Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Zu Besuch im Kölner Kloster„Wir sind alle keine Heiligen“

Lesezeit 7 Minuten
Schwester Agnes hat unsere Reporterin im Kloster willkommen geheißen.

Schwester Agnes hat unsere Reporterin im Kloster willkommen geheißen.

Ein Leben, das sich um ganz um Gott dreht: Schwester Agnes hat darin Erfüllung gefunden. Wie sieht der Alltag einer Nonne aus? 

Ihre Gebete wurden erhört. Da ist sie sich sicher. So sicher, dass aus Agnes kurz darauf Schwester Agnes wurde. Nur eine Auszeit möglichst nah bei Gott sollten die drei Tage sein, die sie als 26-Jährige im Kloster der Benediktinerinnen verbringen durfte. Als die junge Frau die Backsteinmauern des Gebäudes wieder verlässt, ein Frühlingstag an Ostern, bekommt sie eine Nachricht. Es erfüllt sich, wofür sie gebetet hat – wie auf Bestellung. Zwei ihrer liebsten Menschen, seit einer gefühlten Ewigkeit zerstritten, wollen miteinander sprechen. Schwester Agnes' persönliches Wunder.

Der heilige Benedikt steht in vielfacher Ausführung im Kloster. Laut seiner Lehre ist die Arbeit ein wichtiger Teil des Glaubens. Die Nonnen sorgen deshalb persönlich dafür, dass das große Kloster nicht einstaubt.

Der heilige Benedikt steht in vielfacher Ausführung im Kloster. Laut seiner Lehre ist die Arbeit ein wichtiger Teil des Glaubens. Die Nonnen sorgen deshalb persönlich dafür, dass das große Kloster nicht einstaubt.

Seit 20 Jahren lebt sie mit Gott im Süden von Köln, hat ihr Leben für ihn umgekrempelt. Eines blieb aber gleich: „An das frühe Aufstehen gewöhnt man sich nie“, sagt die 46-Jährige müde lachend. Vor dem Fenster der Teeküche mit Blick zur Brühler Straße ist es noch dunkel und eiskalter Wind pfeift um das Kloster. Ein schwarzer Schleier rahmt ihr Gesicht ein, bringt ihre blauen Augen zum Blitzen.

Um 6 Uhr begannen sie und ihre Schwestern den Tag mit dem Morgengebet, der Laudes, in der Kirche direkt am Kloster. Gleich geht es mit der heiligen Messe um 7.30 Uhr weiter. „Das ist das Highlight unseres Tages, dann fühlen wir uns Gott am nächsten“, erklärt sie, während die Tasse vor ihr dampft. Fünf Mal beten die Schwestern pro Tag gemeinsam, das letzte Mal um 19 Uhr.

Kloster

Das Kloster in Köln

Besonders hart war es heute aufzustehen, weil Schwester Agnes gestern ihren Arbeitstag im Krankhaus hatte. Vier Mal im Monat taucht sie in die normale Arbeitswelt ab, um ihre Kenntnisse frisch zu halten. Vor rund zwei Jahren hat sie eine Pflegeausbildung abgeschlossen − aus Zuneigung zu ihren älteren Mitschwestern. „Wer ins Kloster geht, möchte dort auch bis zum Tod bleiben.“ Aktuell braucht nur die Älteste Hilfe. Die 87-Jährige wird gleich auf ihren Rollator gelehnt vor den Altar fahren und in der Kirche nur ein paar Plätze weiter von der jüngsten Schwester sitzen, die 25 Jahre alt ist.

In einer Zweierreihe laufen die Nonnen mit kleinen, schnellen Schritten in die Kirche, dann ein routinierte Verbeugung vor dem Altar. Der Pastor steht bereits dahinter. Für die Messe fährt er täglich her. „Fürchte dich nicht! Glaube nur!“, liest er an einem Punkt aus dem Evangelium. „Was uns alle verbindet, ist dass wir uns so stark von Gott angesprochen fühlten, dass wir Antworten wollten“, erklärt Schwester Agnes nach der Messe. Sie steht in der „Apotheke“ des Klosters, einem kleinen Raum mit einem schweren Eichenschrank, aus dem sie Medikamente für die Älteste in eine Dose sortiert.

