Am heutigen Freitag ist Weltfrauentag. Jahrzehnten der Emanzipation zum Trotz trauen sich immer noch zu wenige Frauen ein eigenständiges, erfolgreiches Leben zu.
Unbürokratische und nachhaltige HilfeDer Verein Sei Stark unterstützt Frauen in Notlagen
Jahrzehnten der Emanzipation zum Trotz trauen sich immer noch zu wenige Frauen ein eigenständiges, erfolgreiches Leben zu. Wie der Verein Sei Stark ihnen hilft, aus ihrem persönlichen Teufelskreis auszubrechen, haben sieben starke Mentorinnen und Mentees Gabi Bossler erzählt.
Die Treffen strahlen auf die ganze Woche aus
„Ich habe nur noch zu Hause gesessen und wusste nicht, wie es weitergeht. Nach 20 Jahren als Zimmermädchen haben mein Rücken und die Knie nicht mehr mitgemacht. Plötzlich musste ich viele Formularen für die Ämter ausfüllen. Ich war überfordert und habe immer mehr psychische Probleme bekommen.“ Wenn Sabina Petrusch zurückblickt, merkt man ihr die Angst und Panik noch an. Drei Kinder hat sie alleine großgezogen, eines hat eine Behinderung.
Bei Sei Stark habe sie zuerst nur jemanden gesucht, der mit ihr spazieren geht. „Dann wollte ich mein Leben wieder hinkriegen und eine Arbeit finden“, sagt die 55-Jährige. „Später haben wir die Anträge zusammen ausgefüllt. Meine Mentorin sagt mir oft ‚mach das mal, Du kannst das!‘. Dann bekomme ich Vieles sogar hin. Wir unternehmen auch schöne Sachen zusammen, waren in einem kostenlosen Konzert in der Philharmonie und in einem Selbstverteidigungskurs. Das macht uns beiden Spaß und wir haben uns schon richtig angefreundet.“
Eigentlich habe sie vor Neuem Angst, doch das werde jetzt weniger, sagt Petrusch. „Aber noch brauche ich den Anstoß von meiner Mentorin. Unser Treffen, das strahlt auf die ganze Woche aus. Meine Stimmung ist besser und ich gehe jeden Tag raus. Ich helfe gerne, wenn Sei Stark Tüten mit Drogerieartikeln an obdachlose Frauen verteilt. Bei dem Verein fühlt man sich nicht schlechter als die anderen Frauen, da ist so ein Zusammenhalt, alle sind sehr nett zueinander.“Sabina Petrusch (55)
In grauer Kleidung und mit grauen Haaren saß ihre Mentee beim ersten Treffen vor ihr. „Drei Monate später hab ich sie kaum wiedererkannt. Mit leuchtend rotem Oberteil, einer lila Tasche und neuer Frisur. ‚Du bist immer so schick‘ hat sie mir da gesagt. Da wollt ich auch mal was machen'“, erinnert sich Bettina Wolf (65, Name geändert) schmunzelnd. Die Bankerin arbeitet als Selbstständige im Finanzbereich, bisher war da nie Luft für ein Ehrenamt. Jetzt schon. „Ich wollte eine Frau meiner Generation unterstützen. Das hat perfekt geklappt. Die Anträge haben Sabina überfordert, auch weil sie nicht gut lesen und schreiben kann. Das üben wir jetzt spielerisch, aber auch konsequent. Gerade versuchen wir, ein Ehrenamt zu finden, was zu ihr passt. Sie ist sehr empathisch und etwas mit Menschen zu tun, macht ihr große Freude“, erzählt Wolf. Beide schauen sich jetzt zusammen fünf Stellen an. Sie hoffen, dass sich aus einem Ehrenamt, etwa der Begleitung von Eltern schwerkranker Kinder, vielleicht eine Teilzeittätigkeit entwickelt. Einfach, weil nur etwas passieren könne, wenn man sich bewegt. „Wir sind Freundinnen geworden“, sagt Wolf. „Ohne Sei stark hätten wir uns nie kennengelernt, die soziale Distanz wäre zu groß gewesen.“ Jetzt habe ihre Mentee vorgeschlagen , doch mal in den Skulpturenpark zu gehen. „Das machen wir auf jeden Fall. Ich wusste gar nicht, dass es den gibt.“Bettina Wolff (65, Name geändert)
Der Blick zurück ist schwer, die Zukunft macht Hoffnung
