AboAbonnieren

Interview

Lili Paul-Roncalli
„Wenn ich einen Ort mein Zuhause nennen müsste, dann ist es auf jeden Fall Köln“

Lesezeit 8 Minuten

Mit ihrer Beweglichkeit begeistert die 25-jährige Lili Paul-Roncalli das Publikum im aktuellen Programm des Circus-Theaters auf dem Neumarkt.

Die jüngste Tochter des Roncalli-Direktors Bernhard Paul spricht über den Schulbesuch in Köln, das Publikum in New York und die Zukunft des Circus.

Die zwei vorstellungsfreien Tage in dieser Woche hat Lili Paul-Roncalli genutzt, um sich neue Kostüme schneidern zu lassen und diese anzuprobieren. In der Manege funkelt und glitzert es, zum Interview kommt sie dagegen schlicht in schwarzen Leggings und schwarzem Kapuzenpullover. Da sei sie flexibel, sagt sie selbst. Das kann man bei der 25-Jährigen wortwörtlich nehmen.

Zirkusleute sind ja traditionell Reisende. Wo fühlen Sie sich zu Hause?

Tatsächlich ist „zu Hause“ für mich meine Familie, und da, wo die Leute sind, die ich kenne. Wenn meine Familie da ist, dann fühle ich mich gleich wohl. Aber wenn ich einen Ort mein Zuhause nennen müsste, dann ist es auf jeden Fall Köln. Hier bin ich zur Schule gegangen. Hierhin kommen wir immer wieder zurück. Ich habe hier meine Arzttermine und meine Post kommt hier an (lacht). Roncalli hat hier seinen Hauptsitz, das Winterquartier und seine Werkstätten. Für mich ist immer das Schönste, wenn man lange unterwegs war und auf der Autobahn schon den Kölner Dom sieht. Dann geht mir das Herz auf.

Familie bedeutet in Ihrem Fall aber nicht nur Zuhause, sondern auch gemeinsame Arbeit. Sie treten seit mehr als elf Jahren in der Manege auf, hinter den Kulissen kümmern Sie sich zusammen mit Ihrem Vater und Ihrer Schwester um die Organisation des Circus Roncalli. Wie geht Familie und Arbeit zusammen?

Das geht tatsächlich sehr schön zusammen. Ich freue mich immer, wenn ich in anderen Unternehmen Familien sehe, die zusammenarbeiten. Man kann ganz schön dankbar sein, wenn das möglich ist. Ich habe mal gelesen, dass sobald ein Kind 18 ist und auszieht, es mit seinen Eltern schon 80 Prozent ihrer gemeinsamen Zeit verbracht hat. Der Rest des Lebens macht nur 20 Prozent aus! Es ist so schade, dass man sich dann auf einmal so auseinanderentwickelt, obwohl das eigentlich die stärkste Verbindung ist, die man hat.

Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Kindheit?

Sie war wahnsinnig schön und spannend. Man hatte nie Langeweile. Das ist auch jetzt noch so. Man begegnet im Circus bei jedem kleinen Weg irgendjemandem, man tauscht sich aus, man kann trainieren, man kann sich ausprobieren in den verschiedensten Disziplinen. Man sieht die Kostümentstehung, man sieht die Werkstatt, man erlebt so viel, auch schon als Kind. Ich konnte den ganzen Tag meine Freunde sehen und mit ihnen spielen. Wir mussten uns nicht verabreden. Das war für mich immer komisch, als ich in Köln in die Schule gegangen bin, dass man sich bei anderen vorher anmelden muss, wenn man mal zu Besuch kommt.

Wie lange sind Sie in Köln zur Schule gegangen?

Ich bin immer zwei Monate im Jahr, also immer in der Winterpause, hier in eine konventionelle Schule gegangen. Immer wieder in dieselbe Klasse. Das war schön, aber auch ein bisschen seltsam, wenn man immer wieder zehn Monate weg war. Es war spannend zu sehen, was sich verändert hatte oder wer mit wem noch befreundet war. Aber ich habe auch immer die Tage gezählt, wieder in meine Zirkusschule zu kommen. Das hat mir schon mehr Spaß gemacht. Ich musste nicht so früh aufstehen, ich musste ja nur drei Meter weiter zum nächsten Wagen gehen. Wir waren maximal vier Schüler, das war natürlich eine wahnsinnig schöne Art zu lernen.

