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50 Jahre „Ruhender Verkehr“„Betonklotz“ auf dem Kölner Hohenzollernring provoziert

Lesezeit 6 Minuten

Experten am Objekt: Uschi Huber und Boris Sieverts haben zum Jubiläum Aktionen rund um die gewünschten und tatsächlichen Standorte der Skulptur geplant.

  1. Seit 1989 steht der „Betonklotz“ auf einer Mittelinsel des Hohenzollernrings
  2. Im Oktober 1969 betoniert Vostell in der Domstraße auf zwei Parknischen mit laufendem Radio seinen Opel Kapitän ein
  3. Viele Touren durch die Stadt hat der „Ruhende Verkehr“ schon gemacht

Köln – Domstraße, Josef-Haubrich-Hof, Hohenzollernring, Baggerloch. Das sind einige der tatsächlichen und vorgeschlagene Stationen, die der „Ruhende Verkehr“ auf seiner 50-jährigen Tour durch die Stadt absolviert hat: Seit 1989 steht er auf einer Mittelinsel des Hohenzollernrings, Höhe Maastrichter Straße. Ein Knöllchen hat er noch nie bekommen, aber schon einiges über sich ergehen lassen müssen. Regelmäßig erobern Fußballfans den Zementblock, der für sie ein gutes Siegertreppchen zum Jubeln abgibt. Viele nehmen auch gar keine Notiz vom Betonauto des 1998 verstorbenen Kölner Künstlers Wolf Vostell, Mitbegründer der Fluxus-Bewegung, Installations- und Aktionskunst.

Der Klotz provoziert: Im Oktober 1969 betoniert Vostell in der Domstraße auf zwei Parknischen mit laufendem Radio seinen Opel Kapitän ein, Baujahr 1964, ein Statussymbol. Bildhauer Ansgar Nierhoff hat einen Betonmischer von der nahen Baustelle Ebertplatz organisiert. Vor der Galerie Intermedia sorgt die Aktion für Wirbel. Die einen sehen im Ruhenden Verkehr DAS Symbol für die Kunst der 68er-Ära, andere verwünsch(t)en das „Verkehrshindernis“ und sehen es am liebsten versenkt.

Siegesfeier auf dem Auto: Wenn der FC große Erfolge einfährt, klettern Fans auf das Werk von Wolf Vostell. Die Kunst steht dann nicht im Vordergrund.

Nach einem Standortstreit im Jahr 2001 schlägt ein Kölner in einem Leserbrief vor, „es sollen doch alle Politessen dieser Stadt (...) abstimmen an welchen Ort das Kunstwerk verbracht werden soll. Nach meiner Meinung gehört dieses Machwerk auf den Grund des tiefsten Baggerlochs.“

Als Ikone der Kunst der Sechziger und eine der „wohl prägnantesten und präzisesten Skulpturen im Kölner öffentlichen Raum“ betrachten dagegen die Experten vom Stadtlabor Köln die Aktions-Skulptur: Die Künstler Uschi Huber und Boris Sieverts haben sich anlässlich des Jubiläums in die Archive des Museum Ludwig begeben, viele Akten gelesen und Zeitzeugen befragt. Sie dokumentieren die Geschichte und das Für und Wider zu diversen Standorten, die sie bei ihren Aktionen am 26. Januar besuchen (siehe Programm).

Kunst-Aktionen

Das Stadtlabor ist ein von der Stadt Köln gefördertes Projekt für Kunst im öffentlichen Raum; der Schwerpunkt liegt in diesem Jahr auf den Kölner Ringen. Am Samstag, 26. Januar feiert das Stadtlabor das Jubiläum 50 Jahre „Ruhender Verkehr“ unter dem Titel „Deplatzierung“ mit Aktionen in der Stadt und einer Monitor-Installation im Museum Ludwig.

Mit dem Hinweis „Reserviert für Ruhender Verkehr“ werden an diesem Tag jene Kölner (Park)plätze freigehalten, die im Lauf der 50 Jahre für die Skulptur im Gespräch waren oder von Huber und Sieverts vorgeschlagen werden. Aufnahmen dieser Orte werden live ins Museum übertragen. Ergänzend gibt es eine Umfrage unter Politessen sowie eine Aktenverlesung.

An folgenden Standorten findet zudem ein Sektempfang statt: 10 Uhr Domstraße gegenüber Haus Nr. 81, 11 Uhr Bischofsgartenstraße vor dem Hotel Mondial, 12 Uhr Richartzstraße gegenüber Haus Nr. 12, 13 Uhr Gereonstraße gegenüber Nr. 5-11. 14 Uhr Hohenzollernring vor Nr. 47, 15 Uhr Cäcilienkloster, 16 Uhr Gremberger Baggerloch, Schwarzer Weg östlich der A559, 17 Uhr Parkhaus Ringcarree, Im Klapperhof 49, 2. UG. (MW)

„50 Jahre später haben die Fragen, die sie aufwirft, an Virulenz nicht ab-, sondern buchstäblich zugenommen“, findet das Team des Stadtlabors, ein von der Stadt initiiertes Projekt für Kunst im öffentlichen Raum. So entspreche zum Beispiel das Volumen, das der Beton-Opel einnimmt, dem so mancher SUV unserer Tage ohne Betonhülle. Und die künstlerische Aussage ist in Dieselverbots-Zeiten nicht weniger aktuell: Ein ewig parkendes Auto, „die ideale gesellschaftliche Relevanz. Das eingefrorene Auto mitten zwischen den anderen noch verkehrstüchtigen Autos“, befand Vostell in einem Filmbeitrag.

