Vormittags unterrichtet Michael Hehn als Musiklehrer an einem Kölner Gymnasium, abends steht er in der Bütt. Er ist einer der letzten kölsch sprechenden Redner im Kölner Karneval. Die großen Säle meidet er wegen der großen Unruhe.
Unterwegs mit dem Redner Michael HehnWarum „Dä Nubbel“ den Parallelkarneval in Köln meidet

Totentanz in der Flora: Redner Michael Hehn hat als „Dä Nubbel“ vor allem bei Flüstersitzungen, wie hier in der Flora, sein Publikum gefunden.
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Auch Nubbel achten gelegentlich auf gutes Aussehen. Jutta Kössl, die einzige Frau in Köln, die mit einem Nubbel liiert ist, fährt ihrem morbide maskiertem Lebensgefährten mit schwarzem Lippenstift über den Mund. Zum roten Brokat-Mantel trägt er einen schwarzen Zylinder, weiße Handschuhe, sein Teint ist so blass wie das Mondlicht. Noch schnell ein Autogramm ins Gästebuch der „Großen Kölner“, dann ruft ihn Präsident Dr. Joachim Wüst auf die Bühne der Flora. „Ein Redner, der von seiner Eleganz zu unserem Verein passt. Hier ist Michael Hehn, dä Nubbel.“
Um die Tuschs der Kapelle muss sich Michael Hehn (56) bei seinem ersten Auftritt des Tages keine Sorgen machen. Für ihre Flüstersitzung hat die Große Kölner das Kohberg-Orchester engagiert, dunkle Anzüge, klassische Instrumente, eine Musikerin spielt sogar Geige. Hehn, selbst studierter Musiker, gehörte einst zu den Mitbegründern der Gruppe. „Nä, wat is dat schön. Die beste Kapelle nördlich der Eifel. Fastelovend zesamme!“ Es ist der Auftakt zu einer Büttenrede, die 23 Minuten dauert und vom Sitzungspräsidenten mit einer „Freudenrakete“ gefeiert wird. „Auf unseren Nubbel, dreimol vun Hätze…“, ruft er. Handschlag. Abmarsch. Nächster Saal.
Christoph Kuckelkorn holte ihn auf die Bühne
Im Hauptberuf unterrichtet Michael Hehn am Dreikönigsgymnasium Musik, vor neun Jahren stieg er in die Bütt. „Den Grundstein hat Festkomitee-Präsident Christoph Kuckelkorn gelegt, denn damals suchte er für eine Halloween-Show einen Nubbel. Er fragte mich und ebnete mir nach dem Auftritt den Weg in den Karneval“, erzählt Hehn. Inzwischen hat er zahlreiche Auftritte pro Session, hauptsächlich in kleineren Sälen. „Ich liebe Pfarrsitzungen und andere Formate, bei denen die Menschen zuhören. Den Parallelkarneval in den großen Kölner Sälen tue ich mir wegen der großen Unruhe nicht an“, sagt er.

Und weiter geht es: Jutta Kössl fährt ihren Lebensgefährten Michael Hehn zu den Sitzungssälen. Manchmal nimmt er aber auch das Fahrrad.
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Neben seiner Gage hat sich Hehn bei jedem seiner Auftritte elf Kölsch vertraglich zusichern lassen – einfach, weil es lustig ist. Und eine Cola für seine Lebensgefährtin, die Fahrerin. Manchmal fahren auch die Söhne. Oder er nimmt einfach das Fahrrad. Doch zum Trinken bleibt dieses Mal keine Zeit. Jacke an, ab ins Auto. Seinen Zylinder tauscht der Nubbel gegen ein Krätzchen mit der lateinischen Aufschrift „potare, concubare, salutare“, was er frei mit „suffe, poppe, danze“ übersetzt. „Erstmal schauen, wo wir hinmüssen“, sagt Jutta Hehn und lenkt den alten Mercedes vom Flora-Parkplatz. In der App der Veranstaltungsagentur, von der sich Hehn seine Termine managen lässt, sind Zeitplan und Orte genau hinterlegt. Laut Navi sind es 26 Minuten bis zum Ziel. Und etwa 40 Minuten bis zum Auftritt bei den Altstadtfunken Opladen.
Die Verkehrslage hält das Versprechen des Navis, an der „Trattoria Toscana“ links abbiegen, dann ist die Schützenhalle in Opladen erreicht. Während das Tanzkorps „Die Schlebuscher“ für Stimmung sorgt, holt Jutta Hehn wieder den schwarzen Lippenstift auf der Tasche. Unter dem Applaus der Sitzungsgäste schreitet Michael Hehn durch den Mittelgang zwischen den Tischen hindurch zur Bühne. „Ich darf ja Kölsch spreche. Mir sind ja nicht im Jözenich“, versichert er sich und erntet Beifall und Gelächter. Dann lästert er über den Ätze Schorsch. „Kennt ihr nicht? Der Erzbischof“, sagt Hehn. Wieder Gelächter. Das Eis ist gebrochen.
Michel Hehn hält selten die gleiche Rede zweimal. In Opladen bringt er Passagen, die er vorige Session beim „Jeckespill“ ausprobiert hatte. „Ich versuche mir zu merken, wo ich was erzählt habe“, sagt er. Sein Vortrag sei ein Prozess, der am Elften im Elften beginnt. „Was dann Aschermittwoch rauskommt, ist etwas völlig anderes“, sagt er. Neuerdings erzählt er das Leben im Rückwärtsgang. Von der Geburt im Sarg bis zum Tod im Moment des Orgasmus – ein großer Spaß. Auch diese Nummer ist ihm mitten in der Session eingefallen.
Lehrer in der Akademie för uns kölsche Sproch
Als Nubbel zelebriert Michael Hehn in der Bütt die kölsche Sprache, seine Grammatik ist fehlerfrei, die Aussprache sauber. Nebenbei unterrichtet er an der „Akademie för uns kölsche Sproch“. und gibt sein Wissen weiter. „Im Umland ist es einfacher, denn da wird oft noch stärker Mundart gesprochen als in Köln“, stellt er fest. Manchmal führt ihn das Navi auch nach Eschweiler und Jülich, „inzwischen liebe ich die Auftritte im Aachener Land“, sagt er begeistert. Auch in Opladen applaudiert der Saal dankbar. „Super Vortrag“, ruft ihm ein Jeck im Foyer zu. Jetzt gönnt sich Michael Hehn ein Kölsch.
In seiner Rede watscht der Nubbel die AfD ab. „Wie nennt man ein AfD-Mitglied? Afd-er?“, fragt er arglos. Die Konsistenz sei ähnlich wie bei der Pfefferminzschokolade After Eight. „Außen braun und innen widerlich“, ätzt er. Auch gegen die Bundesregierung teilt er aus. „Das ist die erste Ampel, bei der man Angst hat, wenn es grün wird“, meint er. Spät abends, wenn er wieder auf dem heimischen Sofa sitzt, trinkt er meist ein Glas Rotwein. Zum Runterkommen. „Direkt ins Bett gehen, ist schwer. In der Schule muss ich auch aufpassen, nicht den Clown zu machen“, sagt er.
Karneval ist Ausnahmezustand. Aber Aschermittwoch ist alles vorbei. Für den Nubbel gilt das ohnehin.