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Kölner Jobcenter„Strukturen nachhaltig zerstört“ - Massive Kürzungen bei Hilfen zur beruflichen  Reintegration

Lesezeit 5 Minuten
Zwei Männer arbeiten an einem Fahrradreifen

In der Radstation arbeiten Menschen, die dauerhaft Unterstützung benötigen.

Das Jobcenter Köln muss einschneidende Kürzungen umsetzen. Zum 1. Januar sollen sechs der zwölf Kölner Jugendbüros schließen. 310 Beratungsplätze fallen weg - nur ein Beispiel von vielen. 

Es ist eine Kürzung um 14 Prozent: Das Jobcenter Köln erwartet für das kommende Jahr Haushaltsmittel von nur rund 92,9 Millionen Euro. In diesem Jahr waren es noch 108,6 Millionen Euro. Angebote im Bereich der Arbeits- und Beschäftigtenförderung sowie der Projektförderung müssen im Vergleich zu 2023 deutlich reduziert werden. 

Betroffen ist auch das Feld der Berufsorientierung: Zum 1. Januar sollen sechs der zwölf Kölner Jugendbüros zur Arbeitsmarktorientierung junger Menschen geschlossen werden. Dazu zählt Jugendbüro der Caritas am Kölnberg in Meschenich, Angebote des Kolping-Bildungswerks in der Südstadt, der Altstadt und Westhoven, das Jugendbüro der Katholischen Jugendagentur Kalk sowie das Jugendbüro des Kellerladens in Nippes. Die Angebote der übrigen sechs Büros sollen um bis zu 70 Prozent gekürzt werden.

Es geht uns aber eigentlich noch viel mehr um die Jugendlichen, die jetzt auf der Strecke bleiben. Die Zahl geht in die Hunderte.
Theresia Dopke, Geschäftsführerin des Kellerladen e.V. in Nippes

„Wir konnten es am Anfang gar nicht glauben“, sagt Theresia Dopke, Geschäftsführerin des Kellerladen e.V. in Nippes. Seit 25 Jahren ist der Verein in dieser Arbeit tätig, vier Fachkräfte verlieren ihren Job. „Es geht uns aber eigentlich noch viel mehr um die Jugendlichen, die jetzt auf der Strecke bleiben“, so Dopke. „Die Zahl geht in die Hunderte.“ 

Die Jugendbüros, die aus Mitteln des Jobcenters finanziert werden, haben sich laut der Caritas besonders in den Kölner Brennpunkten zur Arbeitsmarktintegration junger, meist orientierungsloser Menschen aller Bildungsschichten etabliert. Zu täglichen Arbeit gehört ein individuelles Bewerbungscoaching, Unterstützung im Bewerbungsverfahren bis hin zu sozialer Stabilisierung in schwierigen Lebenslagen, zählt der Caritasverband auf.  

Bei den Jugendbüros zu kürzen, ist eine falsche und für uns nicht nachvollziehbare Entscheidung. Diese jungen Menschen sind die Fachkräfte von morgen, die wir alle so dringend brauchen.
Arno Moormann, Leiter der Jugendbüros des Kölner Caritasverbands

„Bei den Jugendbüros zu kürzen, ist eine falsche und für uns nicht nachvollziehbare Entscheidung. Diese jungen Menschen sind die Fachkräfte von morgen, die wir alle so dringend brauchen“, sagt auch Arno Moormann, Leiter der Jugendbüros des Kölner Caritasverbands. „Wir arbeiten ganzheitlich mit den Jugendlichen, das kann das Jobcenter nicht auffangen.“ Pro Monat werden aktuell rund 500 Jugendliche stadtweit und trägerübergreifend beraten und begleitet. „Mit den Kürzungen fallen 310 Teilnehmerplätze weg, das ist massiv“, so Moormann. Gerade am Kölnberg habe man über Jahre ein breites Netzwerk aufgebaut. Für die Träger sei dies zudem mit einem Stellenabbau von insgesamt 20 pädagogischen Fachkräften verbunden.

Nur noch halb so viele Angebote im Integrationsbereich

Die Kürzungen finden auf Bundesebene statt. Schon an Schätzwerten Ende August habe man ablesen können, dass es kritisch wird, sagt die Geschäftsführerin des Kölner Jobcenters, Martina Würker. Als Ende September aus Berlin aber deutlich weniger Haushaltsmittel für 2024 als im laufenden Jahr angekündigt wurden, sah sie sich gezwungen, den Rotstift anzusetzen. Zu dem gekürzten Eingliederungsbudget kommt auch, dass Mittel für die Verwaltung umgeschichtet werden müssen. Durch gestiegene Personal- und Mietkosten steigt diese Summe im kommenden Jahr von 19,3 Millionen auf 26,5 Millionen.