Stein des Anstoßes ist das Kunst-Objekt immer mal wieder gewesen. Seine Geschichte versteht Sieverts als Paradebeispiel für den Kampf der Kunst im öffentlichen Raum mit bürokratischen Hürden, aber auch für demokratische Prozesse in einer offenen Gesellschaft: „Da wurde engagiert gestritten und argumentiert.“

O-Töne

Ein WDR-Beitrag dokumentiert Kommentare von Passanten, getätigt , als Vostell seinen Opel in Beton goss:

„Das ist kein richtiges

Denkmal.“

„Zuerst mal isses ’ne große Verkehrsstörung.“

„Aber vom Betonieren haben die Leute keine Ahnung.“

„Grober Unfug ist noch zu glimpflich ausgedrückt. Wenn das jeder machen würde, der'n paar Mark in der Tasche hat, wie's in einem Jahr in Köln aussähe! Da kommt einer mit der Nähmaschine, vielleicht wird die auch einbetoniert.“

„Braucht er nicht zu verschrotten, hält bis in alle Ewigkeit.“

„Für mich ist es natürlich ein mutiges Kunstwerk, denn ich würde nicht mein Auto einzementieren, dann müsste ich mir ein neues kaufen.“ „Woll’n wir hoffen, dass der Lack keinen Schaden nimmt.

Der Beitrag „Vostell und andere oder Lippenstifte für Vietnam“ ist zu sehen auf youtube.com/watch?v=f8eoazTOCWA

Eine kleine Auswahl der bewegten Geschichte: Nach der genehmigten Betonierungs-Aktion bestehen Polizei und Ordnungsamt nach zwei Monaten auf der Räumung der Parkplätze. Am 11. Dezember 1969 wird der Ruhende Verkehr auf den Parkplatz vor der Kunsthalle am Josef-Haubrich-Hof abgestellt, schnell ist er mit Werbeplakaten komplett überklebt. Die dauerhafte Aufstellung und Leihgabe an die Stadt ermöglicht Kunstsammler Jost Herbig, der für die Skulptur 30.000 Mark zahlt, nachdem die Stadt einen Ankauf abgelehnt hatte.

1974 wandert sie für eine Vostell-Ausstellung nach Paris, 1975 nach Berlin. Dann kehrt sie zum Josef-Haubrich-Hof zurück. Wegen des Baus des neuen Ärztehauses wird die Skulptur 1986 im Bauhof Alteburger Straße untergestellt. 1988 schlägt der Kölnische Kunstverein als neuen Platz eine Parktasche an der Cäcilienstraße vor. Die Bezirksvertretung Innenstadt beschließt stattdessen die Aufstellung auf der Mittelinsel des Hohenzollernrings.

Im Juli kommt die Aktionsplastik, für die sich besonders auch Gerhard Kolberg vom Museum Ludwig engagiert, auf den Mittelstreifen am Ring (Kreuzung Höhe Ehrenstraße). Seitdem stehe das Werk prominent, aber teilweise entgegen der Intention Vostells dort, findet auch das Stadtlabor. „Meine Plastik soll am besten in einer Parkreihe stehen bleiben. Das wäre die ideale gesellschaftliche Relevanz“, hatte Vostell einmal gesagt. Außerdem solle sie in einer belebten Gegend und in einer Straße mit fließendem Verkehr stehen.

Ab 2001 kocht der Standortstreit wieder hoch. Alternativ-Vorschläge werden kontrovers diskutiert. Versetzung des Betonautos auf einen Parkplatz in der Bischofsgartenstraße, vors Hotel Mondial oder auf einen der „echten“ Parkplätze entlang der Ringe. Dafür finden sich keine Mehrheiten. 2002 wirbt Kolberg für die Rückkehr in die Domstraße, aber die Bezirksvertretung Innenstadt votiert abermals für den Verbleib am Ring.

Da steht er nun, der Ruhende Verkehr. Warum man sich damals nicht auf einen „echten“ Parkplatz entlang der Ringe einigen konnten, versteht Sieverts nicht. „Ein solcher Standort hätte nun wirklich alle Argumente auf seiner Seite. Und wahrscheinlich müsste man den Betonklotz noch nicht mal auf einen Tieflader setzen, sondern der Kran könnte ihn direkt an die richtige Stelle schwenken!“