Kölscher Kaviar, Wurstpraline, Kamelle im Darm: Drei Begriffe für eine kölsche Liebe, die durch den Magen geht - und ohne die Karneval eigentlich nicht funktionieren kann.
Unverzichtbar im Kölner KarnevalDarum ist die Flönz kölsches Superfood
Achtung! Triggerwarnung! In der nun folgenden Geschichte wird es blutig. Sehr blutig. Infolgedessen können wir nicht ausschließen, dass es bei den Leserinnen und Lesern zu Reaktionen kommt wie: reflexartiger Speichelfluss. Auch ein gesteigertes Verlangen nach Senf und Zwiebeln ist möglich. Ferner kann es zu unkontrollierten Ausrufen kommen wie: „Herr Präsident …“ Vermehrt treten diese Symptome in regionalen und jahreszeitlichen Zusammenhängen auf. Darum möchten wir Personen, die sich als „anfällig“ betrachten, bitten, unbedingt weiter zu lesen. Es geht nämlich um: de Woosch. Genauer gesagt: de Bloodwoosch. Noch genauer: de Flönz. Eben die Wurst, in die der traditionsbewusste Kölner sein ganzes Herzblut fließen lässt. Natürlich nur bildlich gesprochen.
Im Kölner Norden kommt zusammen, was zusammen gehört
Wenn es um die Flönz geht, kommt hoch im Kölner Norden zusammen, was zusammen gehört. Dort befindet sich der Sitz des Wurst- und Fleischunternehmens GS-Schmitz. Eine Wurstlänge entfernt von den Ford-Werken. Die geschäftsführende Gesellschafterin Astrid Schmitz gesteht es lachend: „Ja, die Kombination aus Köln, Schmitz und Flönz ist ein Türöffner.“ Wobei, ihr Unternehmen auf die kölscheste aller kölschen Würste zu verknappen wäre eine unzulässige Zuspitzung. Der Betrieb mit rund 180 Mitarbeitern stellt alles her, was auf ein kölsches Buffet gehört: Leberwurst, Fleischwurst, Schinken, Zwiebelmett, Mettenden …, um nur mal einen schnellen Blick auf die Produktpalette zu werfen. Aber in diesen Tagen, in denen die Kölnerinnen und Kölner ein schmackhaftes Bindemittel für größere Mengen Kölsch im Magen suchen, liegt der Fokus von Astrid Schmitz und ihren Mitarbeitern verstärkt auf der Bloodwoosch.
„Zum Karneval steigt die Produktion von Flönz um rund 50 Prozent an“, sagt die Geschäftsführerin. Der Arbeitstag von Astrid Schmitz beginnt mit einem liebgewonnenen Ritual. Auf ihrem Schreibtisch befinden sich zwei Ringe bester Flönz aus eigner Produktion. Qualitätskontrolle. „Oh ja, ich mag sie immer noch gern“, sagt die Geschäftsfrau und gönnt sich sogleich ein Scheibchen. Genau so, wie sie die Flönz am liebsten mag: Pur. Dabei musste die Liebe zwischen ihr und „de Woosch“ erst wachsen. 1911 nahm das Familienunternehmen Schmitz seinen Anfang. Der Großvater eröffnete in Heinsberg eine Metzgerei. Der Betrieb wurde von zweien der zehn Geschwister weiter geführt. Einer davon war der Vater von Astrid Schmitz. Ein Erfolgsrezept: Ein guter Draht zum Einzelhandel. In den 1990er Jahren ergab sich die Möglichkeit, einen Betrieb in Köln zu übernehmen. GS-Schmitz bekam seinen Stammsitz in der Domstadt. „Ich habe hier schnell gemerkt, wie stolz die Kölner auf ihre Bloodwoosch sind“, berichtet Astrid Schmitz. „Da habe ich mich intensiver mit diesem Produkt beschäftigt, es lieben gelernt.“
Ist Blutwurst gleich Flönz?
Bloodwoosch, Flönz – ja was denn jetzt? Gibt es da überhaupt einen Unterschied? Eine Frage, für die es eigentlich einen Hieb mit der Prinzenpritsche in den Nacken geben müsste. Blutwurst darf sich nämlich jede hergelaufene Wurst mit Blut nennen. Flönz hingegen ist ein geografisch geschützter Begriff. Grob gesagt: Flönz darf nur drauf stehen, wenn die Wurst in einem Gebiet von Ratingen bis Bonn und von Frechen bis Bergisch Gladbach produziert wurde. Und mittendrin in der Flönz-Karte liegt fett Köln. Wie das Speckstück in der Flönz. Dort spielt die Flönz in einer Liga mit Kölsch und 4711, europaweit spielt sie in einer Liga mit Parmesan und Champagner.