Persönliche Wünsche für Gott zurückstellen

Sie war Erzieherin, bevor sie ins Kloster eintrat und wollte Kinder haben. Doch für Nonnen sind Partnerschaft und Ehe verboten. Nur so kann alle Zeit in die Beziehung zu Gott fließen. „Der Gedanke an eine Familie war etwas, das ich loslassen musste. Das war auch wirklich herausfordernd für mich“, erklärt sie.   Gerade jetzt, wo es auf die Wechseljahre zugeht, meldet sich der Wunsch wieder stärker. „Aber was ich durch die enge Beziehung mit Gott gewinne, ist noch stärker.“

Schwester Agnes zündet eine Kerze an.

Schwester Agnes: „Der Gedanke an eine Familie war etwas, das ich loslassen musste. Das war auch wirklich herausfordernd für mich.“

Ein altes Nokia-Handy in ihrer Kutte unterbricht sie mit Gebimmel. Ihre Mitschwester im Küchendienst hat Fragen zum Mittagessen. Alle im Kloster haben eine Aufgabe, um es am Laufen zu halten. Das Kloster finanziert sich selbstständig. „Deshalb versuchen wir auch so viel wie möglich selbst zu erledigen.“  

Da ist der große Garten, dutzende Räume und Gänge, die geputzt werden müssen, drei Mahlzeiten am Tag, die auf dem Tisch stehen müssen — und natürlich der Gästebetrieb. Acht Zimmer gibt es in dem Kloster, die von Leuten, die auf der Suche nach Stille und Gebeten sind, gemietet werden können. Rund 45 Euro kostet eine Nacht. Das werde gut angenommen, oft seien alle der Gästezimmer ausgebucht.

Putzen hat für die Schwestern etwas „Meditatives“

Leben in einer Wohngemeinschaft – lebenslänglich. Natürlich gibt es da auch mal Streit. Die eine hat nur dreimal, die andere sechsmal gespült, wieder eine andere, hat etwas benutzt, was nicht ihr gehört. Schwestern halt. „Man muss bereit sein, jeden Tag miteinander zu kommunizieren und klarzukommen“, sagt sie. „Wir sind alle keine Heiligen.“

Schwester Agnes schreitet durch den Kreuzgang mit den bunten Glasfenstern, durch die das Licht des Innenhofs fällt, ihr Schleier weht über ihre Schultern. Ein Bild wie aus einer anderen Zeit — und ein bisschen episch. Bevor gleich das Mittagsgebet losgeht, muss sie in der Kirche wischen und fegen. Ein blauer Plastikstaubwedel gleitet dabei über die Holzbänke, Marias Füße, die Orgel. Zu hören ist nichts außer das Knarzen des Parketts unter Schwester Agnes Füßen. Sie versucht dabei an nichts zu denken, außer ihren Glauben. Das Putzen ist für die Schwestern mehr als ein Punkt auf der To-Do-Liste: „Es hat etwas Meditatives und wir zeigen Gott damit unsere Dankbarkeit.“

Smartphones und Saugroboter im Klosteralltag

Etwas Hilfe gönnen sich die Schwestern aber. Ihr kleiner schwarzer Saugroboter, fährt hin und wieder durch die Flure. Er ist zwischen den alten Mauern einer der wenigen Beweise dafür, dass die Welt sich draußen stetig verändert. Auch einige Smartphones haben ihren Weg ins Kloster gefunden. „Zum Googeln oder für Whatsapp. Das macht vor allem die älteste Schwester gerne.“

Wer nicht arbeitet, sitzt gerade in seiner Zelle. So nennen die Nonnen ihre Zimmer, in denen sie die meiste Zeit zwischen den Gebeten verbringen. Nicht mehr als ein Bett, Schrank und Schreibtisch passen dort rein und niemand außer der Bewohnerin selbst, darf das Zimmer sehen, um die intime Atmosphäre zwischen Nonne und Gott nicht zu stören. Die meisten von ihnen sterben auch dort.  

