Serie in KölnAuf den Spuren von Johanna Schopenhauer im 19. Jahrhundert
Köln – Wo hat Napoleon genächtigt? Wo stieg Max Schmeling in den Ring? In unserer Serie „Spurensuche“ stellen wir Personen und ihre Zeit in Köln vor, Orte ohne Gedenktafeln. Anselm Weyer widmet sich diesmal Schriftstellerin Johanna Schopenhauer.
Ihr Sohn Arthur, so sagte Goethe einmal zu Johanna Schopenhauer, werde gewiss einmal weltberühmt werden. „Ich habe niemals von zwei Genies innerhalb einer Familie gehört!“, erwiderte Johanna Schopenhauer skeptisch. Sie selbst war nämlich mit ihrem Literarischen Salon nicht nur gesellschaftlicher Mittelpunkt in Weimar. Als eine der populärsten Autorinnen ihrer Zeit war sie eine der ersten Frauen Deutschlands, die sich ihren Lebensunterhalt durch Schriftstellerei verdienen konnten – unter anderem mit Reisebeschreibungen. Und eine Reise führte sie dann auch 1828 an den Rhein.
„Die Stadt Köln macht, wenn man ihre Straßen betritt, keinen besonders freundlichen und erheiternden Eindruck“, findet Johanna Schopenhauer, „sie ist eine seltsame Zusammensetzung von Schön und Häßlich, von Alt und Neu, wobei ersteres immer noch das Übergewicht behält, von beklemmender Düsterheit und freundlicher Helle. In steter Furcht, überfahren zu werden, betäubt vom Lärmen der Lastträger, der Karrenschieber und aller Unlust eines in sehr beschränkten Räumen allerlei Gewerbe treibenden Volkes, windet man sich auf schlechtem, schlüpfrigem Steinpflaster durch düstere, enge Straßen, von hohen, die Luft beengenden Giebelhäusern umgeben.“
Schon an Bord des Dampfschiffs, auf dem sie bei schlechtem Wetter rheinabwärts anreist, hält sich ihre Begeisterung in Grenzen: „Kaum hat man Bonn im Rücken, so ist auch, wie durch einen Zauberschlag, alles Schöne und Herrliche verschwunden, das bis dahin am Rhein uns entzückte.“ Als ihr Schiff anlegt, wird es zudem unangenehm hektisch, weil „unter den in Köln nicht einheimischen Passagieren eine Art Wettlauf“ beginnt: „Alles eilte dem nahen Gasthofe Zum großen Rheinberge zu. Glücklicherweise war unser Quartier vorher bestellt, sonst hätten wir schwerlich noch Raum in demselben gefunden.“
Dieser Gasthof in der Markmannsgasse entschädigte dann aber doch durch seine exquisite Lage an der Schiffsbrücke. Und auch die Stadt sieht Schopenhauer in freundlicherem Licht und berichtet über den „wahrhaft imposanten Anblick“: „Haus an Haus, Giebel an Giebel, über welche die zahlreichen Türme der vielen Kirchen emporsteigen, deren Köln in früheren Zeiten, die Kapellen mit eingerechnet, so viele in seinen Mauern eingeschlossen haben soll, als das Jahr Tage hat. In ihrer Mitte erhebt sich eine rätselhafte dunkle kolossalische Gestalt. Es scheint kein Gebäude zu sein, dafür ist es zu groß, aber auch, der zu regelmäßigen Form nach, kein isoliert dastehendes Felsenstück; es ist der Dom, dieses hohe ehrwürdige Denkmal des kühnsten Emporstrebens des menschlichen Geistes und der Unzulänglichkeit menschlicher physischer Kraft, dessen erster Anblick auf mich einen unbeschreiblich schwermütigen Eindruck machte.“
An die Vollendung des Doms glaubte kaum jemand
In diesem Auf und Ab der Gefühle geht es für die Schriftstellerin weiter. Als Johanna Schopenhauer nun durch Köln schlendert, fallen ihr einerseits die üblen Gerüche auf, die jegliches Innehalten in den Straßen verhindern: „Mit jedem Atemzuge trinkt man den erstickenden Qualm von Tran, Öl, Leder, Unschlitt und allen möglichen Warenartikeln ein, die ringsumher Gewölbe, Keller und Speicher anfüllen.“
All das ist andererseits Vergessen, als sie vor dem Dom steht, obwohl sie auch diesen nicht ohne Einschränkung genießen kann. „Keine Ruine in der Welt, nicht die tief versunkene Herrlichkeit des alten Roms, nicht Pompeji und Herkulanum, selbst nicht die Ruinen von Palmyra können, nach meinem Gefühl, einen ernsteren, schmerzlich wehmütigern Eindruck hervorbringen, als der Anblick dieses Doms!“, klagt Schopenhauer. „Sie waren doch einst, jene Städte, jene herrlichen Paläste, jene mit den Wunderwerken bildender Kunst geschmückten Tempel.“ Der Dom aber, der damals noch als Torso dasteht, erscheint als eine über die Jahrhunderte niemals fertiggestellt Baustelle, an deren Vollendung damals nicht im Ernst zu denken schien.
