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Inklusion in KölnEltern behinderter Kinder wollen nicht Taxi spielen müssen

Lesezeit 4 Minuten
Senol, Teoman und Ayten Balik.

Senol, Teoman und Ayten Balik.

Eltern eines behinderten Kindes, die möchten, dass es in einer Regelschule unterrichtet wird, müssen häufig lange Transportwege bewältigen. Dagegen protestieren sie.

„In der Ablehnung einer Taxiberechtigung für Teoman hieß es, dass er eine Stunde an der Schule warten kann, bis er abgeholt wird“, erzählt Ayten Balik. Die Mutter des 13-Jährigen aus Dellbrück ist immer noch fassungslos. Teoman hat das Down-Syndrom, ist Autist und kann sich, da er an Sprachapraxie leidet, nur über Laute oder einen Computer, einen sogenannten Talker, ausdrücken.

Teoman ist eines von 1504 Kölner Kindern mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf, das im Rahmen der Inklusion an einer Gesamtschule unterrichtet wird. „Uns ist es enorm wichtig, dass Teoman auf einer Regelschule ist und nicht auf einer Förderschule. Er soll ein möglichst normales Leben führen und dazugehören“, sagen seine Eltern. Sie sind mit ihrer vierköpfigen Familie, zu der der kleine Bruder von Teoman gehört, sogar aus Hagen nach Köln gezogen, damit ihr Ältester hier auf eine normale Grundschule gehen konnte. „In Hagen wäre das noch schwieriger gewesen, eine inklusive Grundschule zu finden“, sagt Vater Senol Ayten. Auch die Klassengemeinschaft profitiere davon, dass Teoman dazu gehört. „Teoman tut der Klasse gut. Seine größte Stärke ist seine sensible Art“, findet der Vater.

Plötzlich kam die Ablehnung

Mit seinem besten Freund ist Teoman vor drei Jahren auf die Willy-Brandt-Gesamtschule in Höhenhaus gewechselt. Zwei Jahre lang war es kein Problem, dass die Stadt den Transport per Taxi übernahm. Vor Beginn der Klasse 7 kam dann die Ablehnung. „Wir haben Widerspruch eingelegt und nun eine Teilgenehmigung, die bis Ende Januar 2024 gültig ist, bekommen“, sagt Ayten Balik. „Was danach kommt, steht in den Sternen.“ Sowohl sie als auch ihr Mann sind berufstätig. Um den Ansprüchen von Teoman gerecht zu werden, hat das Ehepaar seine Arbeitszeit bereits reduziert.

„Bei der Stadt wird der Ermessensspielraum bei der Genehmigung im Schülerspezialverkehr seit 2019 offensichtlich enger gefasst“, sagt Ute Berger vom Kölner Verein Mittendrin. Zum Schuljahr 2019/20 seien erstmals verzweifelte Eltern in die Beratungsstelle gekommen. Berger kämpft seit Jahren für Inklusion und stellt klar: „Inklusive Bildung ist laut UN-Behindertenrechtskonvention ein Menschenrecht. Man darf nicht eine Gruppe von Menschen in Sondersysteme verbannen.“

Inklusive Bildung ist laut UN-Behindertenrechtskonvention ein Menschenrecht. Man darf nicht eine Gruppe von Menschen in Sondersysteme verbannen.
Ute Berger, Verein Mittendrin

Berger und ihre Mitstreiterinnen und -streiter bemängeln, dass die Zahl der Genehmigungen für die Kostenübernahme im Schülerspezialverkehr in Köln bei Schulen des gemeinsamen Lernens seit Jahren rückläufig ist. „Der Skandal ist, dass bei den Schulen des gemeinsamen Lernens gespart wird, bei den Förderschulen jedoch fast alle Anträge auf Kostenübernahme genehmigt werden“, sagt Berger. Immer wieder demonstrierten die Eltern deshalb auf dem Theo-Burauen-Platz, bevor der Ausschuss für Schule und Weiterbildung tagte.

Elternprotest auf dem Theo-Burauen-Platz.

Elternprotest auf dem Theo-Burauen-Platz.

Ihre Forderung: Keine Zwangs-Elterntaxis. Die Eltern, die sich für Regelschule statt Förderschule entscheiden, sehen sich benachteiligt beim sogenannten Schülerspezialverkehr. Die Zahlen scheinen ihre Vorwürfe an die Stadt zu untermauern. So geht aus einer Aufstellung der Verwaltung für den Schulausschuss hervor, dass beispielsweise zum Schuljahr 2021/22 95 Prozent der Anträge für Fahrtkostenübernahme bei Förderschulen genehmigt wurden. Bei den Anträgen für Fahrtkostenübernahme zu einer Schule des gemeinsamen Lernens wurden dagegen nur 61,7 Prozent genehmigt. Ähnlich sieht es zum Schuljahr 2022/23 aus.

„Die Gründe der Ablehnungen hierfür sind vielfältig“, schreibt die Verwaltung in der Beantwortung einer Anfrage. Sie reichten von fehlenden Antragsunterlagen über Begleit- und Beförderungsmöglichkeiten der Erziehungsberechtigten bis hin zu einer „schulärztlich bestätigten Möglichkeit zur eigenständigen Bewältigung des Schulwegs“.

Zwei Stunden täglich Elterntaxi

Doch was die Stadt als zumutbar für die Eltern erachtet, um ihr Kind zur Schule zu bringen, ist für diese oft mit einem ungeheuren Aufwand verbunden. „Dabei sind das ja alles Menschen, die sowieso schon Herausforderungen bewältigen“, sagt Berger. Das bestätigt auch Angelika Stellmacher: „Für meinen Mann und mich bedeutet die Ablehnung, dass wir rund zwei Stunden täglich für das Bringen und Holen von unserer Tochter brauchen. Um das zu leisten, haben wir beide unsere Arbeitszeit reduzieren müssen. Das ist natürlich mit Einkommenseinbußen verbunden. Und für unsere Tochter ist es mit 15 Jahren auch nicht mehr cool, wenn sie immer noch von Mama oder Papa gebracht wird.“ AytenBalik ergänzt: „Gleitzeit ist nicht so, dass man kommen kann, wie man will.“

Am Donnerstag, 19. Oktober, findet nun ein Fachgespräch zum sogenannten Schülerspezialverkehr statt. An dem Fachgespräch nehmen nach Auskunft der Stadt die Fraktionen des Ausschusses für Schule und Weiterbildung, die Bezirksschülervertretung, die Stadtschulpflegschaft, die Stadt AG, ein Experte für die Schülerfahrtkostenverordnung, das Amt für Schulentwicklung und Beigeordneter Robert Voigtsberger teil. Nicht nur Teomans Familie hofft darauf, dass ihr Anliegen künftig mehr Unterstützung findet.

Inklusion an Kölner Schulen.

Inklusion an Kölner Schulen.


4,9 Prozent betrug die Inklusionsquote in Köln im Schuljahr 2020/21. Seitdem hat sie sich laut Stadt kaum verändert. Das war eine enorme Steigerung im Vergleich zum Schuljahr 2005/06. Damals lag die Inklusionsquote bei 0,8 Prozent.

Im Schuljahr 2022/23 wurden von den insgesamt 8.395 Lernenden mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf 3.738 an einer Kölner Förderschule und 4.657 an einer Kölner Regelschule unterrichtet.

18 städtische Förderschulen gibt es in Köln. Sie haben unterschiedliche Förderschwerpunkte. (dha)