Die Wahl des Kostüms ist kompliziert geworden. Mitunter steht man schon mit einer Feder am Kopf mit halbem Bein im komplizierten Kulturkampf.
Kulturelle AneignungWie problematisch ist das „Indianer“-Kostüm im Karneval?
Es mag ein Zufall sein, aber irgendwie passt es ins Bild, dass der Weg zu den Gewändern mit den Fransen und Federn recht verschlungen ist. In der Kölner Filiale des großen Kostümhändlers Deiters hängen das „Kleid Indianerin mit Fransen braun“ und das „Kleid Indianerin braun“ in einer der hinteren Ecken des Ladens. Auf dem Fußmarsch dorthin muss man ein paar Kurven nehmen. Und ähnlich kompliziert ist die Debatte um die braunen Gewänder geworden. Anders gesagt: Soll ich wirklich als Winnetou gehen?
Langsam, aber sicher nähern sich die Höhepunkte des närrischen Frohsinns. Das Problem – wenn man es so nennen will – ist nur: Ein unbedacht übergeworfenes Fransen-und-Feder-Kleid könnte heutzutage schnell als Statement (miss)verstanden werden. Ein Begriff zieht dann auf wie die Sonne über der Prärie: kulturelle Aneignung. Darunter versteht man in Fachkreisen grob gesagt die Übernahme von Ausdrucksformen aus einer anderen Kultur – in stereotyper Weise, gegen deren Willen und nicht auf Augenhöhe.
„Indianer“ war über Jahrzehnte ein Verkleidungsklassiker
Erst im Sommer hat es eine heftige Debatte in der Sache gegeben, damals ging es um zwei Begleitbücher zu einem Winnetou-Film, die ein Verlag zurückzog. Die einen hielten das für komplett übertrieben und sahen eine gottgleiche Helden-Figur ihrer Kindheit in Verruf gebracht. Andere hatten das Gefühl, dass da vielleicht doch etwas dran sein könnte. Wer die Diskussion mitbekommen hat, dürfte beim Durchwühlen seiner Kostümkiste jedenfalls kurz ins Stutzen geraten. Nicht nur, wenn der Federschmuck und die braune Fransen-Jacke zum Vorschein kommen - über Jahrzehnte ja ein Verkleidungsklassiker.
Vorsichtig gefragt: Was ist eigentlich mit der orientalischen Prinzessin? Der japanischen Geisha? Und huldigt der Cowboy mit dem Colt nicht dem alten weißen Mann und verhöhnt Schussopfer? Ist das nun ein Problem? Hilfe! Man kann das für eine reichlich akademische Debatte halten und nicht wenige werden auch einwenden: So eine Geister-Diskussion, lasst mir bitte mein Kostüm und zeigt mir den amerikanischen Ureinwohner, der sich durch Bildstrecken vom Karneval aus dem Kreis Mettmann oder Köln-Sülz klickt und beleidigt fühlt. Offenbar gibt es aber auch einen gewissen Wunsch nach Orientierung. Wer googelt, findet schnell Artikel mit Titeln wie „Indianer-Kostüm: Darf mein Kind das noch tragen?“ oder „Warum du dich zu Karneval weder als Pocahontas noch als Inuit verkleiden solltest.“
„Es fängt schon bei dem Wort „Indianer“ an“
Im Mittelpunkt stehen die sogenannten ethnischen Kostüme. Wenn man den Sozialwissenschaftler Lars Distelhorst fragt, der das Buch „Kulturelle Aneignung“ geschrieben hat, nach so einer Kostümierung fragt, sagt er: „Das kann man machen. Aber man muss nicht unbedingt erwarten, dass andere Leute dafür Applaus klatschen.“ Er findet tatsächlich, dass man bei Verkleidungen über kulturelle Aneignung diskutieren könne. Obwohl er andere Begriffe günstiger findet. Etwa Geschichtsvergessenheit oder mangelnde Sensibilität. „Es fängt eigentlich auch schon bei dem Wort „Indianer“ an“, sagt Distelhorst. „Bei vielen ist noch gar nicht angekommen, dass es die nicht gibt.“ Kolumbus dachte bei seiner Ankunft in Amerika irrigerweise, in Indien gelandet zu sein. Die daraus resultierende Bezeichnung ist nun älter als der Kölner Rosenmontagszug. Kritisch werde es bei einem Macht-Ungleichgewicht der Kulturen, sagt Distelhorst. Viele Ureinwohner wurden ausgebeutet und diskriminiert.
