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Interview mit Kölner Gesundheitsamtsleiter„Das Virus hält sich nicht an die Vorgaben“

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Wie Streichhölzer sehen die Balken des Diagrammes aus, das Dr. Johannes Niessen zeigt. Das Blaue sind die negativen Tests auf Corona. Der rote Kopf, die Zahl der positiven Tests in Köln, wird immer kleiner

  1. Dr. Johannes Nießen ist Leiter des Kölner Gesundheitsamts.
  2. Er führt den Kampf gegen Corona in Köln an.
  3. Über erste Erfolge, weitere Schritte und seine ganz persönliche Herausforderung haben Diana Haß und Sabrina Steiger mit ihm gesprochen.

Er führt den Kampf gegen das Coronavirus in Köln an: Gesundheitsamtsleiter Dr. Johannes Nießen (62). Über erste Erfolge, weitere Schritte und seine ganz persönliche Herausforderung haben Diana Haß und Sabrina Steiger mit ihm gesprochen.

Aktuell wird in Köln über Lockerungen in Altenheimen diskutiert. Was ist aus Ihrer Sicht möglich?

Die Isolation der älteren Menschen stellt uns alle vor enorme Herausforderungen, das kann ich aus eigener Betroffenheit bestätigten. Auch meine Mutter wohnt in einem Heim und es fällt mir schwer, sie nicht zu sehen. Wir alle hoffen, dass bald Lockerungen möglich sein werden. Dabei muss alles getan werden, um die alten Menschen zu schützen. Möglich ist ein Besuchszimmer mit Plexiglasscheibe. Hinzu käme: Abstandsregeln einhalten, Hände waschen. Auch Abstrich-Tests können hinzugezogen werden. Sie garantieren zwar keine Sicherheit, sind aber besser als nichts.

Wie sieht es mit Tests aus?

In Köln sind seit Ende Februar rund 44000 Tests gemacht worden. Davon waren 6,19 Prozent positiv. Inzwischen haben die Labore durchaus Kapazitäten.

Grundsätzlich ist bei Todesfällen in Altenheimen nicht klar, ob die Menschen an oder mit Corona gestorben sind.

Das stimmt. Fast alle Verstorbenen hatten Vorerkrankungen. Klarheit würde nur eine Obduktions bringen. Aber schon alleine wegen des fehlenden Einverständnisses der Angehörigen findet diese nicht statt.

Erste Zwischenbilanz. Was ist gut, was ist schlecht gelaufen?

Als am Freitag, 28. Februar, klar war, dass Köln betroffen ist, habe ich die Nacht hier im Gesundheitsamt geschlafen. Wir mussten viel aus dem Boden stampfen. Aber ich glaube, wir haben ziemlich viel gut geregelt. Das Gesundheitsamt ist zu einem Coronaamt geworden. Gut 80 Prozent der Arbeit, die die Mitarbeiter hier leisten, dreht sich um Corona. Die Mitarbeiterzahl hat sich in vier Wochen fast verdoppelt. Zu den ursprünglich 350 sind noch einmal etwa 300 hinzugekommen. So haben wir jetzt allein zusätzlich 223 Medizinstudenten unter Vertrag, außerdem Mediziner und Verwaltungsmitarbeiter. Ich würde sagen, wir haben derzeit eine Stabilisierung in der Krise.

229 Kölnerinnen und Kölner sind aktuell an Corona erkrankt. Das ist bei einer Einwohnerzahl von einer Million doch sehr wenig. Waren da die großen Einschränkungen gerechtfertigt?

Ja, denn ohne diese Einschränkungen wären wir jetzt nicht bei dieser Zahl. Sie ist das Ergebnis von allen getroffenen Maßnahmen: Kontaktverbot, Testung, Ermittlung von Kontaktpersonen, Hygiene. Wenn wir das nicht gemacht hätten, wären jetzt viel mehr krank – und vor allem auch viel mehr gestorben.

Wie viele freie Intensivbetten hat Köln?