Stille gibt es im Kloster reichlich

Private Dinge wie Bücher oder Deko dürfen sie besitzen, aber viel passt eben nicht in das Zimmer. Und es wäre auch kein Geld da, um Dinge anzuhäufen. Die Nonnen müssen aus der Gemeinschaftskasse schöpfen, wenn sie etwas haben wollen. „Wenn ich zum Beispiel neue Schuhe brauche, sage ich das der Verwaltungsschwester und sie gibt mir das benötigte Geld. Aber, dass wir Dinge brauchen, kommt selten vor.“ Jede Anschaffung muss einen Nutzen haben. Deshalb lebt Schwester Agnes im Kloster auch zwischen zusammengewürfelten Möbeln, die hauptsächlich mindestens so alt wie sie oder noch älter sind.

Auf ein paar Dinge kann sie aber nicht verzichten. Zum Beispiel auf ihre Inlineskates. Wenn sie damit durch Köln düst, bleibt die Kutte im Kloster. „Obwohl, eine Nonne auf Inlinern, das wäre schon witzig“, lacht sie. Drei Wochen Urlaub haben die Schwestern pro Jahr. Während die einen am liebsten einfach in ein anderes Kloster fahren, geht Schwester Agnes auch gerne wandern.

Wie oft sie mit der Außenwelt in Kontakt kommen, ist von Schwester zu Schwester unterschiedlich. „Es gibt tatsächlich Schwestern, die das Haus so selten wie möglich verlassen.“ Schwester Agnes hat eine von ihnen kurz vor ihrem Tod zu einem Ausflug bewegt. „Das war so schön. Wir waren am Rhein und sie saß dort hochbegeistert, staunte über die Menschen und die Bewegung. Dann haben wir ein Eis gekauft, das sie mit viel Genuss geschleckt hat. Sonst hätte sie sich sowas nie erlaubt.“

Zeit, Ruhe und Platz - zum Beten, so bemessen die Nonnen im Alltag ihren Luxus. Sie beten, während draußen die Welt vorbeizieht. Während Kriege herrschen, Krisen grassieren, die Dinge immer komplexer werden. Nicht nur beim Gebet, sondern auch im Kreuzgang und bei allen Mahlzeiten schweigen die Nonnen, in Gedanken an Gott. Stille ist überall rar geworden. Im Kloster gibt es sie reichlich.

Klosterleben als Flucht?

Ist das Leben als Nonne am Ende eine Art des Eskapismus? Eine Flucht vor Hektik und Leid? „Das würde nicht tragen“, sagt Schwester Agnes. „Das Kloster ist außerdem kein reiner Eigennutz. Wir versuchen, einen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten.“ Einerseits tun die Nonnen das, indem sie beten. „Es gibt so viel Leid auf der Welt. Und das tragen wir mit in unser Gebet. Manchmal nennen wir auch bestimmte Namen. Als Nonne denkt man die anderen immer mit.“ Aber auch eine Ausgabestelle der Tafel gibt es im Kloster und während der Pandemie hingen die Nonnen Lebensmittelspenden an ihren Zaun.

Schwester Agnes möchte mehr tun. Sie will vor allem jungen Menschen die Chance geben, von ihrem geliebten Zuhause zu profitieren. So kam ihr die Idee zu dem Format „Take a Break“. Ein Klosteraufenthalt übers Wochenende, der mehrmals im Jahr stattfindet. Dabei können die Teilnehmenden, ob gläubig oder nicht, die Stille im Kloster genießen, Arbeiten erledigen, sich austauschen, beten, oder einfach für sich sein.

Durch die Offenheit ihrer heutigen Mitschwestern hat schließlich auch Schwester Agnes im Frühling vor 20 Jahren ihren Weg gefunden. „Wir wollen damit keine Menschen für uns gewinnen. Wir wollen ihnen anbieten, was sie vielleicht brauchen. Viele Leute suchen, aber wissen nicht was.“