Nach 31 Jahren beendet Caritaschef Peter Krücker im September sein Berufsleben. Mit Gabi Bossler redet er an einem Lieblingsort Tacheles.
Kölns Caritas-Chef„Wir sind offen für alle Religionen, für Zweifler, Menschen, die neben der Mütze gehen“
Wir treffen uns im ehemaligen Klarissenkloster in Kalk. Das liegt Peter Krücker am Herzen. In dem Ensemble aus moderner Architektur und altem Bestand leben Geflüchtete und Kalker Bürger in günstigen Wohnungen, es gibt eine Integrationsberatung, die Räume der umgestalteten Kirche können Kölnerinnen und Kölner für Veranstaltungen nutzen.
Dass es zu diesem Bau und seiner visionären Nutzung kam, dazu brauchte es gleich drei glückliche Fügungen. Erzählen Sie mal...
Die erste war, dass im Jahr 2012 der Klarissenorden mitten in der Sanierungszeit des Klarissenklosters entschieden hat, den Standort Köln aufzugeben. Ein Jahr später, 2013, forderte Papst Franziskus eindringlich, geflüchteten Menschen Obdach zu geben. Das haben Pfarrer Franz Meurer und wir als Caritas natürlich aufgegriffen. Aber erst nach der Emeritierung von Kardinal Meisner ging da etwas. Da hat der damalige Diözesanadministrator Stefan Heße die Entscheidung zur Umnutzung des Klosters für Geflüchtete getroffen. Wir konnten unsere Vision verwirklichen!
Heute sind solche Integrations- und Beratungsprojekte, akut von Kürzungen bedroht. Was ist das für ein Gefühl?
Ich gehöre nicht zu den depressiven Menschen. Was wir hier machen, ist ein absolutes Kernangebot, deshalb werden wir als Caritas mit Eigenmitteln einsteigen und versuchen, sie zu erhalten. Ob wir das schaffen, ist aber noch offen.
Was passiert, wenn die Angebote schließen müssen?
Das ist gesellschaftspolitisch eine Katastrophe. Die Angebote decken den Bedarf schon heute nicht, und die Flüchtlingszahlen werden sich nicht verringern. Sie sind die Folge von globaler Ungerechtigkeit, von Kriegen und der Klimakrise. Die Menschen wollen überleben und sie werden Wege finden. Wir müssen mit diesen Bedürfnissen verantwortungsbewusst und human umgehen, die Wanderungsbewegung kanalisieren und vor allem die Infrastruktur zur Integration ausbauen. Aber jetzt sollen wir genau die verringern.
Wir gehen in die Kirche, die als Veranstaltungszentrum genutzt wird. Der Altarraum ist durch eine konkave Wand abgetrennt, aus dem vergitterten Chor neben ihm folgten früher die Klarissinnen dem Gottesdienst. Heute steht hier eine Espressomaschine auf dem Tresen der Einbauküche. Auch im Besucherraum des Klosters trennte ein Gitter die Menschen, es gibt eine Durchreiche, die jede Berührung verunmöglichte. Eindrucksvoller könnte der Gegensatz zur heutigen Nutzung nicht sein.
„Die leerstehenden Klöster gehören nicht uns, sie sind für das Fleisch Christi da, und das sind die Flüchtlinge“, hat Papst Franziskus 2013 gesagt. Haben Sie da noch Wünsche an Ihre Kirche?
Die Kirche hat unendlich viele Gebäude. Ich wünsche mir, dass sie die Caritas beherzter unterstützt. Kirche ist ohne die Caritas nicht denkbar. Aber wir spüren, dass die Begeisterung für uns nicht immer da ist. Die Caritas ist quengelig, stört, braucht Geld, um ihre sozialen Aufgaben zu erfüllen. Die Menschen sehen das übrigens anders als die Kirchenleitung. In Umfragen zur sozialen Wahrnehmung gesellschaftlicher Institutionen steht die Kirche bei 120 auf den letzten Rängen, die Caritas unter den Top 10 der Anerkennung. Wir sind offen für alle Religionen, für Zweifler, Menschen, die neben der Mütze gehen. Für uns gehören alle dazu, alle an einen Tisch.