Wir konnten die Intensivbetten im bestehenden Kliniksystem deutlich aufstocken und haben jetzt rund 200 „low-care“-Plätze mit nicht-invasiver Beatmung und rund 400 „high-care“-Plätze mit invasiver Beatmung. Auch an den schlimmsten Tagen der Krise gab es auf den Intensivstationen immer noch ausreichend Kapazitäten, Patienten unterzubringen.

Dann würde Köln also noch viel mehr Corona-Patienten verkraften?

Die Frage führt in die falsche Richtung. Das Virus macht leider, was es will. Aber wenn eine zweite Infektionswelle kommt, wie befürchtet wird, sind wir sicher gut organisatorisch und medizinisch aufgestellt. Feuerwehr und Gesundheitsamt haben ein Konzept für den Umgang mit infizierten Mitarbeitern in systemrelevanten Bereichen erarbeitet, das von anderen Kommunen übernommen wird. Wir haben ein eigenes System zum digitalen Kontaktpersonen-Management entwickelt. Aber jede Erkrankung ist eine zu viel.

Wenn jetzt die Lockerungen des Kontaktverbotes zu einem Anstieg der Infektionszahlen führen, muss dann trotzdem wieder alles zu gemacht werden?

Das müssen andere entscheiden.

Sechs weitere Verstorbene mit Corona-Virus

Den 2234. bestätigten Fall von Corona-Virus meldete die Stadt gestern, 15.30 Uhr. Das sind neun mehr als am Vortag. Nur noch 69 (Vortag 72) Erkrankte waren auf der Intensivstation, 36 weitere in stationärer Quarantäne im Krankenhaus (Vortag 41) .

1922 Menschen konnten bereits wieder aus der Quarantäne entlassen werden. Sechs weitere Menschen, die positiv auf das Corona-Virus getestet wurden, sind gestorben: ein 76-Jähriger, zwei 88-Jährige, ein 92-Jähriger, eine 97-Jährige und eine 94-Jährige. Sie litten alle an diversen Vorerkrankungen.

Bislang sind damit 83 Kölnerinnen und Kölner gestorben, die sich mit dem Corona-Virus infiziert hatten. Aktuell sind noch 229 Menschen in Köln am Corona-Virus erkrankt. (sab)

Was ist denn das Ziel? Dass sich niemand mehr ansteckt?

Ja, das ist der Traum.

Wäre es nicht wichtig, dass sich immer wieder jemand infiziert, um Immunität zu erreichen?

Um die so genannte natürliche Feiung, also Immunität, zu erreichen, müssten wir wohl sehr, sehr lange warten. Und die möglichen gesundheitlichen Folgen für jeden Erkrankten? Egal wie alt?

Aber wenn die medizinische Versorgung jetzt so gut ist, muss dann die Wirtschaft noch weiter in die Knie gehen?

Das entscheiden die Politiker. Und ich bin wirklich froh, dass ich keiner bin. Wir wissen, dass das, was wir sechs Wochen lang gemacht haben, gute Ergebnisse bringt. Aber bei der zweiten Welle muss man vielleicht überlegen, ob man das Geschehen weiter rein virologisch sehen kann. Wenn man irgendwann gar nichts mehr kaufen kann, geht das ja nicht. Eine verantwortliche Abwägung unter den dannherrschenden Umständen ist dann gefordert. Heute sehen wir ja auch, dass sich Unternehmen mit ihren Hygienestandards und Sicherheitsvorkehrungen deutlich verbessert haben.

Wie sehen Sie die Chancen, dass Restaurants und Kneipen wieder öffnen?

Ich bin selbst gespannt, was am 5. Mai entschieden wird. Sicher sind noch offene Fragen zu klären, beispielsweise ist die Kaltspülung von Gläsern in der Gastronomie ein Problem.

Auf einen wie langen Krisenmodus stellen Sie sich noch ein?

Der weitere Verlauf entscheidet und wie jetzt jeder Einzelne agiert. Das Virus hält sich nicht an unsere Vorgaben.