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Trotz zunehmendem AntisemitismusChristlich-jüdischem Schulprojekt droht das finanzielle Aus

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Drei Männer sitzen an Tischen.

Wollen dem Antisemitismus entgegenwirken: Markus Meier (v.l.), Jürgen Wilhelm und Klaus Orth.

„Refl:act – Kein Ort für Antisemitismus und Rassismus“ heißt das Projekt, mit dem die Kölnische Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit seit vergangenem Februar an die Schulen geht.

Jürgen Wilhelm hätte es nicht für möglich gehalten, dass es nochmals so weit kommen würde. Laut der Dunkelfeldstudie „Antisemitismus in der Gesamtgesellschaft von Nordrhein-Westfalen im Jahr 2024“ weisen bis zu 25 Prozent der Bevölkerung latent antisemitische Einstellungen auf. „Darunter gibt es Menschen, die den Staat Israel mit dem Naziregime gleich setzen“, sagt der Vorsitzende der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. „Ich kann mir das nicht vorstellen, ich will es mir nicht vorstellen“, schüttelt Wilhelm den Kopf. Und gerade jetzt, nachdem der Antisemitismus nach dem Überfall der Hamas auf Israel wie eine Welle über das Land schwappe, drohen die Geldmittel für ein Schulprojekt der Kölnischen Gesellschaft zu versiegen. Wilhelm fühlt sich im Stich gelassen – vor allem von der Landesregierung.

„Refl:act – Kein Ort für Antisemitismus und Rassismus“ heißt das Projekt, mit dem die Kölnische Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit seit vergangenem Februar an die Schulen geht. Den finanziellen Rückhalt dafür geben Spender und die Bethe-Stiftung. Nach dem Grundprinzip der Stiftung wurden Spendengelder verdoppelt. Für Refl:act gab es so nochmals 10.000 Euro obendrauf. Das war das Limit der Stiftung. Da es aber Spenden über die 10.000 Euro hinaus gab, kamen letztlich rund 45.000 Euro für Refl:act zusammen.

„Du Jude“ wird als Schimpfwort eingesetzt

„Mit unserem Projekt wurden bisher rund 550 Schülerinnen und Schüler im Alter von 11 bis 25 Jahren erreicht“, kann Wilhelm bilanzieren. In Workshops haben Pädagogen mit ihnen Fragen zu Antisemitismus und Fremdenhass erörtert. In Köln waren die Heliosschule, das Maximilian-Kolbe-Gymnasium, das Berufskolleg Kartäuserwall, das Albertus-Magnus-Gymnasium, die Gesamtschule Rodenkirchen und das Montessori-Gymnasium dabei. Dass an Schulen der Hitlergruß zu beobachten sei, dass „du Jude“ als Schimpfwort eingesetzt wird, ist bereits seit Jahren trauriger Alltag. Marcus Meier, Geschäftsführer der Gesellschaft, kann noch eine neue Dimension eröffnen: „Wir beobachten zunehmend, dass jüdische Schülerinnen und Schüler ihre Schulen verlassen, weil sie dort antisemitisch gemobbt werden. Die Gemobbten gehen, nicht die Mobber. Das ist ein Skandal.“

Refl:act soll dem entgegenwirken – doch das Projekt wird nach jetzigem Stand im kommenden April auslaufen. Solange reichen laut Meier noch die finanziellen Mittel. Was ist mit Landesmitteln, die es bisher für die Gesellschaft gab? Fehlanzeige. „Wir hatten vor sechs Wochen einen Arbeitstermin im NRW-Schulministerium“, berichtet Meier. Ihm sei signalisiert worden, man werde sich bemühen. „Doch wir haben bis jetzt nichts mehr gehört“, ist Meier resigniert. Und Wilhelm kann seinem Geschäftsführer keine Hoffnung spenden. Der stellvertretende Vorsitzende der Landschaftsversammlung Rheinland hat seine Kontakte spielen lassen, Klinken geputzt in Düsseldorf. Jedoch: „Das Land sagt, wir haben kein Geld.“

Fehlende politische Bildung

Nein, er meine das nicht vorwurfsvoll. „Ministerpräsident Hendrik Wüst betont jedes Mal, wie wichtig es sei, gegen den Antisemitismus anzuarbeiten.“ Aber in der Umsetzung sei das dann wohl doch kompliziert. Und das nicht nur bei dem Schulprojekt. Auch Wilhelms seit Jahren unternommene Bemühungen, die politische Bildung an Schulen mit Blick auf den zunehmenden Antisemitismus zu festigen, laufen nach Aussage des Gesellschaftsvorsitzenden ins Leere. „Dabei stellen wir schon das Schulmaterial dafür zur Verfügung.“

Klaus Orth von der Bethe-Stiftung könnte sich durchaus vorstellen, das Engagement für das Schulprojekt nochmals zu wiederholen. Doch der ehemalige Bürgermeister von Bergisch Gladbach gibt Wilhelm Recht, es brauche eine Verstetigung des Projekts. „Denn was wir zurzeit an Antisemitismus erleben, ist beispiellos, das überrollt uns.“


Veranstaltungen

Gedenken zum Novemberpogrom vor 86 Jahren: am Freitag, 8. November, um 11 Uhr in der Synagoge Roonstraße 50. Anschließend Kranzniederlegung in der Trauerhalle.

Gedenkkonzert „Da Pacem“: 9. November, 20 Uhr in der Kirche Groß St. Martin. Bereits seit 30 Jahren erinnert die Kölnische Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Kooperation mit dem Förderverein Romanische Kirchen mit dem Gedenkkonzert „Da Pacem“ an die Pogrome gegen Jüdinnen und Juden am 9. November 1938. An diesem Abend mit dem Deutsch-Französischen Chor sollen das Innehalten und die Trauer im Vordergrund stehen.

Mit „Forum 321“ präsentiert die Kölnische Gesellschaft ein neues Gesprächsformat, das sich den Themen des jüdischen Lebens und der jüdischen Geschichte aus kultureller Sicht widmet.

Die Veranstaltung wird am 11. Dezember stattfinden. Auf dem Podium werden Publizist und Orientalist Navid Kermani, Soziologe und Autor Natan Sznaider sowie Mirjam Wenzel, Literaturwissenschaftlerin und Museumsdirektorin, miteinander ins Gespräch kommen. Ort und Zeit werden noch bekannt gegeben.

Verleihung des Giesbert-Lewin-Preises an die Autorin Dr. Eva Weissweiler im Domforum, 17. Dezember, 19 Uhr. (ngo)