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DLR-Mitarbeiter im InterviewSchützen wir unsere kritische Infrastruktur zu wenig?

Lesezeit 6 Minuten
Ein rot beleuchteter Computer zeigt eine fiktive Fehlermeldung an (gestellte Szene).

Ein rot beleuchteter Computer zeigt eine fiktive Fehlermeldung an (gestellte Szene).

Das DLR-Institut forscht zum Schutz kritischer Infrastruktur vor Attacken und Klimawandel. Wir haben mit Daniel Lichte vom DLR gesprochen.

28 Cyberangriffe auf Ministerien, Landesbetriebe, Behörden und Schulen gab es 2022 in NRW. Hinzu kommen Sabotageakte bei der Bahn und Energieversorgern. Über die Gefahren für die kritische Infrastruktur sprach Klaus Müller mit Daniel Lichte vom DLR-Institut für den Schutz terrestrischer Infrastruktur in Sankt Augustin.

Herr Lichte, sind wir als Gesellschaft zu sorglos, was den Schutz der kritischen Infrastruktur angeht?

Die Antwort ist aus meiner Sicht zweigeteilt. Zum einen: Für Betreiber, Wissenschaft und auch Politik sind der Schutz und die Resilienz unserer kritischen Infrastrukturen ein wichtiges und ernstgenommenes Thema. Die Politik treibt momentan das Thema aktiv voran, zum Beispiel durch das neue KRITIS-Dachgesetz, das auf einer Initiative der EU beruht. In der Wissenschaft wird auch in geförderten Drittmittelprojekten an Konzepten gearbeitet, die Ausfallrisiken minimieren sollen. Die Betreiber selbst sind keineswegs sorglos und arbeiten schon länger aktiv an der Absicherung ihrer Infrastrukturen.

Zum anderen: Tatsächlich kann man den Eindruck gewinnen, dass zwar die Gesellschaft immer abhängiger von der Versorgung mit Energie, Kommunikation und weiteren Services geworden ist, die Strukturen, die für eine zuverlässige Bereitstellung notwendig sind, jedoch als selbstverständlich hingenommen wurden. Ich sehe hier aber eine Veränderung, die auch der dynamischen Veränderung der Sicherheits- und Versorgungslage in den letzten Jahren geschuldet ist. Die Aufmerksamkeit und das Interesse für dieses wichtige Thema haben deutlich zugenommen.

Auch die Flut im Juli 2021 hat viele Schwachstellen aufgezeigt, Trafostationen, die zu dicht am Ufer standen, zu niedrige Brücken, an denen sich Treibgut stauen konnte, zudem sind Kommunikation und Warnsysteme ausgefallen. Müssen wir unsere gesamte Infrastruktur resilienter aufstellen?

Zunächst muss festgehalten werden, dass die gesamte Infrastruktur sich in verschiedene Sektoren aufteilt. In diesen Sektoren stecken hinter dem Begriff der Resilienz unterschiedliche Ziele. Das bedeutet, dass Resilienz also in den Sektoren auch mit spezifischen Konzepten umgesetzt werden muss. Auch wenn die Bemühungen intensiviert wurden – grundsätzlich gibt es noch großes Verbesserungspotential. Hierzu zählt die Anpassung an die Folgen des Klimawandels als auch die Energiewende. Die Energiewende stellt auch die Abhängigkeit der verschiedenen Sektoren von kritischen Infrastrukturen in den Vordergrund. Diese Abhängigkeiten können schlimmstenfalls zu sogenannten Kaskadeneffekten führen. Das heißt, dass bereits kleinere Ausfällen möglicherweise katastrophal enden. Daher ist es wichtig, die Abhängigkeiten in Zukunft besser zu verstehen und voraussagen zu können.

Wenn wir in Zukunft alleine auf Elektromobilität setzen, wie können wir verhindern, dass im Fall eines Blackouts das ganze Land lahmgelegt wird? Müssen wir dann nicht weiter fossile Energieträger bevorraten, die dann in die Bresche springen können?

Ja, deswegen braucht es hier die Entwicklung neuer Technologien. Dies betrifft beispielsweise elektrische Einsatzfahrzeuge und passende Speichertechnologien. Falls solche Speichertechnologien es ermöglichen, auch im Katastrophenfall und bei einem Blackout ausreichend Strom für Einsatzfahrzeuge vorzuhalten, wäre dies ein großer Schritt.

Aus heutiger Sicht ist der Einsatz fossiler Energieträger in solchen Fällen noch notwendig. Bisher ist sowohl für Einsatzfahrzeuge, als auch für die möglichst einfache Bereitstellung von Notstrom durch Generatoren kein Ersatz für fossile Energieträger in Sicht. Sie haben momentan durch Energiedichte, einfache Verfügbarkeit, Speicher- und Transportfähigkeit auch unter erschwerten Bedingungen große Vorteile.

Grundsätzlich sollte bei der Vorbereitung auf Katastrophenfälle technologieoffen gedacht werden, um die Notfallmaßnahmen und den Schutz möglichst effektiv gestalten zu können.

Die Bahn hat mitgeteilt, dass ihr Gleisnetz nicht flächendeckend überwacht werden kann. Gibt es andere Möglichkeiten, einen Schutz zu gewährleisten?