Muss man Minimalist sein, wenn man die meiste Zeit im Wohnwagen lebt?

Ich würde jetzt so gerne ‚Ja‘ sagen, aber ich bin es leider nicht. Mein Kleiderschrank ist zwar klein, aber ich stopfe ihn bis zum Anschlag voll. (lacht) Schwierig. Ich mag Mode und in jeder Stadt gibt es neue Läden. Ich schmeiße auch ungern etwas weg. Das scheint in der Familie zu liegen. Ich schaue schon drauf, dass man den Sachen ein langes Leben gibt.

In der Manege aufgewachsen: Lili Paul-Roncalli

Der Circus Roncalli gastiert noch bis zum 26. Mai in Köln. Wie waren die ersten zwei Wochen?

Es ist für mich das erste Mal seit acht Jahren, dass ich wieder in Köln am Neumarkt bin. Es hat sich seitdem vieles verändert, und es ist einfach schön, wieder hier aufzutreten. Das Kölner Publikum einfach das warmherzigste Publikum, das wir kennen. Das sagen Künstler ja gerne, aber in Köln ist es wirklich so, dass die Leute mit Vorfreude reinkommen. Sie wissen, was Roncalli ist. Sie wissen, wofür das steht.

Der Circus Roncalli hat im vergangenen Jahr erstmals in New York gastiert, eine Woche lang waren Sie auch dabei. Wie ist das Publikum in Manhattan?

Es ist ganz anders. Im Finale verlassen die Künstler normalerweise die Manege, dann fällt der Vorhang und nach dem Applaus kommen sie wieder rein. In New York fiel der Vorhang und alle dachten, die Show ist vorbei. Sie sind alle aufgestanden und gegangen. Am nächsten Tag haben wir gleich umgeplant, dass die Künstler vorne stehen bleiben. Die Show konnte auch nur wirklich zwei Stunden lang sein, denn die New Yorker organisieren ihren Tag danach und zack, sind sie weg zum nächsten Termin.

Ist geplant, dass Roncalli noch weitere Shows im Ausland gibt?

Was uns am meisten am Herzen liegt, sind Deutschland und Österreich. Das ist unser Zuhause. Wenn wir andere Projekte machen, dann muss das für uns Sinn ergeben. Wir müssen schauen, dass wir uns nicht übernehmen, und dass die Qualität in unserer Heimat erhalten bleibt.

Sie sind Kontorsionistin. Wie sind Sie dazu gekommen, sich zu verbiegen?

Ich war schon von Natur aus immer sehr flexibel. Aber wir hatten in den Jahren, als ich klein war, keine Kontorsion in der Show. Dann kam eine Kontorsionistin als Ersatz, weil eine andere Nummer ausgefallen war. Ich hatte es nie zuvor gesehen und war sofort fasziniert. Ich dachte, das ist das, was ich die ganze Zeit gesucht habe. Nach ihrer Darbietung bin ich direkt nach hinten gelaufen und habe sie gefragt, ob sie mit mir trainieren kann. Und so hat das vor 19 Jahren angefangen.

Wie lange macht der Körper das mit?

Das ist bei jedem verschieden. Es gibt Menschen, die verbiegen sich noch mit Mitte 40, bei anderen ist mit 25 schon Schluss. Aber die ‚Prime Time‘ ist sicher in den 20ern, danach wird es dann schon schwieriger, sich zu biegen. Ich merke es jetzt auch schon. Jedes Jahr dauert das Aufwärmen ein paar Minuten länger.

Sie haben sich in der Vergangenheit auch über den Circus hinaus einen Namen gemacht, waren 2020 die Gewinnerin der Show „Let's Dance“ und arbeiten als Model. Was reizt Sie an diesen Tätigkeiten?