Mit Ihnen verliert Köln eine starke, unüberhörbare Stimme. Steht diese Stimme auch dafür, dass Sozialverbände stärker gesellschaftspolitisch agieren müssen?
Alle sozialen Organisationen kommen in schwierige Zeiten, einige werden das nicht überleben. Das belegen Erhebungen zur wirtschaftlichen Situation von Trägern. Wir dürfen nicht aufhören, das deutlich zu sagen, Tacheles zu reden. Damit die Politik handelt und der Verwaltung klar sagt, was künftig im sozialen Köln noch möglich sein soll.
Im Innenhof des Klosters setzt sich der Caritaschef auf eine schwarze Paletten-Bank, vor ihm sprudelt eine kleine Fontaine im schlichten runden Brunnen. Gräser setzen einen grünen Akzent.
Soziale Kürzungen und drängender Mangel an günstigem Wohnraum — lässt die Politik zu, dass das die Gesellschaft immer rasanter spaltet?
Das tut sie. Es ist schon lange unübersehbar, dass es zu wenige Wohnungen gibt. Günstige Wohnungen bauen ist nicht so schwer. Man muss es nur wollen. Stattdessen wurden die Investitionsbedingungen verbessert und hochpreisig gebaut.
Ist es eine Verpflichtung etwa der kirchlichen Aachener Siedlungsgesellschaft, da gegenzuhalten?
Alle Wohnungsbaugesellschaften sollten so bauen, dass sie keine Maximierung der Rendite betreiben, sondern ihre Verantwortung für bezahlbares Wohnen ernsthaft realisieren. Die Aachener Siedlungsgesellschaftmacht das zum Teil, aber sie sollte mehr tun und ihr soziales Profil schärfen.
Wie begegnet die Caritas den vielen Krisen? Und wie stärkt sie ihre Mitarbeitenden, die beruflich und privat davon betroffen sind?
Man muss ruhig sein, kreativ und gut nachdenken, was man tut. Und man muss optimistisch bleiben. Für unsere Mitarbeitenden ist es bestärkend, etwas Sinnvolles bei einem Arbeitgeber zu tun, der das selbst auch gesamtgesellschaftlich vorantreibt — etwa mit der Gemeinwohlbilanz.
Dieser Zertifizierung haben Sie sich 2023 als erster sozialer Träger in Köln gestellt…
Ein Handeln, dass sich am Gemeinwohl orientiert, verkörpert unsere ideellen Werte. Die Gemeinwohlbilanz macht Aspekte wie Menschenwürde, Solidarität, Gerechtigkeit, Transparenz, Mitentscheidung und ökologische Nachhaltigkeit messbar und damit für uns als Organisation verbindlich. Das begeistert unsere Mitarbeitenden, sie stehen voll und ganz dahinter. Mit der Kirche und mit dem Vaterunser hole ich heute niemanden mehr hinterm Baum hervor.
Wo ist die Caritas stark bewertet?
Bei der gesellschaftlichen Wirkung ihrer Leistungen, der sozialen Haltung im Umgang mit Geld, der Mitarbeitenden-Mitbestimmung.
Was ginge besser?
Den Punkt Menschenwürde in der Zulieferkette müssen wir noch ausbauen.
Also mehr Transfair-Produkte…
Ja. Aber wir müssen sehen, wie wir die in den Pflegesätzen unterbringen. Auch die Energiestandards sind ein Riesenthema. Die Stadt fordert bei neuen Gebäuden Photovoltaikanlagen auf dem Dach. Das ist gut. Aber eine große finanzielle Belastung für die Träger, denn im Pflegesatz kann ich nur die Kosten für gekauften Strom und nicht für selbst produzierten einbringen. Meine Investition kriege ich also nicht refinanziert. Wir haben die CariEnergie gGmbH gegründet, die baut jetzt unsere Anlagen und verkauft uns den Strom.
