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175 Jahre Revolution 1848Wie ein Kölner preußischer Ministerpräsident wurde

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Die Barrikade am Altermarkt, 1848. Aquarellzeichnung von Wilhelm Kleinenbroich im Kölnischen Stadtmuseum.

Die Barrikade am Altermarkt, 1848. Aquarellzeichnung von Wilhelm Kleinenbroich im Kölnischen Stadtmuseum.

Vor 175 Jahren, im März 1848, brach in Deutschland die Revolution aus. Die Bürger lehnten sich gegen die Obrigkeit auf und forderten demokratische Reformen - erst in Köln, später im ganzen Land. In einer neuen Serie beleuchten wir die Ereignisse aus Kölner Sicht.

Zwölf Mitglieder des Kölner Gemeinderats, angeführt vom späteren Regierungspräsidenten Heinrich von Wittgenstein, empfing Friedrich Wilhelm IV. am 18. März 1848, morgens gegen 11 Uhr, im Berliner Schloss. Der König soll sich geduldig angehört haben, was im Zuge der Revolution in Köln vorgefallen war, und was ihm da als Resultat daraus an Bitten vorgetragen wurden. Der Monarch habe ausführlich und freundlich geantwortet, was er zu tun gedenke, wurde später berichtet. Dass er, der doch bislang eine stark repressive Politik verfolgt hatte, just eine Stunde zuvor ein Patent unterzeichnet habe, das die freie Presse betreffe. Die Kölner Delegation verabschiedete sich zufrieden.

Draußen auf dem Schlossplatz hatte sich indes eine Menschenmenge gesammelt. Zehntausende erwarteten mit Spannung, was dieser aufregende Tag wohl bringen werde. Das machte das Militär nervös, das schließlich Schloss und König zu bewachen hatte. Schon einige Tage zuvor, am 13. März, hatte man sich schließlich genötigt gesehen, gewaltsam einzugreifen. Die Demonstranten störten sich an all der bewaffneten Staatsgewalt und verlangten, dass sich Kavallerie und Infanterie doch gefälligst zurückziehen solle, während Druck von hinten den Abstand zum Schloss immer geringer werden ließ. Schließlich sah die Ordnungsgewalt sich genötigt einzugreifen.

Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, Porträtaufnahme von Hermann Biow, Daguerreotypie von 1847.

Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, Porträtaufnahme von Hermann Biow, Daguerreotypie von 1847.

Die Situation gerät außer Kontrolle. Säbel werden gezogen. „Verrat!“, wird gerufen. Musketenschüsse lösen sich. Innerhalb weniger Stunden verwandelt sich Berlin zum Kampfplatz. Mehr als 900 Barrikaden werden errichtet. Nach 12 Stunden sind Hunderte Menschen tot. Sie werden auf den Schlossplatz getragen. Friedrich Wilhelm muss sich auf dem Balkon des Schlosses zeigen und zähneknirschend den Märzgefallenen symbolisch die Ehre erweisen, indem er vor ihnen den Hut zieht und politische Zugeständnisse zusichert.

Kabinett aus Beamten

Wer aber könnte diese Zugeständnisse glaubhaft umsetzen? Zunächst berief der König ein vor allem aus Beamten bestehendes Kabinett mit Adolf Heinrich von Arnim-Boitzenburg an der Spitze. Scharfe Kritik kam nicht zuletzt aus dem Westen des Reichs. Gerüchte kursierten über separatistische Gedankenspiele im Rheinland. Der Kölner Regierungspräsident Karl Otto von Raumer erklärte öffentlich, die Rheinprovinz werde nur ein Kabinett akzeptieren, dem Ludolf Camphausen angehörte, der Führer des rheinischen Liberalismus, der bis dato noch nie im Staatsdienst gestanden hatte.

Barrikadenkämpfe in Berlin am 18. März 1848. Kolorierte Lithographie aus dem ‚Neuruppiner Bilderbogen‘.

Barrikadenkämpfe in Berlin am 18. März 1848. Kolorierte Lithographie aus dem 'Neuruppiner Bilderbogen'.

Geboren worden war der Kaufmannssohn 1803 im kleinen Hünshoven bei Aachen. Das elterliche Geschäft hatte er gemeinsam mit seinem Bruder August zum Handels- und Bankhaus A. u. L. Camphausen umgewandelt, das 1826 eine Kölner Zweigstelle in der Löwengasse erhielt. 1831 zog Camphausen auch selbst an den Rhein, residierte zunächst in der Hohe Straße 136. Und weil Ludolf Camphausen ein so umtriebiger wie interessierter Mann war, machte er in Köln politisch Karriere.

