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InterviewWar es richtig, die Inzidenzzahlen aller Stadtteile öffentlich zu machen?

Lesezeit 4 Minuten
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Blick auf Chorweiler, ein Ort mit hoher Corona-Inzidenz innerhalb Kölns

  1. Dr. Stefan Rüping hat mit seinem Team über mehrere Monate die Corona-Entwicklung in Köln untersucht.
  2. Thorsten Moeck sprach mit ihm über Erkenntnisse und anonyme Daten.

Gibt es Erkenntnisse der Corona-Studie, die Sie wirklich überrascht haben?

Interessant fand ich es, die Bewegungen des Infektionsgeschehens über die Stadtviertel nachvollziehen zu können. Und damit dem Gesundheitsamt zu helfen, möglichst gute Entscheidungen zu treffen. Sehr interessant war auch die Aufschlüsselung des Infektionsgeschehens nach Altersgruppen. Hier lässt sich recht klar nach Generationen trennen.

Dass aber das Ansteckungsgeschehen in Hochhaussiedlungen größer ist als in Gegenden mit Einfamilienhäusern und Garten war zu erwarten.

Wir haben etwa 15 Jahre Erfahrung bei der Interpretation solcher soziodemografischer Daten. Es ist sehr schwer, Interpretationen zu führen. Aus Datenschutzgründen haben wir auch keine Daten einzelner Personen untersucht, sondern Stadtviertel analysiert. Deshalb ist es denke ich schon gerechtfertigt festzustellen, dass es verschiedene soziodemografische Gruppen gibt, die man an bestimmten Merkmalen unterteilen kann. Ursachen für Infektionen lassen sich aber nicht ableiten.

Zur Person

Dr. Stefan Rüping arbeitet für das Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme (IAIS). Dort leitet er die Abteilung „Knowledge Discovery“, er befasst sich vor allem mit den Anwendungen Künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen. (tho)

Aber die Studie führt ja durchaus zu einer Art Virus-Voyeurismus. Jetzt lässt sich sagen: Meschenich mit seinem Kölnberg hat eine Inzidenz von 238. War ja klar.

Sehr viele Informationen, die eine Relevanz für die Corona-Infektionslage haben, sind nicht in der Studie enthalten. Beispielsweise das Ausmaß von Homeoffice oder die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Deshalb ist es mir wichtig klar zu machen, was statistisch nachweisbar ist und was einer Interpretation bedarf.

Sozialdezernent Dr. Harald Rau hat vor Fehlinterpretationen gewarnt. Sie haben als Untersuchungskriterium die Arbeitslosenquote, den Mietspiegel und Migrationsanteile hinzugezogen. Da sind Vorurteile doch vorprogrammiert.

Wir haben öffentlich verfügbare Faktoren genommen. Diese hängen natürlich zusammen, denn dort, wo die Arbeitslosenquote hoch ist, gibt es meist einen höheren Anteil von Migranten und günstigen Wohnraum. Dass in hochpreisigen Wohngegenden der Homeoffice-Anteil höher ist, liegt nahe. Eine einfache Betrachtung einer Einzelgruppe oder gar eine Schuldzuweisung ist auf keinen Fall möglich. Die Frage ist jetzt: Was bedeutet das für die Arbeit des Gesundheitsamts?

Die Stadt hatte schon vor der Veröffentlichung der Studie angekündigt, die Test-Aktivitäten in den Außenbezirken zu verstärken. Stand mal zur Debatte, die Ergebnisse nur intern zu nutzen?

Wir sind bezüglich der Ergebnisse sehr lange in der Diskussion. Prinzipiell bin ich für Offenheit. Aber unserem Team war wichtig, klare und verlässliche Ergebnisse präsentieren zu können. Wir hätten also keine Zwischenergebnisse veröffentlichen wollen, die statistisch noch nicht belastbar sind.

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Wie gehen Sie bei einer solchen Studie vor?

Das Problem ist anfangs, die Daten zu verstehen und aufzubereiten. Wir hatten hier etwa 30 000 Infektionsfälle, aber nur bei einem Drittel der Fälle waren die Kontaktpersonen bekannt. Wir mussten dann schauen, welche Informationen aus diesen Daten gezogen werden können. Aus Datenschutzgründen konnten wir die Analyse auf Ebene von Wohnblöcken erstellen. Wir haben sehr viele Visualisierungen erstellt und mit dem Gesundheitsamt immer wieder neue Fragestellungen aufgenommen. Getrieben von den Daten haben wir neue Hypothesen aufgestellt.

Auffällig an den Ergebnissen ist, dass Stadtteile mit extrem hoher und niedriger Inzidenz aneinander grenzen. Entscheidend für das Infektionsgeschehen sind offenbar Mikroeinheiten wie Wohnblöcke.

Geografische Daten sind nie der Grund für ein Geschehen, aber sie spielen eine Rolle. Das Virus verteilt sich ja nicht wahllos in der Nachbarschaft, sondern bei bestimmten Situationen. Also am Arbeitsplatz oder in der Schule. Nachbarschaft spielt also indirekt eine Rolle, weil Kinder die gleiche Schule besuchen. Mit unseren Daten können auch wir keine genaueren Antworten liefern.

Die Untersuchung wird fortgesetzt. Mit welchem Schwerpunkt?

Die jetzt vorgestellten Ergebnisse basieren auf Daten, die wir bis Ende Januar gesammelt haben. Eine wichtige Frage ist beispielsweise, wie sich das Impfgeschehen auf die Zahlen auswirkt. Oder der Lockdown. Eine Fortschreibung von Mustern über einen längeren Zeitraum hinaus ist hier eher unwahrscheinlich.