Apropos Fettstück. Die Herkunft ist nicht alles, was eine echte Flönz ausmacht. Einige Zutaten sind Vorschrift: frische Schweineschwarte, Schweinefleisch – und ja, das Schweineblut. „Flönz muss eine sichtbare Speckeinlage enthalten. Diese beträgt maximal 25 bis 30 Prozent vom Gewicht. Die Speckstücke haben einen Durchmesser zwischen 5 und 10 Millimeter. Der Fettanteil der Flönz beträgt zwischen 25 und 30 Prozent“, so steht es in der Vorschrift. Gewürzextrakte oder Aromen sind tabu.
Ein mehr als 100 Jahre altes Rezept
Die Vorschrift lässt genug Spielraum für traditionelle Rezepturen. Das Rezept, wonach Astrid Schmitz ihre Flönz herstellen lässt, ist mehr als 100 Jahre alt. „Nein, in einem Safe lagern wir es nicht, aber es liegt gut geschützt auf einer Computerfestplatte“, sagt die Geschäftsführerin. So viel verrät sie: „Es kommt Majoran und Thymian hinein.“ Der Rest ist Handwerk. Acht Stunden braucht es bis zum fertigen Wurstkranz. Unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten ginge es wohl auch schneller. „Aber ein gutes Produkt braucht Zeit“, sagt Astrid Schmitz. Am Anfang steht das Schlachten und Zerlegen. Astrid Schmitz ist stolz darauf, dass in ihrem Betrieb Schweinehälften verarbeitet werden. Die Verwertungsrate bei Flönz und auch den anderen kölschen Klassikern ist hoch. Nur den Schinken picken? Nicht bei Schmitz.
Im Kutter werden die Zutaten zerkleinert und vermengt. Die Masse wird in Rinderkranzdärmen verfüllt. Die Kränze kommen für den Kochvorgang in einen Kessel. Dann werden sie auf Stöcke gezogen und über Buchenholz geräuchert. 300-Gramm- und 400-Gramm-Ringe entstehen so. Verpackt vor Ort. Um 2 Uhr morgens gehen bei GS-Schmitz im Kölner Norden die Lichter an. Um 24 Uhr gehen sie wieder aus. Dazwischen wird in drei Schichten viel Handarbeit geleistet. Rund zwei Drittel der 180 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind Metzger. Und worauf Astrid Schmitz besonders stolz ist: Erst kürzlich konnte sie wichtige Positionen in ihrem Betrieb mit eigenen Kräften um die 30 Jahre besetzten. Ob aus Deutschland, Syrien, der Türkei: beruflich groß geworden sind sie bei GS-Schmitz. „Frisches Blut für die Blutwurst, sozusagen“, lacht die Chefin.
Vegane Flönz? „Kann ich mir nicht vorstellen“
Astrid Schmitz weiß um die Vorteile, ein solches Traditionsprodukt herzustellen. Der Türöffner-Effekt eben. Sie weiß aber auch darum, dass einem solchen Produkt schnell mal das Etikett „altbacken“ angeheftet wird. Also will sie einen Spagat wagen: Zwischen Tradition und Innovation. Die Zukunft ist – wenn man der Werbung glaubt – vegan. Arbeitet GS-Schmitz an einer „veganen Flönz“? Die Geschäftsführerin winkt ab: „So etwas kann ich mir nicht vorstellen.“ Zugegeben, die Branche verändere sich. Aber für Astrid Schmitz deckt sich die Präsenz veganer Produkte in Werbung und Supermarktregalen noch nicht mit den Umsatzzahlen. „Vegane Produkte haben einen Marktanteil von drei bis fünf Prozent“, sagt sie.
Kölsches Superfood
Und warum das Rad neu erfinden, habe die Flönz doch von Hause aus das Zeug zum kölschen Superfood: Sie enthält Proteine, Kalium, Magnesium, Kalzium, Zink und Eisen. Man muss halt ein bisschen großzügig über den Fettanteil hinwegschauen. Aber auch der kann Vorteile haben. „Zurzeit arbeite ich an einem Snack aus Flönz“, sagt die Geschäftsführerin. Es soll etwas zum Knabbern werden. Mehr will sie nicht verraten. Die Konkurrenz hat wache Augen und große Ohren.
Doch für Experimente ist gerade sowieso keine Zeit. Der Karneval ist da. Jetzt braucht es Flönz-Orden, Flönz-Scheiben in handlichen Verpackungen, zum Herunterreichen vom Festwagen. Und die ganzen anderen Wurstklassiker, die an den Tollen Tagen Grundlage fürs Durchfeiern sind. Und selbst feiern, soll auch nicht zu kurz kommen. „Ich stehe der Nippesser Bürgerwehr nah“, sagt Astrid Schmitz. Den sogenannten Appelsinenfunken. Bei aller Liebe zur Wurst – hin und wieder braucht es ja auch ein paar „Vitamine“.