Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Erfolgreich umgestaltetBibliothek in Köln-Kalk ist zum Wohlfühlort geworden

Lesezeit 6 Minuten
Leiterin Hannelore Vogt in der 2018 umgestalteten Stadtteilbibliothek Kalk.

Leiterin Hannelore Vogt in der 2018 umgestalteten Stadtteilbibliothek Kalk.

Der Stadtrat entscheidet über die Kernsanierung der Kölner Zentralbibliothek am Neumarkt. Die Zweigstelle in Kalk wurde bereits umgestaltet.

Mattis und Enrico (beide 12) nehmen ihren Auftrag ernst. „Da sieht man ja kein Blut, das geht schon ab acht“, sagt Mattis. Weniger entspannt sieht Enrico (beide Namen geändert) das animierte Spiel. „Ich finde das zu krass, das sollte erst   ab zwölf Jahren erlaubt sein.“ Die beiden sind Spieletester im Projekt der Landesanstalt für Medien; fünf Schüler sitzen im ersten Stock der Stadtteilbibliothek Kalk vor dem Flachbildschirm, alle diskutieren mit.

Ganz ruhig ist es im Innenhof der Bibliothek. Hier sitzen Jugendliche an Tischen zwischen sechs Olivenbäumchen. Sie lernen für eine Klausur und helfen sich gegenseitig. „Weil das gut ist, wenn man direkt jemand fragen kann“, sagt Gurtej (18). „Unsere Noten sind besser geworden dadurch“, ist sich Vincenzo (16) sicher.

Gelesen wird auch in der Bücherei, die mitten im Veedel an der Kalker Hauptstraße liegt. Im Kinderbereich hat es sich ein Vater mit seinem Sohn auf einem fünf Meter langen Riesenhasen gemütlich gemacht, auch rumliegen oder krabbeln sind hier erlaubt. Er liest aus einem Bilderbuch vor. Ein paar Meter weiter ruft eine Seniorin Texte am Bildschirm auf. Einmal in der Woche kommt sie aus Mülheim her, „weil die Atmosphäre so gut ist. Hier hat sich jemand richtig Gedanken gemacht“.

Kalk ist die meistbesuchte Zweigestelle

Das finden offenkundig viele Kölnerinnen und Kölner. Im Jahr 2022 war Kalk die meistbesuchte Zweigstelle der Stadt. Rund 500 Menschen kommen jeden Tag in die 2018 als „Dritter Ort“ ganz neu gestaltete Bibliothek – und viele bleiben lange. Ein „Dritter Ort“ – neben   Wohnung und Arbeitsplatz – ist für Menschen jeden Alters gedacht, frei zugänglich und wohnortnah. Hier können sie lernen, lesen, Neues ausprobieren, spielen und sich treffen; anders als im Café muss hier nichts konsumiert werden.

Ein Kind liegt in der Bibliothek in Kalk auf einem großen Sitzsack.

In der Kalker Bibliothek dürfen Kinder es sich gemütlich machen.

Morgen entscheidet der Stadtrat über die Sanierung der Zentralbibliothek am Neumarkt. Ihre Leiterin Hannelore Vogt hat mit dem Architekten Aat Vos bewusst Kalk als erste Zweigstelle der Stadtbibliothek umgestaltet und den Schwerpunkt auf Kinder und Jugendliche gelegt. Unter-30-Jährige stellen das Gros der Nutzenden, doch bequeme Sessel, Teppiche, Regale mit Durchblick und ein ausgeklügeltes Lichtkonzept machen das Erdgeschoss zu einem Wohlfühlort für alle Generationen. Bodentiefe Fenster zu Straße und Innenhof lassen Tageslicht herein und Einblicke von außen zu.

„Dass es hier gut ist, hat sich rumgesprochen“, sagt Bodo Pohla, Leiter der Kalker Bibliothek. „Die Jüngeren sehen unseren Riesenhasen und wollen rein. Kinder und Jugendliche finden die drei Meter große interaktive   Wand im ersten Stock spannend.“ Was sie auf dem iPad zeichnen, erscheint riesig auf dieser Fläche, ebenso Fotos und kleine Videos, die sie einfügen. „Die eigene Arbeit groß auf der Wand zu sehen, gibt Selbstvertrauen.“ Und regt vielleicht auch dazu an, sich mit den MINT-Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik zu beschäftigen, für die es hier schwerpunktmäßig Bücher, digitale Medien und   Experimentierkästen gibt. „Das kann für Kinder, die zu Hause nicht damit in Berührung kommen, eine große Chance sein“, sagt Pohla.

