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Fachkräftemangel in KölnAusbildung statt Abitur? Zwei Azubis erzählen von ihrer Entscheidung

Lesezeit 5 Minuten
Trotz Abitur zunächst mal eine Ausbildung: Peter Kossmann und Lena Paas bereuen ihre Entscheidung nicht.

Trotz Abitur zunächst mal eine Ausbildung: Peter Kossmann und Lena Paas bereuen ihre Entscheidung nicht. 

Der Fachkräftemangel beginnt bereits in der Lehre - auch mit einer Ausbildung lässt sich gutes Geld verdienen.

„Auf welches Gymnasium soll der Junge denn später mal gehen?“ Alltägliche Diskussion nicht nur unter Eltern von Grundschulkindern, sondern auch ganz selbstverständliche Lebensplanung seitens der Großeltern, Tanten und Onkel. Erst recht, wenn der Junge ein Mädchen ist. Da hilft nur Abitur. Eine Ausbildung, vielleicht gar in der Industrie – absurder Gedanke.

Warum das immer noch so ist, warum die Karrierechancen nicht gesehen werden, die breite Basis und eine individuelle Betreuung, können sich auch die nicht erklären, die am nächsten dran sind. Junge Menschen wie Lena Paas und Peter Kossmann etwa. Lena hat bei Atlas Copco gerade eine Lehre zur Technischen Produktdesignerin   absolviert, Peter als Mechatroniker. Beiden war schnell klar, dass sie trotz Abitur zumindest zunächst einmal nicht studieren werden, sondern praktisch im Beruf arbeiten.

Gutes Geld und 35-Stunden-Woche

Bereut haben sie es bis heute keine Sekunde. Geregelte 35-Stunden-Woche, gutes Geld, gutes Betriebsklima und eine spannende Arbeit. Das erhoffen sich viele eigentlich von ihrem Studium – und müssen dann schnell feststellen, dass da noch einige andere hunderttausend Kommilitonen irgendwas mit Medien in einer coolen Agentur mit eigener Kanzlei oder so im Kopf haben. Die Berufsvorstellungen sind jedenfalls oft reichlich vage.

In ihrem eigenen Umfeld haben Lena Paas und Peter Kossmann weder bei den Eltern noch im Freundeskreis den Druck verspürt, doch lieber „etwas Anständiges“ machen zu sollen. Sie wurden in ihrer Entscheidung unterstützt und bestärkt. Das allerdings wird immer mehr zur Ausnahme. „Es ist auch eine Frage des Prestiges“, sagt Lena. Eine Ausbildung in anderen Berufszweigen hat oft ein höheres Standing.

Peter Kossmann ist Azubi bei Atlas Copco.

Peter Kossmann ist Azubi bei Atlas Copco.

Das gilt auch in der Industrie insgesamt, hat Ausbildungsleiter Dirk Poppe beobachtet. „Eigentlich müssten die jungen, klimabewussten Menschen uns die Türe einrennen. Wir machen die Klimawende erst möglich.“   Kompressortechnik, Industrietechnik, Bautechnik, Vakuumtechnik: Gefragt wie selten sind die Kernkompetenzen von Atlas Copco. Aber sich selbst mal die Finger dreckig machen – lieber nicht. „Und dabei passiert auch das eher selten“, meint Poppe.

Von 20 Bewerbungen bleiben fünf

Das Problem sei noch gar nicht mal die Anzahl der Bewerbungen. Eher schon die mangelnde Ernsthaftigkeit, mit der sie betrieben werden: „Von 20 Bewerbungen bleiben fünf. Von den anderen hören wir nie wieder etwas.“ Und nicht zuletzt die Qualität der Kandidatinnen und Kandidaten. Die Erwartungen wurden massiv heruntergeschraubt. Die Corona-Lockdowns haben daran einen Anteil, sind sich er und Betriebsratschef Marco Erlemann einig. Alleingelassen, verunsichert, isoliert – das unter schwedischer Führung stehende Unternehmen hat die Ausbildung auch unter Corona durchgezogen. Unter Einhaltung aller Auflagen. Es gab zwei Corona-Fälle in der Ausbildung, bei 41 Azubis und rund 600 Mitarbeitern in Köln insgesamt.

Und heute? Schon vor Corona war die Lage schwierig, Bewerbungsgespräche ähnelten bei vielen Unternehmen schon längst eher Verkaufsgesprächen eines Betriebes auf der Suche nach Mitarbeitern. Aber eben immer noch auf tragbarem Niveau. Dann kam der Einbruch, von dem es bis heute keine Erholung gab.

Unternehmen erwarten von Schulen Bereitschaft für Zusammenarbeit

In einem sind sich Verbände, Gewerkschaften und Unternehmen einig: Die Ausbildung muss wieder mehr in den Fokus gerückt werden. Dazu erwartet man auch bei den Schulen deutlich mehr Bereitschaft zur Zusammenarbeit.

Andererseits geht auch die Industrie genau dorthin, um junge Menschen für sich zu begeistern. „Es ist ja nicht so, dass wir nichts zu bieten hätten: Tarifgehalt vorausgesetzt, verdient ein guter Facharbeiter bei uns mehr als ein freier Architekt, der sich keinen Namen gemacht hat. Und wenn der Facharbeiter will, kann er immer noch studieren.“ Umgekehrt allerdings wird das dann wohl nichts mehr, meint Poppe: „So ab 30 wird’s mit der Ausbildung schwer.“


Kölnmetall und IG Metall

5033 Ausbildungsplätze gibt es in der Region, 2976 davon sind unbesetzt. Auf 100 betriebliche Ausbildungsstellen kommen im Schnitt 81 Bewerberinnen und Bewerber. Allein im Bereich Mechatronik kommen auf 100 gemeldete Stellen gerade mal 33 Bewerberinnen und Bewerber, im Maschinenbau sind es 64.

Der Arbeitgeberverband Kölnmetall und die Industriegewerkschaft IG Metall werben gemeinsam für eine Ausbildung in der Metall- und Elektroindustrie. „In dieser Schlüsselbranche sieht es in vielen Feldern düster aus. Gemeinsam wollen wir auf diesen Notstand hinweisen und für die Branche werben:“ Allein in Köln haben von 4072 Bewerberinnen und Bewerbern 2200 keine passende Stelle gefunden. Im Umland sieht es ähnlich aus – es gibt also offensichtlich ein „Matching“-Problem. „In den 40 Ausbildungsberufen der Metall- und Elektroindustrie finden die Auszubildenden nahezu ideale Bedingungen vor: sehr gute Vergütung, faire Arbeitszeiten und exzellente Karriereaussichten.

"Weiterbildungsmöglichkeiten sorgen für Aufstiegschancen“, sagt Dirk Wasmuth, Hauptgeschäftsführer von Kölnmetall. Auch und vor allem an Gymnasien sei eine Image-Kampagne vonnöten: Die duale Ausbildung müsse sich auch in den Köpfen der Abiturientinnen und Abiturienten sowie der Lehrerinnen und Lehrer als echte Alternative (oder ad on) zum akademischen Abschluss etablieren. Auch die IG Metall wirbt für die duale Ausbildung: „Unsere Tarifverträge sichern jungen Menschen nicht nur eine auskömmliche Vergütung, sondern in der Regel auch eine Übernahme. Wir setzen uns dafür ein, dass nicht nur während der Ausbildung gute Rahmenbedingungen gegeben sind, sondern auch für neue Weiterbildungs- und Karrierewege“, erklärt Kerstin Klein (IG Metall).