Wenn sich eine Frau ein Geisha-Kostüm oder ein Mann einen Schottenrock anziehe, dann sei das wieder etwas Anderes, sagt er. Gleiches gelte für einen Amerikaner, der eine bayerische Lederhose trage. „Da sagt niemand etwas dagegen.“ Der zweite Punkt sei, wenn es auf platte Stereotype hinauslaufe. Ein dritter: Wenn die Betroffenen schon geäußert haben, dass sie das nicht so witzig finden. „Menschen aus indigenen Bevölkerungen haben immer wieder gesagt, dass sie, was man sich bei uns zusammenbastelt – mit Pfeil, Bogen und Marterpfahl – als abwertend empfinden“, sagt er. „Ich würde Kinder niemals davon abhalten wollen, sich zu verkleiden“, sagt Distelhorst. „Nur muss man ja sehen, dass man Kinder hochgradig in die Irre führt, wenn man ihrem Erkenntnisinteresse dadurch zu entsprechen meint, dass man sie in verhohnepipelnde Kostüme steckt.“
Die Frage sei auch, was kulturelle Aneignung heiße
Martin Booms, Professor für Philosophie an der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft, findet die Strenge der Diskussion dagegen befremdlich. „Ich glaube nicht, dass es zielführend ist, dass man jetzt eine Liste macht mit Kostümen und Rollenmotiven, die noch ‚gehen‘ und solchen, die ‚nicht gehen‘“, sagt er. Man müsse sich doch mal klarmachen, was im Karneval passiere. Rollenklischees würden bewusst eingesetzt. „Wer sich ein Kostüm überzieht und in eine fremde Rolle schlüpft, der macht das mit Selbstironie. Genau diese Eigenschaft – über sich selbst lachen zu können – ist eine Kultur, die so etwas wie Diskriminierung und Exklusion verhütet.“
Die Frage sei auch, was kulturelle Aneignung heiße. „Man muss aufpassen, dass in dieser Debatte nicht ein Kulturbegriff verwendet wird, der essentialistisch ist. Der sagt: Bestimmte kulturelle Merkmale ‚gehören‘ einer bestimmten Gruppe“, sagt Booms. „Ich halte das für ein problematisches Kulturverständnis.“ Karneval, das sei eigentlich „praktiziertes Aufheben von Unterschieden“. „Für ein paar Tage ist egal, wer man ist und wo man herkommt“, sagt Booms. Und nun? Am Ende landet man wieder im Kostümladen Deiters, quasi an der Front dieses Kulturkampfes.
Inhaber Herbert Geiss, sagt, dass er keine Kaufzurückhaltung spüre. Er hält die Diskussion auch für überhitzt. „Es ist das eine, wie die Weltgeschichte erzählt wird, etwa die der Kolonialisierung“, sagt er. „Aber bei uns geht es um Kostüme.“ Er stelle nicht fest, dass seine Kunden „jemanden diskriminieren wollen“. „Da wird ganz normal Karneval mit gefeiert.“ Gedanken hat man sich aber auch in seinem Haus gemacht. „Es gibt zum Beispiel Begrifflichkeiten, bei denen wir genau wählen“, erklärt Geiss. Ein Beispiel: „In unseren Shops findet man den Ausdruck 'Afro-Perücke' nicht mehr“, sagt er. Das heiße nun „Lockenkopf“. (dpa)