Ludolf Camphausen: Vom Kölner Stadtrat bis zum Ministerpräsidenten

Camphausen wurde Stadtverordneter und Mitglied der Handelskammer. Sein besonderes Interesse galt der Dampfmaschine. Er wurde zum Pionier in Fragen der Dampfschifffahrt und vor allem der Eisenbahn. „Der Fortschritt von gewöhnlichen Straßen zu Eisenbahnen ist so riesengroß, dass ein Land, welches sie besitzt, das Land, welches sie nicht besitzt, als auf einer niedrigeren Kulturstufe mit Recht betrachten mag“, schrieb Camphausen 1838. Das Thema sei so wichtig und die Errichtung der Infrastruktur derart kostspielig, dass dies doch Aufgabe des Staates sei. Die lapidare Antwort Preußens: Der rheinische Handelsstand werde selber die Mittel für jene Bauten finden. Davon aber ließ sich Camphausen nicht entmutigen. Seine Durchsetzungskraft und sein Erfolg imponierten, sodass Köln seinen Handelskammerpräsidenten zunächst in den Rheinischen Provinziallandtag und 1847 in den Vereinigten Landtag entsandte.

Ludolf Camphausen

Ludolf Camphausen

König Friedrich Wilhelm IV. kannte Camphausen schon länger. Er schätzte ihn, auch wenn Camphausen immer für die Pressefreiheit eingetreten war. 1842 und 1843 hatte er sogar die Rheinische Zeitung mitfinanziert, die einen durchaus meinungsstarken Chefredakteur hatte: den so jungen wie noch unbekannten Karl Marx. Obwohl Camphausen selbst den radikalen Kurs des Blatts durch eigene, gemäßigte Beiträge abzumildern versuchte, wurde die Zeitung 1843 von den preußischen Behörden verboten.

Im März 1848 nun meldete sich also Preußen bei Camphausen, der mittlerweile in der Rheinaustraße 12 residierte. Ob er sich vorstellen könne, ins Kabinett von Arnim-Boitzenburg einzutreten. Konnte Camphausen nicht. Also seufzte der König einmal tief und bildete am 29. März 1848 eine neue Regierung, die ein symbolischer Bruch mit der Vergangenheit war: die allererste Regierung mit einem Bürgerlichen als preußischer Ministerpräsident - Ludolf Camphausen. An dessen Seite als Finanz- und später auch Handelsminister ein weiterer bürgerlicher Kaufmann: David Hansemann.

Unlösbare Aufgaben

Camphausen selbst meinte, das Kabinett sei „nach seiner persönlichen Zusammensetzung geeignet, den Staat ohne lebensgefährliche Zuckungen über die Kluft, welche das alte System von dem neuen trennt, hinüber zu führen.“ Tatsächlich: Allein die Verkündigung des Kabinetts stellte die Kreditwürdigkeit des preußischen Staats wieder her. Gutes Wirtschaften traute man den rheinischen Kaufleuten zu.

Ansonsten stand Camphausen vor quasi unlösbaren Aufgaben. Auf der einen Seite ein in seinem Stolz gekränkter absolutistischer Monarch, der auf die göttliche Autorität des Königs pochte. Auf der anderen Seite radikaldemokratische Hoffnungen und der Wunsch nach der Umkehrung der Verhältnisse. Als Camphausen seinen Verfassungsentwurf nicht durchsetzen konnte, schied er wieder aus dem Amt. Schon am 20. Juni 1848. Er selbst hatte von Anfang an von einem „Ministerium des Übergangs, der Vermittlung“ gesprochen.

Als Friedrich Wilhelm IV. die Kaiserkrone ablehnte, verabschiedete Camphausen sich aus dem Staatsdienst und zog sich weitgehend ins Privatleben zurück. Seine alten Tage widmete er astronomischen Studien. Camphausen starb 87 Jahre alt am 3. Dezember 1890 und wurde auf Melaten beerdigt. „Die vielen Orden, welche dem Heimgegangenen während seines langen Lebens zuteil geworden, wurden dem Leichenwagen vorausgetragen“, berichteten die Zeitungen.