Können das auch kleinere Träger leisten?
Wohl kaum. Es gibt dazu ein Genossenschaftsmodell, das ist aber alles aufwendig. Man müsste die Investitionen in der Refinanzierung der Einrichtungen berücksichtigen. In fünf oder in zehn Jahren ist das sicher so, aber das nützt uns heute nichts. Dieses Geld fehlt Trägern heute, um etwa eine Lücke in der Flüchtlingsberatung zu füllen.
Weitere Herausforderungen?
Das Thema Personal ist absolut zentral. Es wird zukünftig nur noch die Träger geben, die Personal haben. Nicht mehr die, die irgendwie gut, schön oder reich sind. Und wenn ich Leute habe, dann müssen sie auch bei mir bleiben. In Freiburg ist ein Caritasverband in die Insolvenz gegangen, weil ihm das Altenpflege-Personal fehlte. Helfen könnten uns mehr Pflegehelfer und eine schnelle Anerkennung der Abschlüsse von Geflüchteten.
Gehen Sie neue Wege, um Ehrenamtliche zu begeistern?
Das müssen wir dringend tun. Hier haben wir noch Nachholbedarf. Seit kurzem haben wir uns neu aufgestellt und realisieren richtig gute Ideen.
Wir gehen durch den hinteren Bereich des Ensembles, hier steht eine mächtige Rotbuche, Fledermauskästen hängen an der Mauer, es gibt einen kleinen Friedhof der Klarissinnen mit Steinkreuzen.
Sie sind seit 31 Jahren bei der Caritas. Was waren bedeutende Momente?
In diesem Projekt hier mitzuwirken. Ein anderer ist die Pflege. Wir haben in 14 Jahren fünf unserer sieben stationären Einrichtungen neu gebaut, fast 60 Millionen Euro investiert und sind auch von der Pflegequalität sehr gut aufgestellt. Sehr eindrucksvoll war auch, „100 Jahre Caritas“ zu feiern. Ein ganz persönliches Highlight war, dass ich trotz meiner Aufgabe als Vorstand in Elternzeit gehen konnte, als wir vor 16 Jahren unsere beiden Söhne adoptiert haben.
Wie stark bestimmt Ihre christliche Haltung Ihr Leben?
In meinem Leben ist das Tun wichtiger als das Beten oder sonntags in der Kirche zu sitzen. Ich halte es mit meiner Großmutter, die gesagt hat: „Das Richtige zu tun, ist schon halb gebetet.“ Die Tiefe des Lebens habe ich schon früh mitbekommen, ich stamme aus einer Bestatter-Familie. Wir Kinder haben zwischen den Särgen Verstecken gespielt. Und auch schon Mal in den leeren Särgen (lacht)…. Für mich ist es Ausdruck meines Glaubens, mich für Humanität und Menschenrechte einzusetzen. Über die Arbeit in der Caritas habe ich mich wieder stärker mit meinen christlichen Werten auseinandergesetzt. Ich bin sehr dankbar, dass ich diese Verbindung noch einmal neu wiederfinden konnte in mir.
Haben Sie Ideen für Ihren neuen Lebensabschnitt?
Ich werde erstmal in der neuen Situation ankommen. Jetzt ist meine Arbeitszeit drei Monate im Voraus verplant. Dann mache ich, wozu ich spontan Lust habe, reisen gehört da auch dazu. Und ich freue mich darauf, etwas als Peter Krücker sagen zu können, ohne die Caritas zu repräsentieren. Im Aufsichtsrat des Deutschen Caritasverbandes und in der Delegiertenversammlung bleibe ich vorerst, den Runden Tisch für Flüchtlingsfragen mache ich weiter, mindestens bis zur 100. Sitzung 2026. Was ich sonst tun werde, wird sich herausstellen. Sicher sein können Sie in einem: Ich werde nicht still sei.