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Kölner NS-DOKMehr als 100 Menschen brachten Fundstücke aus Kriegszeiten

Lesezeit 4 Minuten
Dieter Schieffers brachte gemeinsam mit seiner Partnerin Karoline Wiegand Briefe und Fotos seiner beiden Onkel ins NS-DOK.Costa Belibasakis

Dieter Schieffers brachte gemeinsam mit seiner Partnerin Karoline Wiegand Briefe und Fotos seiner beiden Onkel ins NS-DOK.

Unter den Fundstücken waren Fotoalben, Briefe, Unterlagen und eine ganz besondere Bastelarbeit.

Wer den Deckel der alten Zigarrenschachtel öffnet, der blickt auf einen Grundriss mit drei kleinen Zimmern. Links der Notabort, in der Mitte ein Geräteschrank, rechts eine Sitz- oder Liegefläche. In Miniaturform hat Walter Knoche 1943 den Luftschutzkeller nachgebaut, in den er sich in seiner Jugend während des Zweiten Weltkriegs flüchten musste. Knoche, Jahrgang 1928, wuchs in Weidenpesch auf. Der Keller war vermutlich in einem Haus in der Nachbarschaft. Knoche lebte auch nach Kriegsende weiter in seinem Heimat-Stadtteil, gründete eine Familie, wurde Bauingenieur und verstarb 2017.

Der Miniatur-Luftschutzkeller von Walter Knoche.

Der Miniatur-Luftschutzkeller von Walter Knoche.

80 Jahre nach dem Kriegsende sitzt Knoches Sohn Klaus an diesem Samstag im NS-Dokumentationszentrum den Mitarbeitern Jens Löffler und Janosch Steuwer gegenüber. Die Zigarrenschachtel hält er in seinen Händen. Beim Sammeltag des Museums möchte er sich von der Bastelarbeit seines Vaters trennen und eine historische Einordnung durch die Wissenschaftler erhalten. „Es ist ein guter Moment, die kleine Schachtel abzugeben“, ist sich der 66-Jährige sicher. Sie sei ihm beim Aufräumen in seinem Elternhaus in die Hände gefallen. „Mein Vater hat als Kind gerne gebastelt“, weiß er zu berichten. Einiges davon sei im Laufe der Jahrzehnte kaputtgegangen, aber der Keller-Nachbau in der Zigarrenschachtel überstand die Zeit. Klaus Knoche überlässt die Kiste dem NS-DOK, „bevor sie irgendwann aus Unwissenheit weggeschmissen wird“.

Sportfeste unter der Hakenkreuzfahne

Das ist auch Heidi Vanhaerens Sorge. Sie gibt gerade bei NS-DOK-Direktor Henning Borggräfe und Birte Klarzyk, die den Sammeltag organisiert hat, Fotos und das Stammbuch ihrer Eltern ab. Die haben einst am 1. Januar 1944 in Köln geheiratet. „Mein Mann und ich haben keine Kinder und ich möchte nicht, dass das nach meinem Tod vernichtet wird“, sagt Vanhaeren. Ihr Vater Franz Becker war in seiner Jugend Fußballer, spielte Anfang der 1950er-Jahre sogar beim 1. FC Köln. Viele seiner alten Fotos zeigen Sportfeste unter Hakenkreuz-Fahnen. Zurzeit höre man ja häufig, dass es genug sei mit der Erinnerung an die NS-Zeit, sagt die 77-Jährige aus Poll, aber das sehe sie anders: „Es ist wichtig, diese Erinnerung wachzuhalten.“ Sie ist zum ersten Mal im NS-DOK, gibt sie zu: „Die Ausstellung zu sehen, insbesondere die Fotografien, das hat mich heute unglaublich mitgenommen.“ Trotzdem ist sie froh, gekommen zu sein und die Fotos ihres Vaters nun in guten Händen zu wissen.

„Erinnerung wachhalten“: Heidi Vanhaeren gab Fotos ihres Vaters ab.

„Erinnerung wachhalten“: Heidi Vanhaeren gab Fotos ihres Vaters ab.

An drei Tischen verteilt, sitzen die Mitarbeitenden des NS-DOK. Immer wieder kommen Menschen hinein – mit Taschen, Mappen oder Körben, um ihre Fundstücke begutachten zu lassen. Einige standen schon zur Öffnung um 11 Uhr Schlange. Bei Stefanie Bilinski und Jan Neubauer vom NS-DOK sitzt Dieter Schieffers aus Raderthal. „Nach der Rundschau-Berichterstattung über den Sammeltag habe ich die Unterlagen, Briefe und Fotos meiner beiden Onkel zusammengesucht“, erzählt der 83-Jährige. Nun hat Schieffers alles mit seiner Partnerin Karoline Wiegand im Museum vorbeigebracht. Sein Onkel Heinz Erhard war Flieger und lange in Gefangenschaft. Der andere, Peter Breuer, hat in einem Fotoalbum seine Lazarett-Tätigkeit während des Kriegs dokumentiert. „Das ist eine richtige Komposition“, sagt Neubauer. Der wissenschaftliche Mitarbeiter ist begeistert. Peter Breuer habe die Fotos durchnummeriert. „Er erzählt mit diesem Album seine eigene Lebensgeschichte, wie er sich selbst gesehen hat“, sagt Neubauer. Zum Teil auch mit Humor. Auf einigen Fotos machen die Kameraden Späße, rasieren zum Beispiel einen in ihrer Mitte mit sehr viel Schaum. Dadurch erzählt das Album eine Menge über die Zeit, aus der es stammt, was es wiederum für das NS-DOK interessant macht. „Wir freuen uns, dass es so viel Anerkennung findet“, sagt Wiegand.

Sammeltag im NS-DOK: Es schlummert noch vieles in Kölner Kellern

Und so geht es vielen an diesem Tag. Mehr als 100 Menschen kommen bis zum späten Nachmittag, um Feldpostbriefe, Korrespondenzen, Fotoalben und vieles mehr abzugeben. „Wir haben uns sehr über die große Resonanz gefreut“, sagt Direktor Borggräfe abschließend. Insbesondere die individuellen Stücke, von denen Angehörige oft annehmen, sie seien uninteressant, sind für die Sammlung laut Borggräfe von Bedeutung. Dieser Tag habe ihn darin bestärkt, dass noch vieles in den Kölner Kellern schlummere. Über die Bedeutung privater Überlieferungen für Forschung und Bildung konnten sich Interessierte am Nachmittag noch bei einer Podiumsdiskussion informieren.

Der Sammeltag war Höhepunkt der aktuell laufenden NS-DOK Kampagne zu „80 Jahre Kriegsende“. Nun geht es für das Team um die Archivierung, Recherche und Aufarbeitung. Am Ende landet dann bestimmt das ein oder andere Fundstück in der Ausstellung. Borggräfe ist sich sicher: „Wir haben viele Schätze, die wir noch bergen müssen.“