SpurensucheErich Kästners verzweifelte Briefe an seine Mutter
- In unserer Serie „Spurensuche“ stellen wir Personen und ihre Zeit in Köln vor.
- Historiker Anselm Weyer hat bislang unveröffentlichte Briefe entdeckt, die Erich Kästner während des Ersten Weltkriegs aus Köln an seine Mutter schrieb.
Schon als kleiner Junge wusste Erich Kästner genau, was er werden wollte: Lehrer. Vom Lehrer-Seminar in Dresden holte ihn dann aber der Erste Weltkrieg, dessen Ende 1918 Kästner als Soldat in Köln erlebte – auf dem „Schießplatz Wahn als Meldereiter“, wie er später schreibt. Seine Zeit am Rhein muss Eindruck auf ihn gemacht haben, denn zurück in Dresden überraschte Kästner seine Eltern mit der Eröffnung: „Ich werde Schriftsteller!“ Als solcher kommt Kästner 1930 wieder nach Köln.
„Diesmal luden sie mich als Verfasser/ zeitgenössischer Gedichte ein“, heißt es in seinem Gedicht „Brief aus Köln“, zu das ihn sein Besuch am Rhein inspirierte: „1918 lag die Sache krasser./ Und das Volk sprach, wenn auch langsam: Nein./ Doch seitdem floss sehr viel Kölnisch-Wasser/ durch den Rhein“. Die Stadt wird für Kästner in diesem Gedicht zum Mahnmal, dass die Schrecken des Krieges nicht vergessen werden dürfen.
Am 21. Juni 1917 war Erich Kästner zum „einjährig-freiwilligen Dienst“ in der Fußartillerie eingezogen worden. Während seine halbe Schulklasse schon tot war, wurde er noch in Dresden von Sergeant Waurich gedrillt.
Weil zu keinen nennenswerten Kampfhandlungen mehr zu gebrauchen, wurde Kästner im September 1918 an die Artillerie-Messschule in Köln-Wahn versetzt. Davon, dass er sich von seinem langgehegten Wunsch, Lehrer zu werden langsam entfernte, erzählt er nichts in den bislang unveröffentlichten Briefen an seine Mutter, die im Literaturarchiv Marbach lagern und in die die „Kölnische Rundschau“ Einblick nehmen durfte. Nur von den Ausflügen nach Köln, die er mit seinen Freunden unternahm und vom hiesigen Essen: „Im Rheinland scheint man sich nur von Weißkraut nähren zu müssen. Hier heißt es allerdings ,Kappes'.“
„Mit mir ist kein Krieg zu gewinnen“
Versuche, Kästner auch in Köln zu drillen, schlugen fehl. „Heut früh habe ich beim Gewehranschlag (wir haben von Zeit zu Zeit auch mal Außendienst) über einen recht blödsinnigen Sergeanten ein bisschen gelächelt. Er wollte mich rumjagen“, schreibt Kästner am 22. Oktober 1918 an seine Mutter. „Ich sagte ihm von meinen Herzbeschwerden. Er reagierte nicht. Da bin ich gemächlich losgerannt, dann habe ich mich ein wenig langgelegt. O jeh, dem Herrn Sergeanten war angst und bange geworden. Er wird mich in Zukunft in Ruhe lassen. Auch merken sie mal, dass mit mir kein Krieg zu gewinnen ist.“ Also saß Kästner seine Zeit ab und wartete, dass der Krieg zu Ende ging.
„Wilhelm wackelt eklig auf seinem Thrönchen“, frohlockt Kästner dann am 27. Oktober 1918, kurz vor dessen Abdankung am 28. November 1918. Aber die letzten Kriegstage brachten noch viel Leid, Chaos und Verwüstung. „Mit 300 Fraun und viel Geprassel/ ging die Wahner Dynamitfabrik verschütt“, erinnert er sich in seinem Gedicht „Brief aus Köln“. Dann marschierten kanadische und britische Militärverbände in die Wahner Heide ein.
Kästner aber fuhr heim und wurde nicht Lehrer, sondern Schriftsteller. „Jetzt sitze ich für mich allein und esse am Rhein zu Mittag“, schreibt Kästner am 9. Januar 1930 an seine Mutter auf einer Postkarte, die die Aussicht von der Bastei zeigt. Eine Lesereise hatte den Autor zurück nach Köln gebracht. „An den Anschlagsäulen große Plakate: Erich Kästner liest. Aber der Saal soll für 600 Personen sein. Da verkaufen sie nicht die Hälfte.“ Er sollte Recht behalten. Gerade einmal 200 Zuhörer kamen, als Kästner im braunen Anzug im kleinen Saal der „Lesegesellschaft Köln“ in der Langgasse 6, der heutigen Neven-DuMont-Straße, las.
Kästner erzählt in Köln von Kriegserfahrungen
Man setzte ihn, so das „Kölner Tageblatt“ vom 10. Januar 1930, „auf das Vortragspodium des neuen Saales der Lese (während gleich hinter der Glaswand – man konnte sie wie im Aquarium genau durcheinander schwimmen sehen – ein Stammtisch oder ein Kegelklub ausdauernde Zwiesprache hielt)“. Vor dieser Kulisse konfrontierte Kästner, soeben durch „Emil und die Detektive“ zu gewisser Bekanntheit gelangt, sein Publikum mit seinen auch in Köln gemachten Kriegserfahrungen. Er musste fürchten, dass viele nichts davon hören wollen. „Deutschland, heißt es, übt sich im Genesen./ Und wir wären quasi mitten drin./ Alles ist, als wär es nie gewesen./ Die Vergangenheit hat wenig Sinn./ Und ich will hier Kriegsgedichte lesen,/ weil ich dazu hergekommen bin!“ dichtet Kästner.
Er stellt sich so gegen kommode Schlussstrich-Überlegungen: „Viele Leute finden es gewöhnlich,/ wenn man heute noch von gestern spricht./ Doch zu ihnen zähle ich persönlich nicht.“ Der Abend in Köln war ein Erfolg. „Leicht hingeworfene Sätze ließen das Grauen des Krieges lebendig werden“, berichtet der „General-Anzeiger“ vom 11. Januar 1930: „Zweihundert Menschen, die gekommen waren, einem kurzweiligen Literaten zuzuhören, ließen sich erschüttern von Anklagen gegen Krieg, Elend und Not, wurden gepackt von der gestaltenden Kraft eines mutvollen Dichters“. Wenn also auch der Saal bei weitem nicht gefüllt war, hat Kästner seinen Zweck erreicht. „Man ging nachdenklicher nach Haus als man gekommen war“, heißt es im „General-Anzeiger“, „und wenn die Veranstalter des Abends, die Arbeitsgemeinschaft der Weltbühnenleser und die Bücherstube Fröhlich, Kästner noch einmal nach Köln kommen lassen sollten, denn werden sie neben dem moralischen Erfolg den ihnen der Abend brachte, auch den finanziellen sehen, der ihnen diesmal – leider! – versagt blieb.“ In diesem Sinne beschreibt auch Erich Kästner am 10. Januar seiner Mutter den Abschied aus Köln: „Am Bahnhof brachte der Veranstalter das Geld markweise aus den Manteltaschen. Auf diese Weise hatte ich doch ein volles Portemonnaie. Und ich hab wieder ein paar begeisterte Leser mehr.“
Anselm Weyer (42) hat als Literaturwissenschaftler in Köln promoviert. Er bietet seit zehn Jahren Stadtführungen für die AntoniterCity-Tours an.