„Sie haben eine Übersetzerin für die Kunsttherapeutin gesucht, die mit geflüchteten ukrainischen Kindern arbeitet. So kam ich zu Sei Stark. Hier wurde ich von der ersten Sekunde an ernst genommen.“ Das war der 29-jährigen Maggy F. so noch nie passiert. Sie hat eine Spastische Disparese, wenn sie geht, stützt sie sich auf zwei pinkfarbene Stöcke. Unzählige Bewerbungen hat sie verschickt, um als Dolmetscherin zu arbeiten, bei NGOs und Unternehmen. „Eine kam mit der Bemerkung zurück. ‚Du bist ein Versicherungsrisiko‘“, sagt sie. „Das macht etwas mit einem.“ Bei Sei Stark ist sie mit ihrer Power und ihre Initiative richtig. „Manchmal kommt Emitis Pohl zu mir und sagt ‚Maggy, ich habe eine Idee. Du bist die Umsetzung‘. Und wenn ich selbst etwas vorschlage, sagt sie oft. Die Idee ist Bombe! Mach das!' Dann muss es aber auch klappen“, erzählt die 29-Jährige. Sie arbeitet für eine Ehrenamtspauschale im Büro, übersetzt, beantwortet Fragen und organisiert Kampagnen. „Emi ist mein Vorbild“, sagt sie. Seit ich diese Arbeit habe, glaube ich, dass ich Vieles schaffen kann.Maggy F. (29)
„Was wäre mit uns passiert, wenn wir das Hotel eine halbe Stunde früher verlassen hätten?“ Der Blick zurück fällt Yaroslawa T. schwer, sie weint, als sie erzählt. Vor zwei Jahren kam sie mit ihren acht, zehn und zwölf Jahre alten Töchtern in Köln an. „Eine Nacht durften wir im Hotel bleiben“, sagt sie. Dann habe die Gründerin von Sei Stark, Emitis Pohl, si im Hotel gesehen und ihnen ein Wohnung besorgt, die Kinder in der Schule angemeldet. Die Mutter musste lange auf ihren Deutschkurs warten, war viel zu Hause, unsicher in der neuen Lebenssituation. Heute arbeitet sie im Hotel. „Die Arbeit macht mir Freude, ich habe ein nettes Team. Und es ist gut, dass meine Töchter sehen, dass ich arbeite und es mir gut geht. Ohne Unterstützung hätte ich diese Schritte nicht geschafft. Auch, weil ich lange auf einen Deutschkurs warten musst und mir eine Arbeit gar nichtzugetraut hätte. Jetzt habe ich bei der Arbeit ganz viel Deutsch gelernt.“Yaroslawa T. (47)
Sehr emotional sei sie geworden, als sie Yaroslawa und ihr Familie geholfen habe, erinnert sich Emitis Pohl, die Gründerin von Sei Stark. „Ich bin auch ein Kriegskind und mit 13 Jahre aus dem Iran allein nach Deutschland gekommen. Nur wenig älter als Sophia, die älteste Tochter von Yaroslawa. Das hat mich sehr berührt. Als ich mit ihr über den Schulhof ging, um sie anzumelden, sind mir die Tränen gekommen, weil ich mich mit 13 gesehen habe. Damals wurde ich in Hamburg zur Ausländerschule geschickt. Ich habe dann gekämpft, um aufs Gymnasium gehen zu können“, sagt sie. Für Yarosalwa sei es schwer gewesen, arbeiten zu gehen „Meine Kinder brauchen mich“, war ihr Gefühl. Einmal wollte sie alles hinschmeißen. Ich habe ihr dann Mut gemacht, dass sie auch ein wichtiges Vorbild für ihre Töchter ist, wenn sie arbeitet. Mittlerweile kann sie besser Deutsch als die Frauen, die nur einen Sprachkurs gemacht haben“, sagt Pohl. „Und ihre Töchter sind selbstständig und kommen gut zurecht.“
Für Maggy, die sie auch als Mentorin begleitet, sei sie nicht nur Arbeitgeberin sondern auch Vorbild. „Maggy ist eine Macherin. Da ist sie so wie ich, immer ansprechbar und immer Ideen. Durch die jahrelangen Ablehnungen hat ihr Selbstwertgefühl gelitten. Ich übertrage ihr Verantwortung. Und sie merkt, was sie alles kann. Jede Frau, die ihre Lage ändern will, bekommt bei uns Unterstützung. Wie viele Frauen diese Chance für sich nutzen, gibt mir das Gefühl: Wir sind auf dem richtigen Weg mit unserem Verein.“Emitis Pohl (50)
Am Ende steht der Stolz, es selbst geschafft zu haben
„An allen fünf Stationen habe ich gearbeitet, in der Produktion im Schokoladenmuseum. Das hat mir große Freude gemacht. Doch jetzt geht das nicht mehr, ich habe schlimme Schmerzen wegen der Bandscheiben“, sagt Afsaneh S. Die 45-Jährige Iranerin lebt seit 13 Jahren in Kalk, ihre 14- und 18-jährigen Töchter sind hier aufgewachsen, seit fünf Jahren sorgt sie allein für sie. Nach vielen Konflikten mit ihrem Ex-Mann ist die Kraft aufgebraucht, alles überfordert sie, Briefe von Ämtern bleiben liegen.
