Interview zur evangelischen Kirche„So viele Austritte hatten wir noch nie in Köln“
- Die Krise in der katholischen Kirche wirkt sich möglicherweise auch auf die evangelische Kirche aus.
- Darüber sprach Ingo Schmitz mit dem Kölner Stadtsuperintendenten Bernhard Seiger.
Köln – Über 19 000 Kölner Christen sind 2021 aus der Kirche ausgetreten. Wissen Sie, wie groß der Anteil der evangelischen Christen ist?
Nach unseren Zahlen haben wir insgesamt 19 209 Austritte und davon sind 4867 evangelische Christinnen und Christen aus ihrer Kirche ausgetreten. Das ist auch für evangelische Verhältnisse eine erschreckend hohe Zahl. So viele Austritte hatten wir noch nie in Köln.
Wie haben sich die Austritte in ihrer Kirche über die Jahre entwickelt?
In 2020 waren die Amtsgerichte über längere Phasen geschlossen, so dass in der Zeit keine Austritte erklärt werden konnten. Setzen wir das ins Mittel mit den sehr hohen Zahlen von 2021, dann haben wir eine annähernd gleichmäßige Entwicklung über die Jahre hinweg. Es gab also im vergangenen Jahr Nachholeffekte. Setzen wir den Wert in Relation, zeigt sich: Auf auf katholischer Seite hat sich die Zahl der Austritte verdreifacht und bei uns verdoppelt. Beide Kirchen haben also erheblich Mitglieder verloren, aber es gibt darüber hinaus einen katholischen Effekt.
Der sich aber anscheinend auch auf evangelischer Seite ausgewirkt.
Ja, wir haben an den Entwicklungen in Köln gemeinsam Anteil. Beim Umgang mit dem Missbrauchsgutachten für das Bistum Köln und den Auseinandersetzungen um Kardinal Woelki sind wir wohl in einer Haftungsgemeinschaft. Es scheint in vielen Punkten nicht mehr differenziert zu werden. Wohl besonders von Menschen, die unseren Kirchen nicht sehr nah stehen. Dieser Entwicklung stehen wir tatsächlich ein Stück weit ohnmächtig gegenüber. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass wir unabhängig von den innerkatholischen Probleme an Bindungskraft verloren haben.
Es gibt unter anderem ein Ringen in der katholischen Kirche um Weiheämter für Frauen und die Segnung von gleichgeschlechtlichen Beziehungen. In der evangelischen Landeskirche sind Pfarrerinnen und Segnungen homosexueller Paaren längst selbstverständlich. Warum kriegen sie diese Unterschiede nicht ausreichend transportiert?
Es ist immer die Frage, wie formuliere ich diesen Sachverhalt? Ich möchte mich an dieser Stelle nicht zulasten der katholischen Geschwister profilieren. Das wäre stillos. Bei uns ist der Anteil der Frauen im Theologiestudium höher als der der Männer, in unseren Presbyterien sitzen überwiegend Frauen. Frauen können in unserer Kirche alle Ämter erreichen. Laien haben so viel Einfluss wie die Theologen. Jeder der hinguckt, kann das sehen. Leitungspersonen werden bei uns von Synoden gewählt. Das muss für sich sprechen.
Der Köln-Effekt
Der evangelische Kirchenkreis Köln und Region umfasst auch den Rhein-Erft-Kreis und den Rheinisch Bergischen Kreis.
40 Prozent mehr Austritte mussten die evangelischen Gemeinden in Köln in 2021 im Vergleich zum Vorpandemiejahr 2019 verzeichnen. In den selben Vergleichjahren traten im Rhein-Erft-Kreis lediglich 1,5 Prozent mehr evangelische Christen aus ihrer Kirche aus. Im Rheinisch Bergischen Kreis beträgt der Sprung der Austritte in 2021 im Vergleich zum Jahr 2019 rund 20 Prozent. Stadtsuperintendent Seiger sieht darin einen Köln-Effekt der Kirchenkrise.
Sie sprachen die Auseinandersetzungen um den Kölner Erzbischof Kardinal Woelki an. Zu Aschermittwoch kommt er zurück, aber die Fronten scheinen mittlerweile unauflösbar verhärtet. Ließe sich das Problem auf die evangelische Seite übertragen, wie würde es dort wohl gelöst?
Bei uns sind beispielsweise Amtszeiten für Personen in Leitungsfunktionen auf acht Jahre begrenzt. Ich erinnere daran, Kardinal Woelki ist im Juli 2014 zum Erzbischof ernannt worden. Die acht Jahre wären jetzt rum.