Kostenloses WLAN

Neben ihm ist heute Spiderman kopfüber an die Wand projiziert. Auf Plateaus und in Sitznischen aus Holz wird gelernt, eine Gruppe diskutiert. „Zu Hause mit Freunden lernen, dafür haben viele keinen Platz“, sagt ein Berufsschüler. Er nutzt das kostenlose WLAN, es gibt Leih-iPads zum Arbeiten. „Viele Jugendliche schreiben mit unserem Word-Programm ihre Bewerbungen“, sagt Bibliothekarin Lisa Luckan. „Wir schauen drüber, wenn sie uns fragen.“

Auch die nicht-schulische Lebenswelt von jungen Erwachsenen stehe im Fokus. „Wir machen etwa Workshops dazu, wie man Fake News erkennt oder   3D-Drucker bedient.“

Bürgerbeteiligung verwirklichen, Informationskompetenz vermitteln, Demokratiebildung fördern, das sind wesentliche Anliegen von Bibliotheken.
Hannelore Vogt, Leiterin Stadtbibliothek Köln

Wer Mitglied ist, kann die Bibliothek per Ausweis auch nutzen, wenn das Personal frei hat – die Öffnungszeit hat sich dadurch verdoppelt (siehe Infotext unten). „Wir machen das seit viereinhalb Jahren so, und es ist nichts gestohlen oder zerstört worden“, sagt Hannelore Vogt. „Das freut mich riesig. Und zeigt, dass die Menschen den Ort annehmen und schätzen.“ So wie ein Vater, der  spontan geholfen habe, sagt Vogt und lacht. „Der hat unseren fleckig gewordenen Riesenhasen einfach mit einem Hochdruckreiniger gesäubert.“

Auf die Kooperation der Kalker Kinder setzt Vogt beim Hochbeet, das im Innenhof entstehen wird. Eine Kalker Initiative soll es bauen, eine Klasse wird es pflegen und ihren „Dritten Ort“ so mitgestalten.

Der kann von Menschen jeden Alters in der „Offenen Stunde“ auch genutzt werden, um etwas zu vermitteln, was sie können. „Es gibt so viel Wissen bei den Bürgerinnen und Bürgern dieser Stadt. Wir bieten ihnen die Möglichkeiten, dieses Wissen weiterzugeben“, sagt Vogt. „Denn Bürgerbeteiligung verwirklichen, Informationskompetenz vermitteln, Demokratiebildung fördern, das sind wesentliche Anliegen von Bibliotheken.“


Konzept für Zentralbibliothek am Neumarkt steht

70 Prozent der bis 18-Jährigen im Bezirk Kalk haben einen Migrationshintergrund. Im Stadtteil Kalk ist ihr Anteil noch deutlich höher. Die Arbeitslosen- und Kriminalitätsraten sind hoch.

Beim Weltkongress der Bibliotheken, der im August in Rotterdam stattfindet, wird Aat Vos, dessen Spezialgebiet die Neugestaltung von Bibliotheken ist, mit Hannelore Vogt die Kalker Zweigstelle und das Konzept für die Zentralbibliothek vorstellen.

Die neue Gestaltung sieht eine Etage für Familien ebenso vor wie eine, auf der völliges Silentium herrscht, eine weitere für Wissenschaft und digitale Medien sowie eine für Musik und Kunst. Im Keller werden die Bibliothek Judaica und das Zimmer von Heinrich Böll direkt zugänglich, die Lernplätze werden auf über 1000 verdreifacht,   es wird   Cafés mit moderaten Preisen und eine Dachterrasse geben.

Der Stadtrat entscheidet am Dienstag, 16. Mai darüber, ob die Zentralbibliothek am Standort Neumarkt saniert wird. Der Förderverein der Bibliothek sammelt auf change.org online Unterschriften für diese Variante.

Mitgliedschaft: bis 21 Jahre kostenlos, ab 60 Jahre 15 Euro pro Jahr, regulär 30 Euro. Adresse: Kalker Hauptstraße 247, Öffnung mit Bibliotheksausweis: Montag bis Freitag 10 bis 19 Uhr; Zeiten mit Personal: Dienstag, Mittwoch 12 bis 18 Uhr, Donnerstag 11 bis 19 Uhr, Freitag 10 bis 18 Uhr, Samstag 10 bis 14 Uhr. (bos)