„Meine Mentorin hat mir geholfen, bei allem. Ohne sie hätte ich meine Kinder vielleicht gar nicht mehr versorgen, die Unterstützung nicht beantragen können“, sagt sie. „Es tut gut, dass sie für mich da ist.“ Seit einem Jahr bekommt sie Hilfe. „Ich habe von meiner Mentorin gelernt, wie man die Ämtersachen erledigt. Und wir sprechen viel, das tut mir so gut. Aber noch komme ich nicht ohne sie aus, ich brauche ihre Unterstützung noch“, sagt die 45-Jährige. „Mit ihr kann ich auch über meine Angst sprechen. Ich muss an den Augen operiert werden und einen Termin vereinbaren.“Afsaneh S. (45)
„Für mich ist klar, dass ich den Menschen, die ich begleite, nicht alles abnehmen will. Ich will ihnen helfen, es selbst zu tun“, sagt Mentorin blickt Farzaneh Krause zurück. Mit 21 Jahren ist die 64-Jährige aus dem Iran nach Deutschland geflohen, ohne ihre Familie. Sie hat lange als SAP-Beraterin und später bei Bayer Leverkusen gearbeitet. „Schon immer“ wollte sie etwas ehrenamtlich tun, aber als alleinerziehende berufstätige Mutter ging das nicht. Jetzt schon.
„Ich arbeite gerne mit Menschen, die jünger sind als ich. Mich interessiert, wie sie die Welt sehen. Und ich möchte ihnen in Krisen zeigen, dass es immer einen Weg gibt. Und auch, was sie schon geschafft haben. Meine jetzige Mentee Afsaneh S. kam in einer Notsituation zu uns. Sie fühlte sich verloren und komplett überfordert mit allem. Ich habe sie dabei begleitet, eins nach dem anderen abzuarbeiten, ihr die Formulare immer zuerst zum Lesen und Ausfüllen gegeben. Ich war ja da, wenn sie nicht weiter wusste. Dadurch ist sie ganz langsam aus dem Gefühl herausgekommen, ein passives, überfordertes ‚Opfer‘ zu sein. Und konnte stolz auf sich sein, weil sie es ja selbst geschafft hat.“Farzaneh Krause (64)
Die Initiative
22 starke Frauen unterstützen die Kampagne „Gemeinsam stärker“, die Sei Stark in Kooperation mit „female ressources“ und dem Business-Netzwerk „#Macherinnen“ heute startet. Online und auf Plakaten der Firma Stroer repräsentieren sie persönlich, was eine starke Frau ausmacht. Mit dabei sind unter anderem Synchronsprecherin Giuliana Jakobeit und Tatjana Kiel, CEO von Klitschko Ventures.
Sozial benachteiligten oder in Not geratenen Frauen bietet der im Januar2022 gegründete gemeinnützige Verein Sei Stark Begleitung im Alltag und unbürokratische Hilfe. Über das Mentoringprogramm werden die Frauen über längere Zeiträume hinweg von Frauen begleitet, die beruflich erfolgreich und privat gefestigt sind.
Um seine Arbeit zu finanzieren, ist der Verein auf Spenden angewiesen; auch Mentorinnen werden immer gesucht.www.seistark-ev.de