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Letzter Vorhang in KölnDas Altentheater des Werkstatt Theaters geht in Rente

Lesezeit 5 Minuten
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Das Altentheater des Freien Werkstatt Theaters 

Köln – Fünf Minuten vor der ersten öffentlichen Aufführung des Altentheaters war der Zuschauerraum komplett leer. „Das haben wir ja gleich gesagt, da kommt doch niemand. Wer will sich denn das schon anschauen?“ Da waren sich die Darstellerinnen und Darsteller 1981 sicher, erinnert sich Theatermacher Dieter Scholz. „Und plötzlich ging die Tür auf und es war rappelvoll und dann haben wir gespielt. Es war ein großer Erfolg.“ Später stellte sich heraus: Die Zuschauer hatten den Raum nicht gefunden. Ein Hinweisschild war an die falsche Stelle gehängt worden.

Altentheater war direkt ein voller Erfolg

Tatsächlich war das Altentheater des Freien Werkstatt Theaters (FWT) von Beginn an eine Erfolgsgeschichte. Gegründet 1979 von Dieter Scholz und Edelgard Seebauer, war es deutschlandweit das erste Altentheater, das unter professioneller Leitung kontinuierlich bestand. Seit 1986 leitet Scholz das Ensemble gemeinsam mit Ingrid Berzau. Beide erhielten für ihre Arbeit das Bundesverdienstkreuz, Scholz zudem den Kölner Ehrentheaterpreis 2007 für sein Lebenswerk. Ende des Jahres ist nun Schluss: Nach 43 Jahren fällt der letzte Vorhang für das Altentheater.

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Erinnerung an die Trümmerfrauen: Eine Szene aus der „Jahrhundertrevue“ von 1987. Das Stück war so erfolgreich, dass es bis 2002 gespielt wurde. 

Ingrid Berzau ist mit dem Altentheater selbst alt geworden. Nein, das könne man ruhig so schreiben. Schließlich sei das Älter werden ein immer wiederkehrendes Thema des Altentheaters. „Zu Beginn kamen die Ensemblemitglieder aus der Generation meiner Großeltern. Dann aus der Generation meiner Eltern. Heute sind manche Mitglieder jünger als ich“, sagt die 70-jährige Ingrid Berzau fast selbst ein bisschen verwundert. Der 15 Jahre ältere Dieter Scholz ist heute 85 Jahre alt.

In den Inszenierungen der beiden Theatermacher ging es oft um zeitgeschichtliche Zusammenhänge, „immer in der Reflexion: Was hat die Zeit mit uns gemacht?“, erzählt Berzau. Zu Beginn waren die Teilnehmer Mitglieder der Kölner Seniorengemeinschaft für Sport und Freizeitgestaltung. „Die Gruppe damals war sehr weiblich, nur wenige Männer waren dabei. Heute sind es 50 Prozent Männer.“ Besonders spannend sei die Arbeit immer dann mit einem Ensemble gewesen, wenn Herkunft und Berufe ganz unterschiedlich gewesen seien, erinnert sich Berzau an die unterschiedlichsten Charaktere: einen Seefahrer, eine frühere Kassierin bei Kaisers Café, an einen Zollbeamten oder einen Likördestillateur.

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Das Ensemble von „Ein Lieben lang“ vor der Premiere im Jahr 2015. 

Biografisches Theater sei damals etwas Neues gewesen, manchmal habe es etwas Überredungskunst gebraucht, Dinge auf die Bühne zu bringen. „Zum Beispiel den ersten Kuss oder Erfahrungen aus dem Krieg.“ In 43 Jahren gab es viele Themen: Liebe und Toleranz, Heimat oder Kommunikation. Es gab Projekte mit Schulklassen und zum Thema Demenz. Besonders erfolgreich war die Auftragsproduktion „Ausgetrickst? Nicht mit uns“. Für das Stück über Trickbetrügereien an älteren Menschen waren ursprünglich sechs Aufführungen in Köln geplant . „Und dann sind wir damit drei Jahre in ganz NRW getourt“, so Berzau.

Letzte Vorstellungen im FWT

Seit Beginn der Pandemie hat das Ensemble des Altentheater in kleinen Gruppen geprobt. Alte und neue Formen der Kommunikation standen im Mittelpunkt. Immer mit im Blick: Die Lebensgeschichten der 67- bis 91-jährigen Ensemblemitglieder. Regie führt Ingrid Berzau (Foto links), Dieter Scholz (Foto rechts) ist Teil des Ensembles. Für die Musik ist, wie schon seit vielen Jahren, erneut Sabine Falter zuständig.

Die letzten Vorstellungen des Altentheaters finden statt am 8. November, 11 Uhr, 9. November, 15 Uhr, und 10. November, 19 Uhr. Spieltermine im Dezember sind am 1. Dezember, 17 Uhr und die allerletzte Vorstellung am 2. Dezember um 16 Uhr.

Kartenbuchungen unter karten@fwt-koeln.de oder telefonisch unter 0221/327817. (hes)

www.fwt-koeln.de

Das FWT baute ab 1991 seine internationalen Kontakte mit einer Reihe von Festivals und Austauschtreffen auf. Um immer wieder andere Blickwinkel zu bekommen, wie Berzau sagt, fand das erste Welt Altentheater Festival im Gürzenich im Oktober 1999 statt. „Wir haben drei Jahre auf diese eine Woche hingearbeitet.“ Aus Brasilien, Kolumbien, Simbabwe, der Schweiz, der Karibik, den Molukken, Holland, Taiwan, den USA, aus Italien, Polen, England und Deutschland waren die Altentheatergruppen angereist. „Wir hatten dafür als freies Theater einen Etat von von 1,2 Millionen D-Mark, da ist uns schwindelig geworden.“

Neben den so lebensbejahenden Stücken, gehört aber auch Abschied und Tod zum Altentheater dazu. Ingrid Berzau verabschiedete sich viele Male. „Wir durften sogar einmal eine Totenfeier für ein Ensemblemitglied ausrichten. Das hat alle sehr berührt.“ Dieter Scholz ermutigte die Darsteller unermüdlich: „Spielt so lange es geht.“ Und die Spielfreude ist groß: In 40 Jahren wurde kein einziges Gastspiel abgesagt. So wird auch mal ein Gehstock zu Amors Pfeil oder eine 100-jährige Fortuna sitzt auf einem geschmückten Rollator auf der Bühne. Geschickt platzierte Requisiten dienen als Gedächtnisstütze.

Das Projekt Altentheater nun zu beenden, sei ein großer Schritt. Berzau und Scholz hatten vor zehn Jahren die Gesamtleitung des FWT schon abgegeben um sich komplett auf das Altentheater zu fokussieren. „Aber wir gehen mit leichtem Herzen“, sagt Berzau. „Wir haben einen goldenen Rucksack, den wir in die Gegenwart und Zukunft mitnehmen.“ Darin sind vor allem die Freude am Spielerischen und an der Gemeinschaft. Etwas, wovon man noch lange zehren kann. So wie andere nun von den Jahrzehnte langen Erfahrungen als Ensemble mit Seniorinnen und Senioren. Die Webseite wird überarbeitet und soll dann Impulse für andere geben. Für die nächsten Generationen.