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Interview

Irene Franken
So schrieben und schreiben Frauen in Köln Geschichte

Lesezeit 6 Minuten
Irene Franken gründete den Frauengeschichtsverein.

Irene Franken gründete den Frauengeschichtsverein.

Im Interview erzählt die Historikerin und Gründerin des Frauengeschichtsvereins über Kölner Frauen.

Die Historikerin und Initiatorin des Kölner Frauengeschichtsvereins, Irene Franken, hat als Treffpunkt das Hotel „The Quest“ im Gereonsviertel, ein Übernachtungsangebot der sehr gehobenen Klasse, gewählt

Warum treffen wir uns ausgerechnet hier?

Weil dieses Gebäude von 1897 bis etwa 1930 die Stadtbibliothek und das Archiv der Stadt Köln war. Ursprünglich stand hier eine Bibliothek der Jesuiten, die aber1872 aus der Stadt vertrieben wurden. Später gab es hier 336.000 Bücher, einen Lesesaal und das Archiv schon mit den Quellen der Zunftfrauen und Hexenverfolgungen. Ein Ort, der mich als Historikerin bewegt. Auch, weil hier sehr beeindruckende Frauen gewirkt haben.

Welche denn?

Prof. Dr. Ermentrude von Ranke, die als Mädchen auf einer Jungenschule Abitur gemacht und sich in Köln 1924 als deutschlandweit erste Historikerin habilitiert hat. Von 1918 bis 1921 war sie Volontärin im Archiv. Leider starb sie bereits mit 38 Jahren bei der Geburt ihres zweiten Kindes. Dann die Bibliothekarin und Soziologin Dr. Hanna Meuter, die erste Kölner Frau, die ein Gymnasium geleitet hat. Sie hat eine Dissertation über Obdachlosigkeit geschrieben und dafür den renommierten Mevissen-Preis gewonnen. Auch sie wollte sich an der Kölner Uni habilitieren. Das wurde ihr verwehrt, gerade sei schon eine Frau habilitiert worden, zwei an einer Fakultät seien zu viel. Später haben die Nazis sie entlassen, weil sie Sozialdemokratin war.

War die Bibliothek Anfang des 20. Jahrhunderts überhaupt für alle Menschen zugänglich?

Ich denke ja. Aber es war keine Volksbibliothek, sondern eher eine akademische Einrichtung. Bibliotheken wurden nicht von allen genutzt, weil der Arbeitsalltag den meisten Menschen dazu kaum Zeit ließ. Das Archiv dagegen hatte ganz sicher Zugangsbeschränkungen, die bestanden ja noch bis vor gut 40 Jahren überall. Das erste Bürgerarchiv gab es meines Wissens in den 1980er Jahren in Bochum, und erst ab da hat sich die Öffnung der Archive langsam etabliert. Auch für das Stadtarchiv, damals an der Severinstraße, war es noch ungewohnt, dass wir ab 1985 bei Stadtrundgängen mit 30 Frauen kamen, um Dokumente über die Geschichte von Frauen einzusehen.

Das war unabdingbar ...

Das Archiv war enorm wichtig, um aufzeigen zu können: Es gab Frauen in der Geschichte. Denn über Jahrhunderte hinweg wurden Frauen nicht erwähnt oder ihr Wirken nicht zutreffend wiedergegeben. Was noch in der Renaissance anders war; da etwa gab es viele Texte über Frauen – die Geschichtsschreibung verläuft hier in Wellenbewegungen.

Frauengeschichte repräsentiert auch das Gereonsviertel ...

… hier gab es ein kirchliches Mädchenasyl, dessen Kapelle erhalten ist, sie steht neben dem Hotel. Direkt dahinter beginnt eine „gated community“, das Gerling Quartier. Die Reliefs an den Fassaden und die Brunnen-Skulpturen sind von Arno Breker, der ein Star-Architekt der Nazis war. Er stand auf der „Gottbegnadeten-Liste“ des von Männern repräsentierten Regimes, das auch die Rolle der Frau definiert hat.

Die männliche Sicht auf Geschichte kann Tatsachen verfälschen. Etwa, wenn es ein Seidmachergässchen gibt, obwohl dieses Gewerk Frauen vorbehalten war.

Deshalb ist 1987 die Initiative unseres Frauengeschichtsvereins, die Gasse umzubenennen, vom Stadtarchiv und dem Beschwerdeausschuss sofort anerkannt worden. Interessant ist dabei, dass schon im Mittelalter „gegendert“ wurde. In Urkunden wurden die Menschen mit „Burger und Burgersse“ angesprochen. Das ist keine Erfindung der Jetztzeit.

In Sachen weibliche Straßennamen ist in Köln auch jetzt noch viel zu tun ...

