Eine Schönheitswahl ist Miss Germany seit Jahren nicht mehr. Chef Max Klemmer erklärt, warum er das Projekt umgekrempelt hat.
MediaparkMiss Germany Casting in Köln - Neues Konzept soll Karrierefrauen stärken
Es steckt also doch eine Frau dahinter. „Oma Hille“, wie ihr Enkel und der Miss Germany-Chef sie liebevoll nennt, sei definitiv beteiligt am Erfolg des familiengeführten Wettbewerbs. Ruhm und Ehre bekam aber sein Opa und Erfinder der ehemaligen Schönheitswahl ab. Seine Oma habe ihren Mann unterstützt, sei sein Rückgrat gewesen und habe sich eingebracht, erklärt Max Klemmer. Fast 100 Jahre erfolgreiche Vergangenheit des Wettbewerbs sind also auch ihr anzurechnen - und vielleicht auch seine erfolgreiche Zukunft. Statt einer Schönheitswahl soll Miss Germany heute eine Auszeichnung sein, die Frauen mit großen Karrierezielen sichtbar macht und sie bei der Umsetzung unterstützt. Hildburg Klemmer sei Inspiration für diese Veränderung gewesen.
Statt einer Schönheitskönigin sucht Miss Germany mittlerweile Frauen mit besonderen Ambitionen. Max Klemmer (28) hat bei Miss Germany einiges umgeworfen, seit er 2019 die Geschäftsführung von seinem Vater übernahm. Dass die Teilnehmerinnen sich nicht mehr in Bikinis präsentieren, sie verheiratet sein und Kinder haben dürfen und die Altersgrenze von 16 bis 29 abgeschafft wurde, habe er angestoßen. „Das war ein ganz schöner Prozess, weil das zuvor nie jemand hinterfragt hat“, erklärt er.
Auf einer Casting-Tour durch Deutschland will Miss Germany die Top 45 der aktuellen Staffel ausfindig machen. In Köln hielt das Team im Mediapark, um Kandidatinnen der Top 90 aus der Region durch Interviews zu bewerten. Darunter ist auch die Kölnerin Belen Kobe. Auch sie stellte sich in dem Kleinbus des Teams den Fragen der amtierenden Miss Germany, Apameh Schönauer.
Der Höhepunkt der Veränderungen von Miss Germany ist die aktuelle Staffel. Erstmals müssen die Bewerberinnen zu den Kategorien (angehende) Gründerin oder Führungskraft angehören, oder in einem männerdominierten Feld arbeiten. Und: Zum ersten Mal gibt es eine Bewerbungsgebühr von 99 Euro. „Miss Germany setzt so gezielt auf Qualität statt Quantität und möchte lieber weniger, aber dafür hochqualifizierte Bewerbungen generieren“, teilt eine Sprecherin mit. Über 1000 Frauen hätten sich für diese Staffel beworben. Aufgrund der Neuerungen sei das weniger als in den Vorjahren.
Miss Germany will auch eine Plattform sein. Im Gegenzug zur Gebühr sollen die Kandidatinnen schon während ihrer Teilnahme profitieren. Alle Bewerberinnen bekommen Zugang zum Netzwerk und konnten an zwei digitalen Workshops teilnehmen. Je weiter die Kandidatinnen kommen, desto mehr Events zur Weiterbildung und zum Netzwerken erleben sie.
Der Siegerin werden außerdem erstmalig Investment-Gelder für mögliche Projekte bereitgestellt, erklärt der Miss Germany-Chef. Aber auch besondere Ideen anderer Teilnehmerinnen können gefördert werden. Insgesamt stünden bis zu 50 Millionen Euro zur Verfügung.
Kölnerin Belen Kobe kommt aus der Südstadt und sieht nach dem Gespräch im Bus mit der Miss Germany zuversichtlich aus. Sie gehört zur Kategorie Führungskraft, arbeitet im Bereich Ladenbau und berät als Coach ihre Kunden dabei, berufliche Ziele zu erreichen. Die 31-Jährige hat es auch ohne Studium in eine Führungsposition geschafft und ist sich ihrer Mission sicher: „Es ist sehr wichtig, Personen die Möglichkeit zu geben, sich weiterzuentwickeln, auch wenn sie nicht das klassische Bild erfüllen. Ich möchte zeigen, dass man gerade auch als Frau seinen Weg gehen kann, wenn man sich nicht entmutigen lässt.“
Das Aussehen der Kandidatinnen spielen bei dem Wettbewerb gar keine Rolle, beteuert die amtierende Miss Germany Apameh Schönauer. „Für mich ist das Wichtigste, dass mich die Geschichte der Frau inspiriert und sie mich damit motivieren kann. Dass ich das Gefühl habe, sie spricht mit Leidenschaft und hat den Wunsch etwas zu verändern“, sagt sie.
Das klischeehafte Bild einer Miss Germany durchbricht Schönauer radikal: Sie ist 40 Jahre alt, hat eine Führungsposition in der Männerbranche Architektur, Wurzeln im Iran und ist Mutter. Das hat ihr schon viel Ablehnung eingebracht. „Ich habe einen sehr großen Shitstorm abbekommen“, erzählt sie von der Zeit nach ihrem Sieg. „Manche haben noch nicht verstanden, dass das typische Bild von Miss Germany jetzt ein anderes ist.“ Den Hass kehre sie ins Positive um: Ich gehe an Schulen und rede über Chancen und Risiken von Social Media. „So wird den Leuten bewusst, wie die Sachen, die sie blind in ihr Handy tippen, ihr Gegenüber beeinflussen.“
Miss Germany hat sich von dem Gegenwind offensichtlich nicht beeinflussen lassen. Ein Schönheitswettbewerb sei nicht mehr zeitgemäß, findet Klemmer. „Es war damals nicht per se alles schlecht, aber man sollte heute die eigene Macht nutzen und es besser machen, um einen guten Fußabdruck zu hinterlassen.“ Geschichten von wichtigen Frauen, wie die seiner Oma, seien lange genug nicht erzählt worden.
Über Miss Germany
„Miss Germany“ wurde 1927 als Schönheitswettbewerb für Frauen gegründet. Das Event wird von dem Unternehmen Miss Germany Studios organisiert, das von Beginn an Familiensache ist. Der aktuelle Geschäftsführer Max Klemmer (28) ist der Enkel von Gründer Horst Klemmer (87). Seit Max Klemmer 2019 übernommen hat, wurde der Wettbewerb zu einer „Auszeichnung für Frauen, die Verantwortung übernehmen“.
In diesem Jahr schloss Miss Germany eine Partnerschaft mit LinkedIn, einem digitalen Netzwerk für beruflichen Austausch. Die Plattform beteiligt sich mit Workshops an dem Wettbewerb beteiligen. Aktuelle LinkedIn-Daten, die im Rahmen des Global Gender Gap Reports veröffentlicht wurden, zeigen, dass Männer in der Regel über größere berufliche Netzwerke verfügen als Frauen, wie Miss Germany mitteilte. Die neue Kooperation soll gegensteuern.