Die Abwechslung. Im Zirkus versuchen wir jeden Tag, das exakt Gleiche zu präsentieren. Beim Modeln oder bei Werbeaufnahmen ist es immer eine Überraschung, was man anhat, was das Thema ist, welche Emotionen man rüberbringen soll. Und es war mir wichtig, auch in der Außenwelt selbstständig zu sein. Roncalli ist ein kleines Universum in einer Blase. Ich wollte auch mal sehen, wie Unternehmen draußen funktionieren. Dieses Wissen und andere neue Einflüsse bringe ich dann auch wieder mit in den Zirkus hinein.

Ein Blick in die Zukunft: Dürfen wir Sie irgendwann Circus-Direktorin nennen?

Das klingt in meinen Ohren noch sehr komisch. Aktuell ist meine Schwester Vivi die Stellvertreterin des Direktors. Ich bin knapp zehn Jahre jünger – meine Zeit wird kommen. Es wird aber definitiv keine One-Woman-Show. Meine Geschwister und ich habe alle drei die Leidenschaft für den Circus. Dass wir immer mehr Verantwortung übernehmen, ist ein schleichender Prozess und wir sind schon mittendrin. Dazu muss man sich aber auch erst mal in den verschiedenen Bereichen auskennen. Das hat uns mein Papa schon sehr früh beigebracht, dass man sich wirklich auch mit den Themen befassen muss. Das ist auch der Grund, warum wir auch in die Manege gehen wollten: Es ist schwer, eine Show aufzubauen, wenn man gar nicht weiß, was es heißt, selbst in der Manege zu stehen.

Seit einigen Jahren ist Roncalli tier- und plastikfrei. Welche Wege muss der Circus in der Zukunft noch gehen, um weiterzuexistieren?

Ich glaube, wir brauchen immer die Balance: Dass man die Wärme behält und trotzdem Innovation mit einbringt. Zum Beispiel ein Roboter, der Akrobatik mit einem Künstler macht. Wir wollen Dinge zeigen, die vielleicht noch nie so in der Manege gesehen wurden, und trotzdem den alten Charme behalten.

Laufen die Planungen für das 50-jährige Jubiläum 2026 schon?

Dass Projekte so lange überleben, das gibt es heute nur noch selten. Wir sammeln bereits Ideen für das Jubiläum, manche Dinge sind schon in der Herstellung. Einige Sachen haben ja auch einen langen Prozess, bis sie so ausgetüftelt sind, bis sie in die Manege kommen. Das Jubiläum ist auch der richtige Zeitpunkt, um auf die Geschichte des Circus zurückzublicken. Vor allem die Anfangszeit war wahnsinnig interessant, und bisher wurde selten aus dem Nähkästchen geplaudert, wie es denn wirklich war hinter den Kulissen.

Glauben Sie, Ihr Vater wird sich irgendwann zurückziehen und der nächsten Generation das Feld überlassen?

Er ist nicht unbedingt der Typ, der sagt: Macht ihr mal, ich gucke nicht mehr hin. Und das ist auch gut so. Keiner von uns hat seine Erfahrung. Der Circus ist sein Erstgeborenes, das gab es schon lange vor uns und hoffentlich auch lange nach uns. Papa ist wirklich sehr, sehr aufmerksam. Er ist sogar auf Tiktok und Instagram. Er weiß, was in der Welt los ist. Manchmal mehr als ich.


Zur Person

Lili Paul-Roncalli, geboren 1998 in München, ist das jüngste Kind von Bernhard Paul, österreichischer Gründer des Circus Roncalli, und der italienischen Artistin Eliana Larible-Paul. Seit 2014 ist sie immer wieder Teil des Ensembles von Roncalli. 2020 gewann sie die RTL-Show „Let's Dance“, was sie national bekannt machte. Sie arbeitet als Model und war bereits in verschiedenen Fernsehformaten zu sehen.

Ihre Schwester Vivian kümmert sich bei Roncalli um das Artisten-Casting und ist Stellvertreterin des Direktors. Ihr Bruder Adrian ist Künstlerischer Leiter in Roncallis Apollo Varieté in Düsseldorf.