Diskussionen an GymnasienKeine einfache Rolle rückwärts zu G9
Köln – G9 – oder doch bei G8 bleiben? Die Rückkehr zum Abitur nach neun statt acht Jahren am Gymnasium wird 2019 keine einfache „Rolle rückwärts“. Es wird ein Kraftakt mit viel Planungs- und Zeitaufwand.
Die Entscheidung steht im Herbst in den neuen Schulkonferenzen an: An den Kölner Gymnasien, 31 städtische und sechs anderer Träger, werden gerade Meinungen von Eltern und Schülern eingeholt. Es wird viel und kontrovers diskutiert: Was hat die Reform für Auswirkungen auf Stundenpläne, Lehrinhalte, Ganztag, Raumbedarf? Eine Menge. Allein acht, neun zusätzliche neue Gymnasien sind laut Verwaltung nötig, um mehr Platz für G9 zu schaffen.
Mehrheit für G9
Wohl die meisten Kölner Gymnasien werden sich fürs neue G9 aussprechen, meint Bildungsdezernentin Dr. Agnes Klein. Wenn eine Schule doch dem Turbo-Abi treu bleiben will, braucht sie eine Zweidrittelmehrheit plus einer Stimme in der Schulkonferenz. Auch Dr. Alexander Fladerer von der Fachgruppe Gymnasium der Kölner GEW geht davon aus, dass wenige beim jetzigen, umstrittenen System bleiben. Er hofft, „dass die Schulen den Umstellungsprozess in Ruhe machen können und keine zusätzlichen Lehrinhalte on top dazukommen“. Gut wäre, „wenn man die Inhalte der G8-Lehrpläne beibehält und auf neun Jahre auslegt. Wir hätten dann mehr Zeit zur Vertiefung und Übung.“ So könne der stark verdichtete Stoff wieder entzerrt werden.
Die Kernlehrpläne sind noch beim Landesinstitut in Soest in Arbeit, aber die Stundentafel für die Sekundarstufe I liegt nun vor. Und diese sieht insgesamt 180 Wochenstunden über sechs Jahre für die Stufen fünf bis zehn vor (plus bei Bedarf acht Förderstunden). Das macht ein Minimum von 30 (bis 33) Unterrichtswochenstunden. Das könnte rein rechnerisch für Gymnasien ohne gebundenen Ganztag die Rückkehr zum Halbtagsbetrieb bedeuten. Weniger Unterricht am Tag ergibt mehr Betreuungszeit, mehr Freiräume, die zu gestalten sind.
Halbtags-Modell
„Ich sehe nur Vorteile darin“, sagt zum Beispiel Meinolf Arnold, Schulleiter des Friedrich-Wilhelm-Gymnasiums, nicht im gebundenen Ganztag. Die meisten am FWG würden G9 befürworten. „Eltern haben es satt, dass die Kinder in der Woche nicht mal mehr ihren Geburtstag feiern können.“ Der stark verdichtete G8-Stundenplan habe jedoch auch für Halbtagsschulen zu mehreren langen Tagen bis in den Nachmittag geführt. Die Zeit wurde zu knapp für zusätzliche Angebote wie das Schulorchester. „Wir haben keinen Termin dafür gefunden, alle Lehrer waren im Unterricht“, bedauert Arnold. Die neue Stundentafel ermögliche es, zum Halbtagsbetrieb zurückzukehren. Er frage sich jedoch, „ob Kirchen, Jugendheime oder Vereine schon auf dem Schirm haben, dass es wieder mehr Bedarf für solche Betreuungsangebote gibt.“ So schnell werde sich ansonsten nicht viel ändern: Die Umstellung betrifft zum Start nächstes Jahr lediglich die jetzigen Fünfer und die neuen Eingangsklassen.
Ganztagskonzept
Auch an der Kaiserin-Augusta-Schule am Georgsplatz laufen intensive Gespräche. Ein erstes Meinungsbild: Die Mehrheit möchte G9, schätzt Schulleiterin Mirja Matysiak. Sie sieht „große Chancen“ in der Umstellung – aufbauend auf einem guten Ganztagskonzept. Als Ganztagsschule setzt die KAS am Georgsplatz auf ein anderes Profil als das FWG – die bei Oberstufe-Angeboten gut miteinander kooperieren.
Wie an allen 19 gebundenen Ganztagsschulen gibt es verpflichtend drei Langtage pro Woche. Die KAS bietet neben dem regulären Unterricht (im G8 163 Stunden, Sek I) Extra-Lernzeiten, Förder- und Forderstunden und Wahlpflicht-AGS an. Das könnte deutlich ausgeweitet werden, wenn im G9 188 Stunden zur Verfügung stehen. „Das bietet tolle Möglichkeiten mit unserem Kooperationspartner, den Ganztag und das schulische Miteinander weiter auszubauen und zu gestalten.“ Die fachlich-inhaltliche Arbeit beginne Anfang nächsten Jahres. Sie hofft, dass die Lehrer zeitnah konkrete Grundlagen vom NRW-Schulministerium für die Lehrplan-Ausgestaltung erhalten, „die gut zu übernehmen sind“. Die jetzigen Fünfer wachsen dann ins neue System hinein. „Wir wollen es individuell auf die Schüler zuschneiden.“
Auch für die Oberstufe sieht Mirja Matysiak Vorteile: Viele Turbo-Abiturienten sind sehr jung. Im zusätzlichen, letzten Schuljahr könnte der Stoff deutlich vertieft werden. Kollege Arnold sieht das genauso: „Dann sind die Schüler reifer, können sich mit anderen Themen intensiv beschäftigen. Und aus unseren Schulen kommen gebildete junge Erwachsene raus, nicht nur schlaue Kinder.“
Schulkonferenz gefragt
G9 liegt vorn. Vereinzelt überlegen Schulen aber doch, ob sie bei G8 bleiben. Zum Beispiel, weil sich das bei Eltern sehr gefragte Ganztagssystem bewährt hat und Raumkonzepte darauf besser passen. Falls ein Gymnasium sogar vom „gebundenen“ Angebot in den Halbtagsbetrieb wechseln wollte, entscheidet der Schulträger darüber.
Jetzt sind die Schulkonferenzen gefragt. „Schon seit einem Jahr sind wir im Diskurs“, sagt Lüder Ruschmeyer vom bilingualen Gymnasium Kreuzgasse. Trend: G9. Besonders froh ist er über die Entscheidung, dass bilinguale Gymnasien weiter ab der 5. Klasse mit der zweiten Fremdsprache starten können, nicht erst ab der 7. „Sonst hätte das unser französisches Baccalaureat zerschossen.“ Die Kreuzgasse kooperiert bei offenen Nachmittagsangeboten mit dem Quäker Nachbarschaftsheim. „Sie stellen sich auf eine größere Nachfrage ein.“
Ruschmeyer wird in der Schulkonferenz den Antrag stellen, bei G8 zu bleiben. „Nicht weil ich G8 will, im Gegenteil, sondern weil wir eine demokratische Abstimmung wollen.“ Denn wer die NRW-Leitentscheidung befürwortet, brauche eigentlich gar kein Votum abzugeben: „G9 kommt dann ja automatisch!“