Die kölsche Musikszene produziert jedes Jahr über 350 neue Lieder. Vorm Start der „Loss mer singe“-Tour hat sich unser Autor alle angehört.
„Loss mer singe“Von Kasalla bis Hans Danz - was die kölsche Musikszene abseits der etablierten Bands kann
Kölsche Musik kann harte Arbeit sein. Vor allem, wenn man die in den vergangenen Jahren rasant gewachsene Szene in seiner gesamten Fülle erfassen will. Der Otto-Normal-Kölsche hat diesen Anspruch in der Regel nicht. Die Mitsing-Initiative „Loss mer singe“, die sich in jedem Jahr mit den besten Sessions-Hits auf große Kneipentour durch Köln und das Umland begibt, hat diesen Anspruch sehr wohl. Eine Gruppe von 14 Leuten, von manchen als „Sado-Maso-Trüppchen“ bezeichnet, ist auch in diesem Jahr ins Dickicht des kölschen Liedguts eingetaucht. Die Jury hat sich durch über 350 neue Nummern gearbeitet, um die 20 besten für die „Loss mer singe“-Kneipentour zu finden (siehe unten). Unser Autor hat sich der Aufgabe ebenfalls gestellt.
Nanananana und „döpdöp dödö dödödöpdöp“
In der Liste der Neuerscheinungen treffen hochprofessionelle Produktionen auf scheppernde Amateur-Aufnahmen. Berufsmusiker treffen auf Hobby-Karnevalisten, etablierte Künstler mit jahrzehntelanger Bühnen-Erfahrung treffen auf die Hoffnung, mit einem Hit irgendwann den Durchbruch zu schaffen. Und natürlich ist auch zwischen diesen Extremen viel Raum. So tummeln sich neben Kasalla, Bläck Fööss, Cat Ballou und Brings in der Liste auch Interpreten wie Doktor Dralle, Don de Cologne, Fetz, Knüllköbes, La Mätta oder Karnevallica.
Auf der Suche nach dem nächsten Ohrwurm setzen auch in diesem Jahr viele Bands auf einfache, aber ebenso bewährte Mechanismen. Altreucher probieren es im Refrain mit „wohoho“, Chanterella mit „nanananananana“ Torben Klein mit „döpdöp dödö dödödöpdöp“, Jedöns mit „dududu“ und „dadada“. Der wohl beste Song mit dieser Herangehensweise: „En kölsches Leed“ von Stadtrand: „dat da da dat da da da da da da dat…“
Stark repräsentiert: der Nubbel
Thematisch lassen sich nur schwer Trends erkennen. Ein überraschend stark repräsentierter Protagonist ist in diesem Jahr der Nubbel: Bei gleich fünf Bands ist der Sündenbock des Karnevals Teil des Titels: „Dä Nubbel“ (Aach un Kraach), „En klein Sünd (Et Nubbelleed)“ (Dräcksäck), „Dem Nubbel singe Deckel“ (Jedöns), „Bes der Nubbel brennt“ (Pimock) und „Dä Nubbel“ (Amago). Auch die Bläck Fööss rücken den Nubbel in „Schweije Kann Hä jot“ in den Fokus.
Die ausgelutschten Dom-, Rhing-, und Sunnesching-Lieder halten sich in überraschend engen Grenzen. Titel wie „Dat es Kölle“, „Dat nächste Kölsch“, „Rut und Wieß“, „Kölsch Herz“, „Fasteleer“, „3 mol Kölle“ gibt es natürlich trotzdem in vielfacher Ausführung. Den kreativsten Titel über den Rhein liefert in diesem Jahr die auch auf Kölner Bühnen präsente Düsseldorfer Rhythmussportgruppe: „Rheinfeiern“.
Ansonsten ist die thematische Vielfalt ziemlich breit und durchaus kreativ. Kappes & Co rücken in „Kölsche Intellijenz“ das aktuelle KI-Thema in den Fokus, Max Biermann singt in „Laslandesliga“ über Fehleinkäufe des 1. FC Köln, Sänger Marcel Wirtz thematisiert in „Bacio, Bützje, Beso“ die kölsch-spanisch-italienische Völkerverständigung.
Lieder übers Grillen und das Glück des Furzens
Besonders spannend wird es textlich bei den akustischen Formationen, die sich zum Teil auch der klassischen Krätzchen-Kunst verschrieben haben. Höösch liefert mit „Et ärme Dier“ ein schwungvolles Lied übers Grillen. Die Henkelmännchen schicken eine Abhandlung über die Suche nach einem Badezimmer-Fußboden („Lila Laminat“) ins Rennen, Die 3 Futzis philosophieren in „Futzjlöcklich“ über das Glück des Furzens: „Nur wer su richtig eine fleeje loße kann, der es em Levve jlöcklich dran.“
Interessant: Ein Musiker ist in diesem Jahr gleich in vier verschiedenen Konstellationen und in allen Fällen mit einem ernsthaften Kandidaten für die Top-20 vertreten. Auch mit 98 Jahren ist Ludwig Sebus offensichtlich immer noch äußerst gefragt. Mit Kasalla nahm er den aussichtsreichen Gute-Laune-Song „Wenn ich ne Engel bin“ auf, mit Bömmel Lückerath „Et Seilbahnleed“, das es immerhin in die Vorauswahl schaffte. Auch der jungen Band Aluis („Tradition“) leiht er seine Stimme. Gemeinsam mit Jörg P. Weber, Thomas Cüpper und anderen kölschen Musikern veröffentlichte er bereits Ende der vergangenen Session das Lied „Et gilt et Brauchtum zo bewohre“.