Die Folge: Nur noch knapp über die Hälfte aller Förderungen beruflicher Weiterbildungen sollen im kommenden Jahr bewilligt werden, auch im Integrationsbereich wird es nur noch halb so viele Angebote geben. Bei den Eingliederungszuschüssen soll nur noch knapp ein Drittel so viel ausgezahlt werden wie in diesem Jahr. Zum Integrationsbereich zählen auch die Jugendbüros, deren Zahl sich nun halbiert. Im Auftrag des Jobcenters betreiben bisher sechs verschiedene Träger die Jugendbüros in Köln.

Nicht nach persönlichen Kriterien entschieden

„Mir blutet selbst das Herz“, sagt Würker im Gespräch mit der Rundschau. Von den Jugendbüros brauche man nicht weniger, sondern eher mehr. „Wir haben in Köln viele junge Menschen, die diesen Anschluss brauchen.“ Man habe bei den Kürzungen nicht nach persönlichen Kriterien entschieden, sondern unter anderem nach der Erfüllung von Zielvereinbarungen - also der Aufnahme von Arbeit, Ausbildung oder Schule bei den unter 25-Jährigen -, sowie die Verteilung der Büros über die Stadt. Bestehen bleiben die Jugendbüros in Ehrenfeld, Chorweiler, Deutz, Mülheim, Porz und der Innenstadt.

Auch Andrea Redding, Vorstandssprecherin von In Via Köln, ist tief besorgt über die bevorstehenden Kürzungen: „Unsere Radstation am Hauptbahnhof und auch die Werkstatt Köln Süd sind soziale Beschäftigungsbetriebe. Hier arbeiten Menschen in Arbeitsgelegenheiten und im Kontext von §16i SGB II dauerhaft gefördert. Allein die Öffnungszeiten des Fahrradparkbereichs am Hauptbahnhof könnte man mit regulär Beschäftigten überhaupt nicht gewährleisten.“ Beide Instrumente würden bereits seit Jahren immer stärker eingeschränkt und sollten jetzt noch weiter gekürzt werden.

„Ich verstehe alle, die jetzt traurig oder wütend sind“, so Martina Würker. „Meine Hoffnung ist, dass sich in der nächsten Haushaltsrunde im Bundestag Ende des Monats noch etwas tut. Wir haben selbst alle Hebel in Bewegung gesetzt.“

Die bevorstehenden Kürzungen sind eine Katastrophe für den Bereich der Integration. Dadurch werden viele Menschen im Transferbezug einbetoniert, haben keine Chance mehr, in den normalen Arbeitsmarkt zu kommen.
Peter Krücker, Caritas-Vorstand

Die garvierenden Kürzungen waren auch Thema einer Aktuellen Stunde  im gestrigen Sozialausschuss. Deutliche Worte fand Caritas-Chef Peter Krücker. „Die bevorstehenden Kürzungen sind eine Katastrophe für den Bereich der Integration. Dadurch werden viele Menschen im  Transferbezug einbetoniert, haben keine Chance mehr, in den normalen Arbeitsmarkt zu kommen.“  Und: Durch die nachhaltige Zerstörung der Beschäftigungsstruktur im Bereich Wiedereingliederungshilfe in den Arbeitsmarkt würden auch viele Mitarbeitende der freien Träger arbeitslos. „Welches Signal senden wir in Richtung Beschäftigte, die im Sozialbereich arbeiten?“,  fragte sich auch Lena Teschlade (SPD). „Viele haben schon jetzt befristete Verträge, sind immer geblieben, weil sie sich dem Bereich und ihrer Arbeit verpflichtet fühlen.“

„Demnächst können nur noch die Hälfte der Maßnahmen zur beruflichen Weiterbildung stattfinden. Die berufliche Eingliederung schrumpft sogar auf ein Drittel“, kritisierte Jörg Detjen (Die Linke). Das werde sich auf die Integration von Langzeitarbeitslosen ebenso auswirken wie auf die von geflüchteten Menschen, „Und Integration, das passiert doch über  Arbeit“, so Katja Hoyer (FDP). Wie die Vorredner hofften auch die Vertreter von Volt, den Grünen und der CDU auf ein nachjustieren des Bundes. Mit kommunalen Mittel könne man die Kürzungen nur marginal ausgleichen, so der Tenor.

Mit dem „wohl größten Batzen, den die Stadt jemals investiert habe“, aber schon, meinte Paul Intveen, sachkundiger Einwohner im Sozialausschuss. Er bat die anwesenden Ratspolitiker, bei der Entscheidung über einen  Tunnelbau bei Ausbau der Ost-West-Achse die massiven Folgen der Kürzungen im Sozialbereich zu bedenken und eine Umschichtung in Erwägung zu ziehen. „Die Kosten dafür sind schon jetzt, ohne mögliche Kostensteigerungen, mit einer Milliarde Euro veranschlagt“, so Inteveen.