Johanna Schopenhauer besucht bewundernd Sankt Maria im Kapitol, die sie als von innen wie außen „eines der wohlerhaltensten Denkmale des edeln architektonischen Stiles jener alten Zeit“ beschreibt, sowie etliche andere romanischen Kirchen der Stadt: St. Peter, St. Gereon, St. Kunibert und St. Ursula. Sie besucht den Gürzenich, vor allem aber das, was die Stadt an Kunstwerken zu bieten hat.
Das gestaltet sich als Herausforderung. Zwar sei Köln „reich an einzelnen Kunstwerken und Kunstsammlungen“. Auch sei es dem durchreisenden Kunstfreund nicht schwer, Zutritt zu diesen zu erhalten. „Schwerer“ sei es jedoch, „sie aufzufinden oder auch nur ihre Existenz zu erfahren“. Die Stadt wuchert schon damals nicht mit den Schätzen, die sie in ihrem Mauern birgt, weil ja ohnehin genug Besucher kommen. Und so mag es heute nicht überraschen, dass viele der alten Sammlungen, die Schopenhauer damals bewundert, heute nicht mehr in Köln zu besichtigen sind. Immerhin, während bei Schopenhauers Besuch im ehemaligen Kölner Hof in der Trankgasse 7 „Wallrafs Museum in dem ihm von der Stadt eingeräumten neuen Lokal zum großen Teil noch ungeordnet“ ist, weshalb es ihr unmöglich scheint, „dem Ganzen eine erfreuliche Übersicht abzugewinnen“, so scheint die Sammlung knapp zweihundert Jahre und etliche Umzüge später eine wohlgeordnete Heimat gefunden zu haben – auch wenn der Anbau nicht so reibungslos vonstatten geht, wie man sich das von vielen Seiten wünschen würde.
1829 zog sie nach Bonn
Bemerkenswert schließlich findet Johanna Schopenhauer in Köln auch dem Karneval und damit verbundene „lustige Karnevalslieder, deren alljährlich zahllose neue ins Publikum kommen“, sowie die hiesige Mundart: „Verstehen und sprechen können muss diese Volkssprache jeder Einwohner von Köln, denn sie bietet das einzige Mittel, sich, selbst den nicht ganz niedern Volksklassen, verständlich zu machen und zugleich ihr Vertrauen zu gewinnen; im Munde der Gebildeten hat sie sogar eine gewisse anmutige Naivität, die besonders im Munde der Frauen sehr angenehm werden kann.“
Es bleibt nicht bei einem Abstecher in die Stadt, zumal sie 1829 nach Bonn zieht. Aschermittwoch des Jahres 1831 ist Johanna Schopenhauer wieder hier und schreibt ihrem Freund Karl von Holtei, dass sie „alles Lustige angesehen und mitgemacht“ habe.
Anselm Weyer beschäftigt sich intensiv mit der Kölner Stadtgeschichte. Zuletzt veröffentlichte der Autor das Buch „Insel der Seligen“.