Hier sind wir auf die Bezirkspolitiker und -politikerinnen angewiesen, um den Ratsbeschluss zur Benennung neuer Straßen und Plätze überwiegend nach Frauen und non-binären Menschen umzusetzen — noch sind nur elf Prozent nicht nach Männern benannt. In manchen Bezirken ist es sehr mühsam. In anderen wie etwa in Nippes oder der Innenstadt geht das sehr gut, hier fragen die Verantwortlichen uns sogar nach Vorschlägen.

Was schätzen Sie noch an Köln?

Das, was alle schätzen. Dass es ganz einfach ist, mit Menschen in Kontakt zu kommen. Dass in Köln nicht immer alles perfekt sein muss, im guten Sinne. (lacht) Und wir haben viele Vernetzungen, etwa der Archivarinnen und Archivare, die gibt es auch nicht in jeder Stadt.

Was könnte Köln besser machen?

In der Weimarer Republik haben sich alle Frauen im Rat bis auf die KPD und die NSDAP parteiübergreifend abgestimmt. Auch 1988 haben alle Frauen zusammen gestimmt und damit die Zahl der Frauen im Figurenprogramm am Rathaus-Turm von fünf auf 18 von 124 erhöht. Danach ist diese Frauensolidarität auseinandergebrochen. Ich wünsche mir, dass sich die Frauen aller demokratischen Parteien gemeinsam für Frauenprojekte einsetzen. Als Gepa Maibaum Bürgermeisterin war, gab es einen Runden Tisch der Frauen. Gerade jetzt, wo so vieles auseinanderbricht, so eine Energie von Frauen-Solidarität in der Politik wieder zu haben, würde mir sehr gefallen.

Im Rat gibt es bis heute weniger Frauen als Männer … und als Sie 2017 zur Alternativen Ehrenbürgerin gewählt wurden, saßen 20 Männer und 4 Frauen im Bürgerkomitee. Dazu schrieb Jürgen Becker: Wenn die Kölner am Chauvinismus kranken, hilft nur eine: Irene Franken!

Heute sind da mehr Frauen drin! Der Preis freut mich sehr, aber ich wurde auch für Aspekte geehrt, die ich noch lernen muss.

Ein Beispiel?

Ich bin nicht sehr mutig. Dafür aber ausdauernd. Und ich liebe es, von einer Tabula rasa auszugehen und Dinge herauszufinden, Verbindungslinien zu ziehen. Und selbst auf dem Gerling Areal auf eine Frau wie Pauline Christmann zu stoßen, die immer eine Kordel dabei hatte. Der Grund: Erst ab 1902 durften Frauen an politischen Versammlungen teilnehmen, und auch nur, wenn es einen abgetrennten Bereich für sie gab. Den gab es fast nie. Christmann hat ein paar Stühle mit der Kordel verbunden — und war dabei. Sie hat eine Rednerinnenschule gegründet, Weltreisen gemacht und ihr Erbe dem Verein Frauenstudium vermacht.

Solches Wissen auszugraben macht Ihnen eine Riesenfreude?

Ja – und ich möchte, dass es dann auch öffentlich zugänglich ist. Deshalb habe ich vor zehn Jahren ein Frauen-Geschichts-Wiki ins Leben gerufen. Denn im bestehenden Wikipedia wurden damals Artikel über Frauen immer wieder gelöscht.

Wie das?

Über das Kriterium „Irrelevanz“ kann das beantragt werden. Eine Freundin hat über die Rosa Listen gegen Schwule geschrieben; das wurde mehrfach verändert. Ein Text über die lesbische Sängerin Carolina Brauckmann wurde gelöscht. Aber in Köln gibt es eine tolle Wiki-Gruppe, die unsere Texte auch als Quelle verwendet, wir unterstützen uns. Gibt es historisches Wissen über „einfache“ Frauen? Über sie gibt es nur ganz wenig. Von Anna Schneider etwa, nach der ein Abschnitt im Rheinauhafen benannt wurde, haben wir nicht einmal ein Bild. Wir wissen, dass sie den ersten sozialistischen Frauenverein gegründet hat, der tolle Veranstaltungen gemacht hat, die oft von der Polizei geschlossen wurden. Doch davon wissen wir eben fast nur durch die Polizeiakten.

Sie teilen Ihr Wissen dagegen auf frei zugängliche Weise …

Wenn möglich ja. Ich habe zum Beispiel eine App über Kölner Jüdinnen gemacht: „Orte jüdischen Frauenlebens in Köln“, gratis aufs Handy downzuloaden. Sie zeigt diese Orte auf, dokumentiert 28 Biografien und das Wirken von zwei jüdischen Frauenvereinen.

Das hat einen aktuellen Bezug.

Ja, leider. Ich finde es unglaublich toll, dass es in Köln die Initiative „Palestinians and Jews for Peace“ gibt, die von zwei Frauen gegründet wurde. Ich möchte, dass Menschen miteinander kommunizieren. Denn das ist der einzige Weg, auf dem Konflikte gelöst werden können.