlichen Auflagen leben. Die Altersspanne reiche dabei von 14 Jahren bis ins hohe Alter, wie Denise Neumann zu berichten weiß: „Mein ältester Klient war 80 Jahre alt – da gibt es wirklich keine Grenze nach oben“.
Auch die Gründe für die Verurteilungen seien so individuell wie die Probandinnen und Probanden selbst, von Delikten wie Diebstahl oder Drogenbesitz bis hin zu Körperverletzungen sei alles dabei. „Das ist immer der erste Ansatz, wenn man einen neuen Fall bekommt: Wo steht die Person gerade? Wie kam es zu der Straftat und was sind die persönlichen Hintergründe?“, erläutert der studierte Sozialarbeiter Maurer. Dabei sei es wichtig, allen Klienten mit professionellem Respekt zu begegnen, so Neumann: „Die Menschen wurden ja bereits vom Gericht verurteilt. Da müssen wir nicht erneut ein Urteil fällen.“
Begegnung auf Augenhöhe, Hilfe zur Selbsthilfe
Im gemeinsamen Gespräch schauen die Fachkräfte dann, welche Auflagen vom Gericht gestellt wurden, was für Probleme bestehen und wo Hilfe nötig wird. Ob Jobsuche, Drogenberatung oder Wohnprobleme: Die Fachkräfte des ASD vermitteln Ansprechpartner, unterstützen und beraten. „Im Endeffekt bieten wir hier Hilfe zur Selbsthilfe“, betont Maurer. Wichtig sei eine Begegnung auf Augenhöhe und absolute Offenheit. „Wir müssen selbst authentisch bleiben. Das Wichtigste in unserem Beruf ist es ja, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen“, so Neumann.
Alle vier bis fünf Wochen kommen die Klienten für ein persönliches Gespräch ins Haus, manche Treffen seien nach 10 Minuten beendet, hinter anderen schließt sich die Tür erst nach einer Stunde. Dazu kommen Gerichtstermine, Hausbesuche, Telefonate und das Schreiben der Gutachten und Berichte. Trotzdem halten sich die beiden Fachkräfte immer gewisse Zeiträume frei – für akute Probleme. „Zum Beispiel einschneidende persönliche Ereignisse oder ein plötzlicher Jobverlust. Wir haben offene Sprechstunden, in denen die Klienten auch ohne Termin zu uns kommen können“, erklärt Maurer und nickt zur Bürotür. Auf dem Flur gäbe es normalerweise auch Warteräume, wegen Corona seien diese aktuell jedoch noch nicht wieder in Benutzung.
„Es sind die kleinen Erfolge, die zählen“
Die Zeit des Lockdowns habe Vor- und Nachteile mit sich gebracht: „Einige Probanden haben sich durch den fehlenden persönlichen Austausch schon zurückgezogen“, erinnert sich der Sozialarbeiter. Andere hätten gerade durch die soziale Isolation auf einmal mehr Kontakt gesucht. Sie böte allen Klienten auch nach Abschluss der gemeinsamen Zeit ein offenes Ohr, betont Neumann. „Es passiert dann auch immer Mal wieder, dass sich Klienten nach Jahren nochmal zurückmelden und kurz berichten, wie es ihnen geht“. Ob ein Fall sie besonders berührt hat? „Eine Klientin hat sich nach Jahren noch einmal zurückgemeldet und gesagt, dass sie noch oft an die Bewährungshilfe zurückdenke. Das hat mich bewegt, denn da merke ich: Ich berühre die Menschen.“ Jeder Fall, der ohne Zwischenfälle zu einem Abschluss käme, sei ein guter Fall, ergänzt Maurer: „Für mich sind es gar nicht unbedingt die großen Erfolgsgeschichten. Es sind die kleinen Erfolge, die zählen.“
Leider nähmen jedoch nicht alle Fälle ein positives Ende: „Unsere Arbeit ist immer auch eine Arbeit mit dem Rückfall“, erklärt Maurer. Circa 65 Fälle bearbeiten die Fachkräfte laufend – 60 Fälle, das bedeutet eben auch: 60 Menschen und Schicksale. Eine emotionale Distanz zu wahren, sei dabei unabdingbar. „Ich nehme die Fälle aus der Bewährungshilfe normalerweise nicht emotional mit nach Hause“, erklärt die studierte Sozialarbeiterin. Anders sähe es bei der Opferberichterstattung aus, ein Bereich der Gerichtshilfe, den Neumann ebenfalls bearbeitet: „Hier mache ich fast ausschließlich Hausbesuche. Häufig geht es um Themen wie häusliche Gewalt, manchmal sind Kinder involviert – das geht mir dann durchaus nah. Diese Fälle nehmen mich mit.“
Zwar seien meisten Klienten durchaus kooperativ, arbeiteten mit den Fachkräften zusammen und versuchten aktiv, aus dem Geschehenen zu lernen. Manchmal verhalle ein Termin aber auch im Nichts, wenn Probanden nicht erschienen oder Angebote nicht wahrnähmen. „Wir müssen in unserem Job flexibel sein. Unsere Tage sind oft nicht planbar“, erklärt Maurer. Ob sie sich trotzdem vorstellen können, diesen Beruf bis zur Rente auszuüben? Von beiden Seiten hallt ein klares „Ja“ durch das Büro. So schwierig die Themen manchmal seien, so wichtig ist es beiden, weiterhin zu beraten und im besten Falle zur Selbsthilfe zu bewegen. „Wenn sich Klienten melden und sagen: Hey, ich habe es geschafft, ich arbeite, bin sozial gefestigt – das ist mein Ziel“, betont Denise Neumann und lächelt. Auch Martin Maurer stimmt zu: „Wenn ich Zuversicht und Optimismus weitergeben und vermitteln kann – dann habe ich meinen Job erfüllt.“