Kölsche Musik: Rap, Chanson und Elektrojeck
Auch wenn der Großteil der Bands (insbesondere die jüngeren Künstler) mittlerweile auf bewehrt poppige Töne setzt, ist die Genre-Bandbreite auch in dieser Session groß. Druckluft und Swinging Funfares vertreten die Brass-Musik, das Duo Toi et moi setzt in „Carneval de Cologne“ auf französischen Chanson, ein weiteres Duo, Trööt un Flitsch, beschränkt sich auf unterhaltsame Weise auf genau das, was der Name schon sagt: Tuba und Mandoline.
Domhätzje Nadine bedient mit „Senorita“ die Schlager-Ecke, Marita Köllner hat mit „O Susanna – Wo ist das rote Pferd“ die Ballermann-Zielgruppe im Visier, die Boore probieren es mit einer funkigen Nummer: „Altstadt Funk“. Marcel Hartmann, alias Rudbaat kreiert mit Elektrojeck gleich ein ganz neues Genre, ein Shanty á la Santiano kommt mit „Leinen los“ von Pütz und Band, Hans Danz steuert mit „Vitamin K“ einen launigen Rap-Song bei.
Um wieder auf den Otto-Normal-Kölschen zurückzukommen: Die meisten der Lieder, die im vergangenen Jahr erschienen sind, werden dessen Ohren wohl nie erreichen. Wer offen ist für Neues, dem sei der Blick über den Tellerrand der kölschen Musik wärmstens empfohlen. Wer sich durch das Dickicht kämpft, kann auch abseits der bewährten Bands viele versteckte Perlen finden.
Der Auswahlprozess: große Verantwortung für das Team von „Loss mer singe“
14 Leute aus dem „Loss mer singe“-Team haben sich durch alles gehört, was die kölsche Musikszene produziert hat. Infrage kommen alle Lieder auf Kölsch oder Lieder, die sich auf Köln beziehen. Hochdeutsche Texte sind dabei kein Ausschlusskriterium. Die Auswahl soll so objektiv wie möglich erfolgen, „gesucht werden gemeinschaftsfördernde Schnittmengenlieder“, sagt der Erfinder der Mitsing-Initiative, Georg Hinz. Die Fragen, die sich die Tester stellen: Was könnte die Leute beim Feiern ansprechen, begeistern oder bereichern?
Eine Rolle spielen auch der Status, die Popularität und die Präsenz einer Band oder eines Musikers im kölschen Brauchtum und im Kölner Karneval. „Wenn wir eine bewährte Band nicht berücksichtigen, hat das immer auch eine öffentlich wahrgenommene Bedeutung und schlägt unter Umständen Wellen“, erklärt Hinz. Darüber hinaus sei es der Auftrag der Mitsing-Initiative, besondere Lieder und versteckte Perlen von unbekannteren Interpreten zu identifizieren.
Vorab-Test in drei Kneipen
Nicht alle der über 350 Titel kommen ernsthaft für die Endauswahl infrage. Da jede Band, jede Musikerin und jeder Musiker am Ende nur maximal einmal vertreten sein wird, fallen die meisten Titel eines Albums weg. In diesem Jahr haben unter anderem die Bands Eldorado, Scharmöör und Stadtrand passable Alben veröffentlicht.
Bereits lange vor dem Elften Elften hörte sich die Arbeitsgruppe von „Loss mer singe“ durch das neue Liedgut. Anfang Dezember testete das Team in drei Kneipen eine Vorauswahl von 45 Titeln, in zwei Lokalen fand der sogenannte Leeder-Check erstmals öffentlich statt. Aus den Erkenntnissen der Abende entstand die abschließende Auswahl für die Kneipentour von 20 Liedern. Zu den Favoriten dürften in dieser Session unter anderem Titelverteidiger Kasalla, Miljö und Brings gehören.
Die „Loss mer singe“-Kneipentour beginnt am Mittwoch, 3. Januar traditionell im Lapidarium am Eigelstein. Genau einen Monat lang folgen fast täglich mehrere Veranstaltungen in Kneipen und Bars in Köln und im Umland. Für viele Einsing-Termine sind die kostenlosen Tickets bereits vergeben. Einige Kneipen vergeben die Einlasskarten am Veranstaltungstag. Alle Informationen gibt es online.www.lossmersinge.de