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Neurofibromatose Typ23-Jährige leidet an kaum erforschter Krankheit -  emotionaler Spendenaufruf

Lesezeit 4 Minuten
Die Studentin Greta leidet an der bisher wenig erforschten Krankheit Neurofibromatose Typ 2.

Die Studentin Greta leidet an der bisher wenig erforschten Krankheit Neurofibromatose Typ 2.

Greta leidet an Neurofibromatose Typ 2. Jetzt sammelt sie Spenden für die Erforschung der seltenen Erkrankung.

Greta braucht mehr als zwei Hände, um aufzuzählen, wie oft sie in ihrem Leben schon am Schädel operiert wurde. Sie kommt auf zwölfmal. Die 23-jährige Kölnerin leidet an einer seltenen genetischen Erkrankung: Neurofibromatose Typ 2, kurz NF2. Immer wieder bilden sich Tumore in im peripheren und im zentralen Nervensystem, meistens im Gehirn. Typisch sind sogenannte Akustikusneurinome, die rechts und links vom Hirnstamm um den Hörnerv wachsen. Zehn Jahre nach der Diagnose NF2 ist Greta auf beiden Ohren taub.

„Das war schwer“, erinnert sich Greta. „Ich gehörte nicht mehr so richtig in die hörende Welt. Ich war aber auch nicht richtig in der Welt der Gehörlosen. Ich war irgendwo dazwischen.“ Ihren Instagram-Kanal nannte sie passend dazu „somehow deaf“ (auf Deutsch: „irgendwie taub“), auf dem sie zusammen mit ihrer Freundin Larissa über die seltene Krankheit aufklärt, etwa über Symptome wie Gesichtslähmungen und Gleichgewichtsstörungen. Mit Larissa hat sie auch einen Spendenaufruf auf der Seite „Gofoundme.com“ ins Leben gerufen. Das Ziel: Spendengelder für eine Genetik-Studie am Universitätsklinikum Tübingen zu sammeln, damit die Krankheit vielleicht irgendwann heilbar ist.

Hirnstammimplantat macht das Hören wieder möglich

Dass sie heute in ihrer eigenen kleinen Wohnung in der Küche sitzt und ein Interview führen kann, grenzt an ein medizinisches Wunder. Ein Hirnstammimplantat, das ihr 2022 eingesetzt wurde, macht es möglich, dass sie Gesprächen wieder folgen kann, und auch Musik wieder wahrnimmt.

Gretas Krankengeschichte beginnt bereits im Alter von neun Jahren: Sie schielt auf dem linken Auge und legt den Kopf auf die rechte Seite, um es auszugleichen. Vor einer geplanten Augenmuskel-OP entdeckten die Ärzte in der Kinderklinik im MRT die beiden Punkte rechts und links vom Hirnstamm: die Akustikusneurinome. Es folgte die Diagnose NF2.

Die Ärzte haben mir schon früh geraten, die Gebärdensprache zu lernen. Mir hat geholfen, dass meine Familie und einige Freunde mit mir zusammen gelernt haben und auch heute noch Interesse zeigen. Das hat dann natürlich auch die Kommunikation total vereinfacht.
Greta über ihre Ertaubung

Die Erkrankung tritt bei circa einem von 40.000 Menschen auf, nur wenige Zentren in Deutschland behandeln sie. Gretas Eltern entschieden sich schließlich für die Neurofibromatose-Ambulanz in Tübingen. „Die Ärzte haben mir schon früh geraten, die Gebärdensprache zu lernen“, erzählt Greta. „Mir hat geholfen, dass meine Familie und einige Freunde mit mir zusammen gelernt haben und auch heute noch Interesse zeigen. Das hat dann natürlich auch die Kommunikation total vereinfacht.“

Als sie vier Wochen nach dem Einsetzen der Hirnstammimplantate zum ersten Mal wieder ein Lied im Radio hören konnte, habe sie am ganzen Körper Gänsehaut bekommen. Denn niemand habe ihr garantieren können, ob und wie gut die Implantate bei ihr funktionieren würden. „Ich bin dankbar, dass mir das Hören wieder geschenkt wurde.“ Auch deshalb will sie etwas zurückgeben. Mindestens 10.000 Euro wollen Greta und Larissa an Spenden zusammenbekommen, die in die Forschung fließen sollen.

Tumore wachsen immer weiter

Greta machte ihr Abi an einer Leverkusener Gesamtschule, begann dann in Köln ein Studium der Sonderpädagogik. Doch immer wieder folgten Rückschläge: Nach einer weiteren Behandlung stieg ihr Hirndruck an. „Ich lag neun Monate fast nur im Bett, die Kopfschmerzen waren unmenschlich. Wenn ich einen Anfall hatte, konnte ich nichts sehen, nicht sprechen, mich nicht bewegen. Auch psychisch war das extrem schwer, weil ich gar keine Chance hatte, mich mitzuteilen“, sagt Greta. Im März 2024 folgte wieder eine Operation, im Mai eine Bestrahlung. Die Tumore wachsen jedoch immer weiter. „Ich studiere, aber aus den gesundheitlichen Gründen ist es wirklich schwierig“, bedauert die 23-Jährige. „Ich denke daher über Alternativen nach.“

Manchmal wünscht sie sich mehr Barrierefreiheit in Köln: Etwa an der Uni, wo die Mitschnitte vieler Vorlesungen keine Untertitel haben. Oder an vielen Treppenaufgängen, die kein Geländer haben. Was Greta nicht abhandengekommen ist, ist ihr Lebensmut: „Ich habe gelernt, dass man alles immer direkt machen und nicht aufschieben sollte.“ Sie spielt wieder Cello, wie vor ihrer Ertaubung. Sie reist viel, zuletzt nach Spanien und Holland, demnächst vielleicht nach Italien und Portugal. Ihr Hund Leo, ein Schoko-Labrador, sagt sie, gebe ihr Halt. Und sie ist frisch verliebt: Ihr Freund ist ebenfalls an NF2 erkrankt.

Auch über ihre Webseite und ihren Instagram-Kanal mit aktuell fast 8000 Followern ist ein Netzwerk entstanden, das Betroffene zusammenbringt. „Es gibt Selbsthilfegruppen, die aber eher ältere Menschen ansprechen. Wir haben uns nie richtig gesehen und verstanden gefühlt“, begründet Greta ihre Präsenz in den sozialen Medien. „Ich habe darüber selber einen besseren Umgang mit der Krankheit gefunden. Auch, weil von außen eigentlich nur Zuspruch kommt.“ Denn auch hier geht vieles mit Humor: „Wo versteckst du dich?“, fragt Greta in einem kurzen Video mit einem Kinderfernglas auf der Nase. Sie sucht: die Inklusion.