Interview mit Gesundheitsamtsleiter„Köln als Großstadt hat da ein höheres Risiko“
- Auf einem Diagramm dargestellt, befinden wir uns noch auf einer geraden Funktion.
- Die Fallzahlen in Köln seien höher ,weil wir hier dichter zusammen wohnen.
- Über den aktuellen Stand in Köln hat Johannes Nießen mit Diana Haß gesprochen.
Köln – Gesundheitsamtsleiter Johannes Nießen versucht mit allen Mitteln, die Kölner vor dem Coronavirus zu schützen. Über den aktuellen Stand hat er mit Diana Haß gesprochen.
Wie ist die Situation derzeit in Köln? Wo stehen wir?
Wir sind momentan, wenn man das auf einem Diagramm darstellen würde, immer noch auf einer geraden Funktion. Die Befürchtung ist, dass es plötzlich auf eine Exponentialfunktion übergeht, wo sich die Fallzahlen immer multiplizieren. Wie lange die Funktion noch nach oben geht oder ob sie zu einer Kurve wird, das ist momentan nicht vorhersehbar. Wir hoffen, dass es zu Ostern vielleicht weniger wird. Wir sind jetzt in der vierten Woche. Wenn man das mit China vergleicht, dann müssen wir bis Ostern wohl noch mit Zuwachs rechnen.
Jetzt nehmen die Kölner offensichtlich die Kontaktsperre ernst. Wann kann man von diesen Maßnahmen einen Effekt erwarten?
Wie die Kölner jetzt reagieren, ist wirklich gut. Die Akzeptanz ist sehr gut. In China war nach acht bis zehn Tagen zu merken, dass durch die rigorose Sperrung die Gerade nicht mehr so steil nach oben geht. Das erwarten wir hier auch. Wichtig ist, die Kontaktsperre zu beachten. Und wichtig ist auch, dass die schätzungsweise 8000 Kontaktpersonen derjenigen, die eine bestätigte Infektion haben, sich an die Quarantäne halten.
Die Türkei hat angeordnet, alle ab 65 Jahren sollen zuhause bleiben. Was halten Sie davon?
Die älteren Menschen sind wirklich gefährdet. Da muss man jetzt eine Pause einlegen und auf den Aufenthalt in der Öffentlichkeit verzichten. Momentan ist das so. Es geht nicht anders. Wir hoffen, nicht zu lange. Man sollte sich auch in der Nachbarschaft um alte Menschen kümmern und Besorgungen übernehmen. Diese Bemühungen unterstützt ja auch die Stadt. Wichtig ist auch: Keine Besuche in Altenheimen.
Die Fallzahlen in Köln scheinen im Vergleich zu anderen Städten höher. Welchen Grund hat das?
Wenn Menschen dichter zusammen wohnen, gibt es auch mehr Menschen, die angesteckt werden. Köln als Großstadt hat da ein höheres Risiko als beispielsweise das Oberbergische Land. Wir hatten den ersten Peak durch die Skiurlaub-Rückkehrer aus Österreich. Von den ersten 400 Fällen waren die Hälfte Rückkehrer. Das andere ist, dass wir in Köln ein ausgeklügeltes Erfassungssystem haben mit den beiden Infektionsschutzzentren und deswegen in Zusammenarbeit mit den niedergelassenen Ärzten sehr viele Tests möglich machen.
Wären Reihentests sinnvoll, um zu sehen, wie hoch die Infektionsrate ist?
80 Prozent der Infizierten haben keine Symptome. Reihentestungen wären von rein wissenschaftlichem Interesse. Sie würden uns aber keine neuen Erkenntnisse für das rein operative Handeln im Hier und Jetzt bringen.
Wir müssen zudem die Tests aufsparen für diejenigen, die sie dringender brauchen. Das heißt für Menschen, die zu den Risikogruppen zählen sowie solche, die für die Daseinsvorsorge wichtig sind. Medizinisches Personal, Feuerwehr, Polizei. Wenn da ein Fall ist, müssen wir Tests vorrätig haben. Derzeit muss man die schützen, die es besonders nötig haben.
Wie viele Tests gab es denn bisher in Köln?
Wir wissen, dass manche Labore über 5000 Tests am Tag machen. Diese Tests kommen aber nicht alle aus Köln. Über die Gesamtzahl aller Kölner und Kölnerinnen, die bisher getestet worden sind, haben wir keinen Überblick. Wir wissen nur, wie viele Kölner positiv getestet wurden.
Wie sieht es mit den Schutzausrüstungen aus? Es heißt, dass es gerade ziemlich knapp ist.
Die Vorräte gehen zur Neige, phasenweise herrscht auch Mangel. Aber wir erwarten heute oder morgen für Köln eine Lieferung von 200 000 Masken. Und wir haben weitere große Bestellungen laufen.
Wie funktioniert die Verteilung?
Der Krisenstab organisiert sie, so dass die Schutzausrüstung dorthin kommt, wo sie dringend gebraucht wird. Wir haben immer wieder Altenheime, die uns mitteilen, dass jemand positiv getestet wurde, dann fahren wir direkt hin und bringen das. Zusätzlich haben wir ein Erfassungssystem von allen Krankenhäusern und deren Vorrat an persönlicher Schutzausrüstungen, damit wir dort immer rechtzeitig vor Ort vorhalten können, was gebraucht wird.
Not macht erfinderisch. Merken Sie das auch?
Das merken wir an vielen Stellen. Da ist zum Beispiel eine Idee, dass die Näherinnen der Oper, da ja keine Opern mehr stattfinden, sinnvoll zur Krisenbewältigung herangezogen werden. Die Näherinnen sollen Masken nähen. Gerade läuft noch die Materialprüfung. Dann bringen wir das auf den Weg.
Wie sind stattdessen die Strukturen in der Patienten-Versorgung?
Wir haben mit den Krankenhäusern eine Absprache getroffen, dass jedes Krankenhaus diese Patienten behandelt. Ohne die privaten Kliniken haben wir 22 Krankenhäuser in der Stadt. Wir möchten gerne, dass nicht in einem einzelnen Haus oder auf einer Station eine hohe Viruslast erzeugt wird.
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Die Realität bestätigt, dass jedes Krankenhaus Corona-Patienten behandeln kann. Natürlich sind die Kliniken, die Infektionsschutzbetten vorgehalten haben, mehr eingespannt. Das ist eine linksrheinisch und eine rechtsrheinisch.
Wie geht es Ihnen selbst? Sie machen einen vitalen Eindruck.
Wir haben seit vier Wochen Alarmzustand. Man muss einfach zwischendurch mal schlafen. Und das versuche ich. Wir wechseln uns im Gesundheitsamt ab, Professor Wiesmüller und ein anderer Kollege machen neben mir die Leitung im Schichtdienst. Es ist natürlich eine Lage, die ich so noch nie kennengelernt habe. Es ist einerseits gut zu merken, wie wir der öffentlichen Gesundheit dienen können, indem wir die richtigen Maßnahmen ergreifen. Und es macht mir auch Freude zu sehen, dass die öffentliche Gesundheit erhalten bleibt. Es ist gut zu merken, dass die Bevölkerungsmedizin, die wir hier umsetzen, auch ankommt.
Gibt es auch positive Erlebnisse?
Auf dem Gehweg vor dem Gesundheitsamt hat jemand mit bunter Kreide einen Dank an alle im Gesundheitsamt gemalt. Das hat uns alle hier sehr berührt. Das ist eine schöne Anerkennung, die uns unterstützt, so weiterzumachen.