Die Überwachung des Gleisnetzes oder anderer Infrastrukturen ist nur Teil eines Schutzes. Überwachung kann in der Regel keinen Angriff verhindern, sondern ihn nur dokumentieren und mögliche Einsatzkräfte aufmerksam machen. Hier gibt es also ganz grundsätzlich noch andere Faktoren, die für den eventuellen Schutz beachtet werden müssen.

Das Schienennetz in Deutschland umfasst über 30 000 Kilometer. In so großen Infrastrukturen ist ein vollständiger Schutz kaum möglich. Dies gilt meiner Meinung nach für alle „verteilten“ kritischen Infrastrukturen, das heißt die Infrastrukturen, die aus großen Netzen zur Versorgung bestehen. Was möglich ist, ist der Schutz besonders wichtiger Punkte, an denen Angriffe große Folgen haben. Dies sind im Bahnnetz zum Beispiel die größeren Bahnhöfe als Knotenpunkte, und die Stellwerke, ohne die ein Betrieb nicht möglich ist. Hier ist sicher noch Potenzial für Verbesserungen vorhanden, auch wenn schon Anstrengungen unternommen werden. Gleichzeitig gilt es insbesondere im Fall des Schienennetzes, neue Lösungen zu erarbeiten, die etwa die Anfälligkeit der Signaltechnik verringern.

Der Schutz von Infrastrukturen muss gesamtheitlich gedacht werden. So geht der Schutz über die reine Absicherung im Sinne der Security hinaus und nimmt im Sinne der Resilienz Konzepte in den Blick, die im Fall erfolgreicher Angriffe dafür sorgen, dass deren Folgen minimiert werden können.

Ihr Institut widmet sich seit seiner Gründung im Jahr 2019 dem Schutz und der Sicherheit kritischer Infrastrukturen auf der Erde. Laut Ihrer Homepage entwickeln Sie Konzepte, Verfahren und Technologien, die die Widerstandsfähigkeit (Resilienz) von Organisationen und Systemen stärken und verbessern sollen. Können Sie konkrete Maßnahmen nennen, an denen Sie derzeit arbeiten beziehungsweise, die Sie entwickelt haben?

Eine Vision des Instituts ist es, einen digitalen Zwilling zu entwickeln, der laufend an den tatsächlichen Zustand der Infrastruktur angepasst wird. Ein digitaler Zwilling eröffnet ganz neue Möglichkeiten. Dies beginnt bei der Live-Analyse von Gefahrensituationen, Methoden zur Beobachtung von Risiken und Schutzzustand bis hin zur konkreten Unterstützung bei der Auswahl geeigneter Gegenmaßnahmen. Wichtig ist auch das Training von Einsatzkräften in realitätsnaher Virtual Reality Umgebung, die Funktionen der echten Infrastruktur abbildet.


Zur Person

Dr.-Ing. Daniel Lichte (40) ist Leiter der Abteilung Resilienz- und Risikomethodik im DLR-Institut für den Schutz terrestrischer Infrastrukturen. In der Abteilung entwickeln Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Modelle und Methoden, um die Widerstandsfähigkeit von Infrastrukturen gegen Bedrohungen zu stärken. Das DLR-Institut für den Schutz terrestrischer Infrastrukturen wurde 2019 gegründet, Standorte sind in Sankt Augustin und Rheinbach.


Gemeinsam mit Übertragungsnetzbetreibern erarbeiten wir aktuell Konzepte zur Absicherung ihrer Infrastrukturen. Außerdem haben wir die Leitung des DLR-Projekts „RESIKOAST“ übernommen. In diesem Projekt bündeln wir Kompetenzen des DLR, um in Küstengebieten Maßnahmen zum verbesserten Schutz vor den Folgen des Klimawandels, wie Sturmfluten und Extremwetterereignisse zu entwickeln.

In Kooperation mit dem Unternehmen Henkel erstellen wir funktionale 3D-Abbilder von Infrastrukturen und Risikokarten in Bezug auf Naturgefahren und Angriffe. Auf dem Gebiet der Sensorik kooperieren wir zum Beispiel mit dem Innovation Lab der Polizei NRW. Hier geht es um die Gefahrenerkundung und -identifikation durch autonome Roboter. Als Partner von „emergenCITY“ in Darmstadt haben wir eine Arbeitsgruppe auf dem Gebiet der Entwicklung von Modellen und Methoden für Digitale Zwillinge insbesondere für die Stadt Darmstadt eingerichtet.

Sind einige dieser Verfahren schon im Einsatz und haben sich bewährt?

Das Institut ist noch jung, daher befinden sich viele Arbeiten in einem frühen Stadium. Trotzdem sind wir schon aktiv in die Entwicklung von Schutzkonzepten mit den deutschen Übertragungsnetzbetreibern involviert. Die Ergebnisse dieser Zusammenarbeit werden für die nationalen Übertragungsnetze umgesetzt.

Wie finanzieren Sie Ihre Forschung?

Unser Institut wird zum einen institutionell durch den Bund und das Land NRW gefördert. Zum anderen finanziert sich das Institut auch mittels Industrie- und Drittmittelforschung.